Zwischen Lust und Flammenschwert. Werner Siegert

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Zwischen Lust und Flammenschwert - Werner Siegert

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und noch eine tolle Nacht in ein anderes Land entführt, von dem ich bis dato nichts, aber auch gar nichts ahnte. Danach habe ich auch diese Sprache gesprochen. Mein Pech: Er war Venezolaner. Und wir haben uns nie wiedergesehen. Keine Briefe. Keine Telefonate. Es war wie ein Märchen. Und erstmalig hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen. Aber mit Karl lief danach gar nichts mehr. Für Würstchen mit Kartoffelsalat war ich nicht mehr zu haben."

      Würstchen mit Kartoffelsalat. Wäre eigentlich ein guter Titel für den neuen Roman, sinnierte Tiemann vor sich hin. Raphaela - das hätte ich dir nicht zugetraut. Würstchen mit Kartoffelsalat.

      "Und für was wären Sie zu haben - ich meine rein theoretisch? Die Formulierung gefällt mir. Was wäre denn das Gegenstück, sozusagen die venezolanische Feinschmeckerplatte?"

      "Och Gott, Herr Tiemann, das war einmal. Das ist so lange her. Da spielt sich nichts mehr ab. Keine Austern, keine Spargelspitzen. Mir fällt dazu wirklich nichts mehr ein. Vielleicht ist das bei Frauen anders als bei Männern. Irgendwann ist der Tisch abgegessen, das Geschirr gespült und das war's dann. Man weiß sich zu beherrschen. Was bringt es schon, wenn einem köstliche Düfte durch die Nase ziehen, aber die Teller werden von den Jüngeren abgeschleckt. Da bleibt nichts als Trauer. Ich muss mich ja schon hüten, einen Cappuccino zu bestellen!"

      "Wie das?"

      "Ach, na ja, Sie lassen sich hier eine Sünde nach der anderen von mir beichten, und von Ihnen weiß ich so gut wie nichts. Na ja, der Cappuccino. Das war ein lustiger Italiener. Amore, amore, amore. Auch so ein Leckermäulchen - und dann, wenn die Tasse leer ist, arrividerci! Später hat er mir ein Gedicht geschickt, an meine Adresse zuhause. Wenn das mein Mann gelesen hätte! Irgendwo hab' ich es noch.

      An der Landesgrenze durchlief beide ein mulmiges Gefühl! Der Beamte nahm den Ausweis von Frau Raphael mit in sein Glashaus. Es dauerte ziemlich lange, bis er wieder heraus kam und ihr wortlos das Ding zurückgab. Doch keine Vermisstenmeldung? Wann prüft man schon das Grenzdokument einer älteren Dame? In Begleitung eines älteren Herren?

      "Übrigens - ich heiße Renate. Vielleicht sollten wir mal den Raphael begraben!"

      Tiemann kam diese Geschichte zu sehr in Fahrt. Natürlich blieb ihm nichts anderes übrig als seinen Thomas zu offenbaren.

      "Thomas Tiemann - Te-Te! Ein Namen wie ein Stabreim?"

      "Ja, so zeichne ich meine Artikel, mit TT! Aber ich mag den Thomas nicht. Es geht auch mit Tiemann und du."

      Was sollte sich schon noch aus dieser Story entwickeln? Ein untreuer Durchschnittsehemann, eine ebenfalls nicht treue Mama. Ein bisschen Cappuccino, Austern statt Würstchen mit Kartoffelsalat. Das gibt nicht allzuviel her. Auch nicht, wenn sich Frau Renate hintergründig lächelnd in Chur einen Cappuccino bestellt. Aus einem Nebenfach ihres Portemonnaies holte sie dann einen ziemlich abgegriffenen, tausendfach zerknitterten Zettel hervor:

      Cappuccinodu wollüstiges Getränk!Geschlürft in der quirligen Lust der Piazza!Musik, Farben, Temperament sprühen wie Springbrunnen der Wonne!Begehrende Frauen mit wiegenden Schritten!Begehrliche Männer mit lüsternen Blicken!Alles flimmert - auch in mir flimmertungestillt Sehnsucht.Der weiße Schaum mit der verführerischen braunen Haube,wie die Knospe einer weißen Mädchenbrust, überzuckert –mit der zärtlich tastenden Zungenspitze genascht ....das Vorspiel erst!Dann gleitet die Zunge in die Tiefe des Alabastergefäßes,dorthin, wo die sanfte Bitternis unbeschreiblichen Genusses lockt ....weißer Schaum des süßen Verlangens quillt zwischenlüsternen Lippen, rinnt hinab in den hitzigen Schlund ....Niemand weiß, was ich fühle und sinne,während ich unschuldig, langsam, genussvollmeinen Cappuccino, seine lustvolle Süßein mich hineinschlürfeund irgendwo, in einer Orchideenschluchtüppiger Tau quillt.Cappuccino will ich sein für ihn, den Geliebten!Meine weißen, zarten Alabasterhaubenmit ihren braunen Gipfelnsoll er zuckern und wonnevollden Schnee zwischen seinen Lippen zerschmelzen lassen.Tiefer soll er seine Zunge in mein schönstes Gefäß hinabsenken.Er soll das süßherbe Getränk kosten bis zum letzten Tropfen!Aber mich nicht lechzen lassen!Auch ich will lustvollen Schaum -überzuckert mit zuckender Lust.Cappuccino!TT

      Tiemann lächelte still in sich hinein.

