Zwischen Lust und Flammenschwert. Werner Siegert

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Zwischen Lust und Flammenschwert - Werner Siegert

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möchte aussteigen!" bat sie schließlich. "Am nächsten Parkplatz oder so!"

      "Aber Sie wollen doch nach Hannover. Da können Sie doch noch ein Stück weiter mitfahren. Oder behagt Ihnen irgendetwas nicht? Fahre ich zu schnell? Sind Sie ängstlich? Oder ist Ihnen nicht gut?"

      "Nein, nein - damit hat das alles nichts zu tun. Es ist nur, ich weiß überhaupt nicht, wohin ich will. Was soll ich in Hannover? Das habe ich vorhin nur so gesagt. Weil Sie mich fragten, wohin ich mitgenommen werden wollte ...."

      Da hatte er den Schlamassel. Er hätte sie nicht mitnehmen sollen. Nicht seine Prinzipien durchbrechen sollen. Nicht aus Mitleid. Nicht aus irgendeinem anderen Grund. Nie. Niemals. Vielleicht ist sie eine Irre? Irgendwo aus einer Anstalt entwichen?

      Wenn man Parkplätze sucht, dann kommen keine. Schließlich aber doch. Mit WC, ein paar Holzbänken. Manche sogar mit Tischen. Und Mülltonnen.

      "Sie wollen doch hier nicht wirklich aussteigen, Frau Raphael. Hier können Sie nicht bleiben."

      "Ich geh' auf die andere Seite und fahre zurück!"

      "Aber Sie können nicht auf die andere Seite gehen! Da kommen Sie ja nicht lebend rüber. Außerdem über die Leitplanke ... die sind hoch und mit scharfen Kanten. Nein, das ist völlig unmöglich!"

      "Ich weiß sowieso nicht, wo ich hin will!" antwortete sie fast trotzig. "Warum machen Sie sich denn überhaupt Sorgen um mich. Ich kann Ihnen doch völlig egal sein."

      "Nein, Sie sind mir ganz und gar nicht egal. Ich spüre doch, dass Sie verzweifelt sind. Dass Sie nicht ein noch aus wissen. Da kann ich Sie doch nicht auf einem einsamen Autobahn-Parkplatz allein zurücklassen."

      Tiemann hatte es eilig. Einen Termin in Würzburg. Keine Zeit für ein mitfühlendes Gespräch. Für geduldige, neugierige und doch taktvolle Fragen.

      "Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir sind bald in Würzburg. Da habe ich zu tun. Ich bringe Sie zum Bahnhof. Von dort geht fast jede Stunde ein Zug nach München. Oder nach Hannover. Oder nach wohin Sie wollen."

      Die Frau war fertig. Fix und fertig. Kraftlos war sie auf der Bank in sich zusammengesunken. Er reichte ihr seinen Arm und geleitete sie wieder zum Auto.

      "Dass Sie nicht glauben, ich sei verrückt oder durchgedreht, lieber Mann. Sie müssen ja annehmen, ich sei krank oder so. Nein, ich bin einfach weggelaufen. Weggelaufen von zuhause. Eigentlich wollte ich das gar nicht. Ich wollte nur Einkaufen gehen. Nur Einkaufen gehen. Zu ALDI und zu Tengelmann. Morgens hat mich mein Mann wieder so fertig gemacht. Er war wieder so schäbig zu mir. Ich hab' mir gedacht, ich halte es nicht mehr aus. Wie ich über die Straße will, hält da ein Auto an. Der Fahrer lässt die Scheibe runter und fragt mich, wie er am schnellsten zur Autobahn nach München käme. Da kam mir die Idee, einfach mitzufahren. "Da will ich auch gerade hin - aber mit der Bahn!" hörte ich mich plötzlich reden. So als ob nicht ich gesprochen hätte, sondern irgendein anderer Mensch. Natürlich machte er die Tür auf und lud mich ein. "Wenn Sie keine Angst vor mir haben, fahren Sie einfach mit!" sagte er. Und schon saß ich in seinem Auto.

      Es geschieht ihm ganz recht, wenn ich nicht zurückkomme. Dann merkt er mal, was er an mir hat, habe ich mir gedacht. Zuerst fand ich das eine gute Idee. Es überkam mich wie ein Rausch: Endlich frei sein. Frei. Rausfahren. Wegfahren. Nicht fragen. Einfach fahren. Als wir so eine Stunde oder so unterwegs waren, dachte ich mir, ob wohl mein Mann unruhig würde. Quatsch, soll er doch. Nein, wenn schon, dann wollte ich ihm so richtig eins auswischen.

