Auferstanden aus Ruinen. Florian Lettre
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herstellen, über den er sich unsicher war. Der Mann lachte wieder dieses harte Lachen.
„Ich hatte keine Zeit zu glauben. Meine Mutter war allein. Mein Vater hatte sie verlassen. Er hatte eine andere Frau kennen gelernt.“
„Wo sind sie großgeworden?“
„In Thüringen. In Apolda. Kennen sie die Stadt?“
„Nein. Ich kenne nur den Rennsteig. Sind sie schon lange hier im Dekanat?“
„Seid drei Jahren.“
„Macht ihnen die Arbeit Spaß?“
„Man lernt viele Leute kennen. Ich habe mich immer für Menschen interessiert.“
„Sind sie Psychologe?“
„Nein.“ Sie schwiegen eine Weile. „Jetzt wissen sie mehr über mich als ich über sie. Ich wollte sie kennen lernen.“
„Warum? Ich bin nicht interessant. Was haben sie für einen Eindruck von mir?“
„Ich glaube, dass sich unser Staat auf sie verlassen kann. Sie haben nichts zu verbergen.“ Florian war erleichtert. Sein Verdacht schien sich zu bestätigen.
„Es war nett, sie kennen gelernt zu haben.“ Florian wollte aufstehen.
„Ich würde sie gern noch etwas fragen.“
„Bitte!
„Wäre es ihnen recht, wenn wir uns wiedersehen?“ Florian wusste nicht, was der Mann von ihm wollte. Er hatte einen Verdacht. Es war nur ein Verdacht.
„Wenn sie wollen, komme ich wieder.“ Der Mann öffnete ein kleines Buch. Eine Art Notizbuch. Oder ein Kalender.
„Mittwoch in zwei Wochen? Wieder um fünfzehn Uhr?“
„Wieder hier?“
„Ja, wieder hier. Raum hundertundvierzehn.“ Der Mann stand auf und reichte Florian die Hand.
Florian stand wieder auf dem Flur mit den vielen Türen. Er ging am Pförtner vorbei und stand auf der breiten Straße vor dem Hauptgebäude der Universität. Er hatte geschwitzt. Er merkte das erst jetzt. Was war das gewesen? Plötzlich fiel ihm ein: Der hatte eine Akte über ihn gehabt. In der alles über ihn stand. Er hatte gedacht, niemand würde etwas von der Sache mit der jungen Gemeinde wissen. Wie hatten die das erfahren? Trotzdem durfte er nach der Oberschule gleich studieren. Er war bevorzugt worden. Man war großzügig gewesen. Was wollte man jetzt von ihm? Beim nächsten Mal würde er mehr wissen. Sollte er über die Studenten sprechen, die er kannte? Er würde nur Gutes sagen. Das war klar. Er würde niemand belasten. Warum hatte man ihn ausgewählt? Man hatte Vertrauen zu ihm. Es war gut, wenn die Vertrauen zu ihm hatten. Es konnte nicht schaden. Es würde vielleicht auch nützen. Man wusste nie, ob man die nicht brauchen könnte? Vielleicht war es einfacher, nach dem Studium eine Stelle zu bekommen. Die hatte Beziehungen. Der Mann war nicht unsympathisch gewesen.
11.
W.H. ließ sich bei einigen Vorlesungen vertreten. Von einem jüngeren Kollegen, der vom Blatt ablas. Ein Blatt nach dem anderen. Lange verschachtelte Sätze. Zu Hause ausgedacht und aufgeschrieben. Nicht der Gang der Gedanken und deren Aufleuchten in kurzen und längeren Sätzen und alles dienend der Darstellung eines Problems. Eines Problems, das interessierte. Das war W.H. Der war nicht da. Krank? Verreist? Oder etwas anderes? Etwas Grundsätzliches?