      "Dem müssen Sie - oder du, da kann ich mich noch nicht so schnell dran gewöhnen, also, da musst du ihm aber eine wirklich schöne Nacht geschenkt haben, wenn er so talentiert in die Tasten greift."

      "Na ja, aber dann Arrividerci! Eben nur ein Cappuccino! Viel Schaum, etwas bittere Süße - und dann doch nur Milchkaffee!"

      Frau Raphael verabschiedete sich zu einigen Einkäufen. Schließlich kann man ein pastellgrünes Lucia-Kostüm nicht eine Woche lang tragen. Und für da drunter musste Jelmoli wohl auch etwas parat haben.

      Als sie sich wieder trafen, hatte Tiemann ein paar Buchhandlungen abgeklappert, hatte vergeblich nach seinen eigenen Büchern gefragt. Zuletzt konnte er nicht widerstehen, zwei kleine antiquarische Stiche "Durchquerung der wilden, tosenden Schlucht der Via Mala" zu kaufen. Für sein Hobby: Geschichte der Alpenübergänge.

      Genoss er es eigentlich, endlich mal allein - ohne die Raphaelin - zu sein? Ja und nein. Ohne sie wäre er wahrscheinlich in irgendeinem Alpendorf hängengeblieben, faul, und er hätte gewartet, bis eine Kerckhoff-genehme Story wie eine Flaumfeder auf ihn herabgeschwebt wäre. So hatte er mit seiner gereiften Anhalterin eine Geschichte "wia aus dem richtig'n Leb'n".

      Seine Siesta auf der Bank am Domplatz wurde dann auch jäh beendet von der fröhlichen Renate, bepackt mit drei prallen Kaufhaus-Tüten und der Erklärung, sie hätte ja auch Zahnpasta und Haarwaschmittel einkaufen müssen. Und so weiter.

      Drei pralle Einkaufstüten voll? Hoffentlich hatte da drin auch ein Kamm Platz!

      Bloß kein Doppelzimmer!

      In Thusis hätte sie ihre Einkäufe wesentlich preiswerter erledigen können. Hier waren aus irgendwelchen Gründen die Schaufenster voll mit Occasions-Aufklebern. Parkplätze waren allerdings Mangelware.

      So fuhren sie gleich weiter durch die tosende Schlucht der Via Mala und wurden von einer herrlichen Abendsonne im Schamsertal begrüßt, nachdem die steilen, furchterregenenden Felswände der Klamm den Blick freigegeben hatten.

      Tiemann kannte diese Landschaft – wie er sagte – in- und auswendig und liebte sie über alles. So lenkte er sein Auto zum Erstaunen seiner Beifahrerin sofort in Richtung Zillis.

      Ein absolutes MUSS! betonte er. Wer hier auf der Schnellstrasse vorbeidonnere, habe sich kulturell total und völlig disqualifiziert. Denn er könne entweder nicht lesen, habe in Kunstgeschichte eine Sechs (was in der Schweiz allerdings der deutschen Eins entspräche), hätte überdies keinerlei Phantasie, von religiöser Gesinnung einmal ganz abgesehen. Alpine Geschichte bliebe ja ohnehin immer mehr zugunsten banausenhaften Kilometerfressens auf der Strecke. Wer mache sich schon noch wirklich Gedanken darüber, was vor und nach einer Durchquerung dieser teuflischen Klamm in den überlebenden Menschen vor sich gegangen sein musste.

      Renate Raphael hatte stumm dieser explosionsartigen Vorlesung ihres Chauffeurs gelauscht, wusste aber zuletzt immer noch nicht, was denn nun diesem kleinen malerischen Dörfchen Zillis zu seinem Ruhm verhelfen könnte.

      Tiemann steuerte mit geradezu unziemlicher Geschwindigkeit den Parkplatz neben der Kirche an, stürzte Hals über Kopf aus dem Auto und auf die Kirchentür zu, ohne auf die etwas behäbigere Frau Raphael zu achten. Glücklicherweise gab die Klinke nach; denn im Inneren lauschte eine Gruppe den Erläuterungen eines Reiseleiters.

      "Die Beleuchtung, die Beleuchtung,

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