      In München bin ich in die erstbeste Trambahn gestiegen und habe bis zur Endstation gelöst. Da stand dann auch gleich ein Bus. Ich muss wohl tatsächlich irgendwie berauscht gewesen sein. Ich wollte nur fahren, fahren, fahren. Nicht stehenbleiben. Nicht nachdenken. Fahren. Einfach fahren. Durch die Scheiben gucken und alles an mir vorüberziehen lassen ...."

      Richtig gesprächig wurde sie plötzlich.

      ".... aber jetzt bin ich schon über fünf Stunden weg. Jetzt ist er sicher schon zur Polizei gegangen. Oder zu Nachbarn. Hat bei Bekannten angerufen. Meine Frau ist verschwunden. Hat sie jemand gesehen, wird er fragen. Vorhin, als Sie im Stau standen, da war mir, als wäre ganz plötzlich der Rausch verflogen. Von mir abgefallen. Da wurde mir klar, ich muss zurück. Ich kann ihn doch nicht so allein lassen. So mir nichts, dir nichts. Einkaufen gehen und dann nicht mehr wiederkommen. Männer gehen so weg. Abends zum Zigaretten-Automaten - und weg sind sie. Auf Nimmerwiedersehen."

      "Sie könnten telefonieren!"

      "Zu früh. Nein, er soll erst noch eine Weile zittern. Wenn er überhaupt zittert. Nur wegen der Ungewissheit. Wenn er wüsste, wo ich bin, so weit weg, Würzburg, mindestens ein paar Stunden, bis ich zurück bin, wär' er gleich bei seinem Flittchen. Toll, meine Frau ist weg. Sturmfreie Bude!"

      Tiemann nannte ihr noch das Hotel, wo er sich gleich mit seinem Verleger treffen würde. Für den Fall der Fälle. Dann nahm sie ihre Einkaufstasche und verschwand im Bahnhof.

      Was es so für Leute gibt, dachte er bei sich. Bis dass der Tod euch scheidet. Aber vorher durch den Vorhof der Hölle?

      Schlechtes Gewissen?

      Als Tiemann aus dem Hotel kam und sich von seinem Verleger verabschiedet hatte, war sie wieder da.

      "Aber Frau Raphael!" So laut brach die Überraschung aus ihm heraus, dass Dr. Kerkhoff sich wieder umdrehte und erstaunt Zeuge wurde, wie sich Tiemann mit dieser Frau unterhielt. Tiemann war das irgendwie peinlich.

      "Warum sind Sie denn nicht zurückgefahren? Da gibt es doch jede Menge schnelle Züge, ICE ..."

      "Erstens, weil ich meine Scheckkarte vergessen habe. Und zweitens wäre ich ohnehin nicht mehr bis nach Hause gekommen. Da fährt nichts mehr um diese Zeit! Und da dachte ich mir, Sie könnten mich wenigstens bis München zurückbringen - oder? Ich beteilige mich auch am Benzin!"

      "Aber ich fahre nicht zurück nach München. Ich könnte Sie bis Ulm mitnehmen. Nein, vielleicht bis Stuttgart. Denn ich will ein paar Tage ausspannen. Ich brauche dringend ein paar Tage Ruhe, Ausspannen, Chaos, schöpferisches Chaos. Die Seele mit den Beinen baumeln lassen. Irgendwohin fahren. Wenn's dunkel wird, einen Gasthof suchen. Ausschlafen. Weiterfahren - vielleicht. Chaos. Nach mir kräht sowieso kein Hahn! Aber Sie, werte Frau Raphael, werden bald von der Polizei gesucht. Und mit dem kleinen Gepäck, was Sie da mit haben, mit Ihrer Einkaufstasche, werden Sie nicht mal übernachten können!"

      "In München hätte ich eine Freundin. Bei der könnte ich bleiben! Das habe ich auch meinem Mann gesagt. Dass ich bei der Karin bliebe."

      "Und ich kann Ihnen Geld leihen, damit Sie sich eine Fahrkarte kaufen können! Übrigens, weiß die Karin von Ihrem Schmu? - Hier, rufen Sie die Karin an, damit sie eingeweiht ist."

      Er reichte ihr sein Handy. Wählte die Nummer für sie. Aber es kam keine Verbindung zustande.

      Er nahm die Autobahn über Ulm. Frau Raphael saß neben ihm. Ab und zu wählte sie die Telefonnummer ihrer Freundin. Immer ohne Erfolg.

      Keine Karin - kein Nachtquartier. Keine Karin - keine Möglichkeit ihres Mannes, dort anzurufen.

      "Gut, wir könnten zusammen ins Theater gegangen sein. Oder ins Kino!"

      "Aber morgen früh?"

      "Ruft er nicht an. Nicht, wenn er die Nacht bei seiner

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