Florian arbeitete weiter an seiner Examensarbeit. Er hatte jetzt elf Seiten geschrieben. Er hatte ein Inhaltsverzeichnis. Er hatte eine Vorstellung, wie es weitergehen könnte. Er hatte ein paar Bücher, die er noch lesen musste. Manches war schwer zu verstehen. Manche Sätze musste er mehrmals lesen. Und war sich dann immer noch nicht sicher, ob er den Satz richtig verstanden hatte. Er versuchte, möglichst klar zu schreiben. Das hatte er immer gewollt. Das Problem sollte deutlich werden. Das Problem stand über allem. Ihm hatte sich alles unterzuordnen. Er wollte keine Sätze, die nicht zu verstehen waren. Er wollte nicht mit langen komplizierten Sätzen Eindruck machen. Er wollte durch die Erörterung eines Problems Eindruck machen. Durch die Vielfalt der Gedanken. Und durch die klaren Gedankengänge.
Dann war W.H. wieder da. Florian saß in seinen Vorlesungen und wieder war er begeistert von diesem Mann. Von der Klarheit seiner Gedankengänge und von ihrer Umsetzung in seiner Rede. Florian holte sich wieder die Stapel von Literatur ab und schrieb Zusammenfassungen. Er wusste, was W.H. las. Er wusste etwas, was nicht viele wussten. Die Sekretärin nickte freundlich, wenn er wieder etwas abgab.
W.H. winkte ihn zu sich nach einer Vorlesung. Er stand auf und ging nach vorn. Er stand neben W.H. und alle sahen das. Und dass sie zusammen durch die Tür gingen, durch die nur W.H. und einige seiner Mitarbeiter gingen.
„Ich möchte ihnen danken. Sie sind mit meiner Literatur beschäftigt. Das ist eine große Hilfe für mich. Ich weiß nicht, ob sie sich vorstellen können, wie schwierig es ist, die Literatur aufzuarbeiten. Ich habe sehr viele weitere Verpflichtungen. Als Direktor eines Instituts muss man sich um vieles kümmern. Die Mitarbeiter müssen betreut werden. Es gibt Spannungen zwischen den Mitarbeitern. Da muss man sich einbringen. Und dann habe ich auch eine Familie.“ Florian war gerührt von diesen Sätzen.
„Ist ihre Frau auch Germanistin?“ Er wollte näher an diesen Mann. Er wollte eine Beziehung zu diesem Mann. Er wusste nicht, ob der Mann ihm das übel nahm. Ob er das unpassend fand. Er sagte zunächst nichts und Florian war entsetzt. Wie hatte er so etwas sagen können. Aber dann sagte der Mann:
„Meine Frau hat bei einem Verlag gearbeitet. Jetzt ist sie zu Hause. Wir haben zwei Söhne. Um die muss sie sich kümmern. Sie würde gern wieder arbeiten.“ Vielleicht freute es den Mann, dass Florian sich für ihn interessierte.
„Wir haben uns Sorgen gemacht, als sie sich vertreten ließen.“ Der Mann lächelte.
„Ich schreibe an einem Buch. Ich brauchte etwas Ruhe. Ich kam nicht voran.“
„Und jetzt geht es voran?“
„Es sieht so aus.“ Der Mann stand auf und drückte Florian die Hand und sah ihn anerkennend an. Florian hatte jedenfalls so ein Gefühl. Er war sich nicht ganz sicher.
Er stand vor dem Institut. Er war so glücklich. Er hatte mit dem Mann gesprochen. Mit dem großen Mann. Daran war kein Zweifel. Ein großer Mann. Und so zugewandt. Fast wie ein Vater. Die Söhne waren zu beneiden. Die Gespräche mit diesem Vater. Das musste schön sein.
Florian gab seine Examensarbeit ab. In den letzten Tagen hatte er bis in die Nacht hinein gearbeitet. Nun war es geschafft. Und dann begann das Warten. Und dann kamen die Zweifel. Wie würde sie bewertet werden? Würde sie abgelehnt werden?
Florian hatte sechs Wochen gewartet und nichts hatte sich getan. Schließlich ging er zur Sekretärin und erkundigte sich nach seiner Examensarbeit. Sie lag noch bei W.H. Er hatte sie der Sekretärin noch nicht zurückgegeben. Florian wartete weiter. Und dann fand er einen Brief von der Universität vom Institut. Von W.H.
Gutachten zur Examensarbeit von Florian L.: Die Arbeit ist sehr umfangreich und sehr sorgfältig ausgeführt. Sie gründet sich auf ein ausführliches Studium der Literatur. Die Problematik