GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben. Bernhard Bohnke

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verlegener. "Sie wissen schon: das Buch 'Der Kosmos gehört mir'." Nervös zupfte er sich mit der lin-

       ken Hand am rechten Ohrläppchen - ein Tick, den er von seinem Vater übernommen hatte.

      "Sie meinen: 'Der Kosmos gehört dir'."

      "Natürlich! Ob mir oder dir, das ist ja wohl egal", antwortete Stefan ärgerlich, aber im Grunde froh, dass ihm die Verärgerung aus der Verlegenheit raushalf. '''Du bist der Größte' ist wieder reingekommen, wollen Sie das auch nehmen?"

      "Danke, das habe ich nicht nötig", erwiderte Stefan trotzig. Die Verkäuferin lächelte nur süffisant.

      Stefan fühlte sich ihr gegenüber unsicher. Das beste Mittel dagegen war, sie zu verunsichern. Aber womit? Spontan fragte er beim Zahlen einfach: "Wie heißen Sie eigentlich?"

      Diese Frage schien sie zumindest zu überraschen. "Brandauer. Warum? Wollen Sie sich über mich beschweren?"

      "Und mit Vornamen?" Nun war sie wirklich unsicher. "Birgit. Wozu wollen Sie das wissen?"

      "Nur so", grinste Stefan. Und ging mit dem befriedigten Gefühl, eine Niederlage wenigstens in einen kleinen Sieg umgewandelt zu haben.

      Kaum zu Hause angekommen, vertiefte er sich in sein neues kosmisches Buch. Schon die Abbildung auf dem Umschlag war vielversprechend. Da schwebte ein Mensch mitten im Sternenhimmel, auf allen Seiten von gelben Strahlen umgeben. Aber Stefan war vor allem gespannt, was die kosmische Urkraft, die alle Wünsche erfüllen könnte, nun genau wäre. Er las: "Die kosmische Kraft ist die Kraft des Kosmos. Andere sprechen auch von der Kraft des Alls oder des Universums. Manche nennen sie göttliche Kraft. Anstatt 'Kraft' kann man auch 'Energie' sagen. Es handelt sich jedenfalls um die gewaltigste Kraft, die existiert. Doch Sie vermögen diese Kraft anzuzapfen und für sich arbeiten zu lassen. So werden Sie zum 'Master of the Universe'."

      Stefan war beeindruckt. Doch er konnte sich noch immer nichts Genaueres unter der Kosmos-Kraft - vom Autor "KK" abgekürzt - vorstellen. Und von einem plötzlichen Faustischen Impuls ergriffen, wollte er jetzt wissen, was für eine Kraft das sei, die die Welt im Innersten zusammenhält. Vielleicht konnte sein 24-bändiges Lexikon, das er sich in einer schwachen Stunde von einem Vertreter hatte aufschwatzen lassen, hier weiter helfen. In der Tat: Er las, dass die Physik 4 fundamentale Kräfte kenne: 1) Schwerkraft, 2) Elektromagnetische Kraft, 3) Schwache Kraft, 4) Starke Kraft. Welche dieser 4 Kräfte könnte die gesuchte KK sein?

      Die Schwerkraft schien ihm zu schwerfällig für eine Kraft, die eilfertig ständig alle (seine) Wünsche erfüllen sollte. Und die elektromagnetische Kraft? Diese Kraft, die schon bei jeder stromdurchflossenen Drahtspule wirkte, war bestimmt zu banal. Außerdem erinnerte sie ihn unangenehm an stets misslungene Experimente im Physik-Unterricht. Die "schwache Kraft" kam natürlich nicht in Frage, der Name sagte schon alles. So setzte er seine ganze Hoffnung auf die "starke Kraft". Über die gab es zu lesen: "Man nennt sie auch Farbkraft. Sie verhindert, dass sich die Quarks in den Nukleonen zu weit voneinander entfernen. Diese Kraft wird durch sogenannte Gluonen übertragen, die zwischen den Quarks hin- und herfliegen und wie Klebstoff für ihr Zusammenhalten sorgen."

      Klebstoff? Stefan war betroffen - konnte die großartige KK nur eine Art kosmisches Uhu sein? Den Rest des Textes hatte er kaum verstanden. Und um sich vor weiteren Anstrengungen oder Enttäuschungen zu schützen, beschloss er lieber, dass es für ihn doch nicht so wichtig sei, das Wesen der KK zu begreifen - Hauptsache, sie funktionierte. Gerade wollte er das Lexikon schon zuschlagen, da las er den Satz: "Die Physiker vermuten, dass hinter den vier Kräften eine einheitliche Urkraft wirkt." Aha, wahrscheinlich war die gesuchte KK mit der unbekannten Urkraft identisch. Doch wie sollte es eigentlich gelingen, diese gewaltige Kraft für sich einzuspannen?

      Der Autor von "Der Kosmos gehört dir" hatte da keinerlei Bedenken. Denn die KK sei eine geistige Kraft, überhaupt sei der ganze materielle Kosmos aus Geist entstanden; er sei letztlich nichts anderes als ein unendlicher - positiver - Gedanke. Von daher könnten wir eben mit unserem menschlichen Geist, mit unserem Denken die KK beeinflussen.

      Was Stefan merkwürdig vorkam: Einerseits schwärmte der Autor von der ungeheuren Potenz und Intelligenz der kosmischen Kraft, andererseits schilderte er sie als servilen Geist "aus der Flasche", ja sprach sogar ungeniert von "Kosmos melken". War eine solche Lehre wirklich kosmisch oder nur komisch? Egal, sagte sich Stefan. Probieren geht bekanntlich über studieren. Jetzt wollte er versuchen, KK zu kontaktieren. Wie lautete die Anweisung? "Öffnen Sie sich für die kosmische Energie. Lassen Sie diese in sich hineinfließen und sich ganz von ihr ausfüllen! Schließen Sie zunächst die Augen und fühlen Sie, wie die Energie in Sie strömt!" Also gut, auf zum kosmischen Höhenflug.

      Stefan lehnte sich zurück und schloss brav - wie gefordert - die Augen. Er murmelte innerlich: "Stefan ruft KK. bitte kommen!"

      Keine Reaktion. Er fuhr fort: "Bitte kosmischer Geist, ergieße dich in mich!"

      Immer noch keine Reaktion. Hoffentlich fühlte sich auch die richtige Kraft angesprochen. Nicht dass sich nachher noch die "schwache Kraft" meldete und ihn eventuell schwächte. Aha, da tat sich etwas.

       Seine Arme begannen zu kribbeln und zu jucken. Stefan widerstand der Versuchung, sich zu kratzen - dass er bloß nicht die Energie wegkratzte. Aber war es denn wirklich die kosmische Energie? Oder war es nur wieder seine Erdbeerallergie?

      Unvorsichtigerweise hatte er zum Frühstück ein Erdbeerjoghurt gegessen, im Glauben, man könnte sich darauf verlassen, dass in den modernen Fruchtjoghurts nichts mehr von der echten Frucht, sondern nur noch "naturidentische" sprich chemische Aromastoffe drin wären. Stefan fühlte eine zunehmende Müdigkeit und Schwere. "Verdammt, hoffentlich hat mich nicht doch die schwache Kraft erwischt - oder die Schwerkraft ... " Als er zwei Stunden später wieder aufwachte, fühlte er sich zwar ausgeschlafen, aber der KK war er keinen Schritt nähergekommen. Etwas schuldbewusst riss er sich zusammen und las weiter.

      Das Erfolgsprinzip war im Grunde wieder das gleiche wie in den vorherigen Büchern. Man musste sich ein Ziel anschaulich vorstellen. Und man musste an die Erfüllung des Ziels glauben. Nur hatten die ersten Autoren von der Kraft der Gedanken gesprochen, während dieser von der kosmischen Kraft sprach.

       Die wurde allerdings durch die Gedanken aktiviert, somit war das letztlich kaum ein Unterschied. Stefan fragte sich allerdings, ob man die enorme KK wirklich auch für banale Probleme des Alltags wie "mehr Geld" oder ''weniger Gewicht" oder "mehr Sex" oder ''weniger Pickel" bemühen durfte. Oder machte das nur Sinn bei erhabenen Lebenszielen wie "geistige Erleuchtung erlangen"? Er beschloss, erst einmal ausschließlich die empfohlene "Kosmos-Grundübung" durchzuführen, und zwar ab jetzt jeden Morgen. Sie bestand eben darin, sich vorzustellen, wie die kosmische Energie in einen hinein fließt und sich ganz mit ihr aufzuladen.

      Der Autor empfahl, die Energie auch anzusprechen: "Sei mir willkommen, du herrliche Macht des Himmels!" Oder: "Ich grüße dich, du himmlische Sternenkraft!" Das kam Stefan zwar reichlich pathetisch, um nicht zu sagen peinlich vor. Aber solange es niemand hörte ... Und für so ein großes Ziel durfte man einfach nicht überempfindlich sein. Denn das Buch versprach ja: "Wenn Sie die Übung regelmäßig durchführen, werden Sie letztendlich zum geistigen Meister des Universums, zum mentalen Mr. Universum, zum 'Gedanken-Schwarzenegger'."

      In dieser Nacht hatte Stefan einen phantastischen Traum. Er schwebte auf einer rosa Wolke durch das Weltall. In der Hand hielt er einen riesigen Dirigentenstab. Und mit dem dirigierte er die Sterne, die tanzten, so wie er ihnen den Takt angab. Am nächsten Morgen fühlte er sich aber keineswegs mehr großartig, denn er hatte die schlimmsten Befürchtungen, was ihm mit Frau Redlich bevorstände. Gottseidank hatte sie sich jedoch krankgemeldet; hoffentlich blieb sie möglichst lange krank.

      Kollege

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