Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen. Christine Feichtinger

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Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen - Christine Feichtinger

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sah, überkam Irene das Grauen.

      Ein Grünspecht in seinem schillerndem Gefieder hatte sich vor ihren Augen, Zuflucht suchend, auf einen, wie mit Puderzucker angezuckerten Baum ihr gegenüber gesetzt, genauso, als wolle er sie wie ein Bote vom Himmel aufheitern und ihre Sorgen zerstreuen. Beim Anblick dieses kleinen Geschöpfes traten unvermutet ihre glücklichen Kindheits- und Jugenderinnerungen an diese einstmals blühende Stadt vor Kriegsbeginn in ihr Bewusstsein.

      Seit Kindesbeinen war sie glücklich gewesen, wenn sie mit ihren Eltern durch die pulsierende Stadt schlendern konnte, die vornehmen Bürgerhäuser, die Sehenswürdigkeiten der Stadt, den Leuchtturm, das Alte Rathaus bewundern oder mit der Straßenbahn Runden drehen konnte. Sie wuchs wohlbehütet im Kreise ihrer Familie auf und besuchte oft mit ihren Eltern die Museen, die Stadtbücherei, etliche Konzert- und Theaterveranstaltungen. Es wurde zur Gewohnheit, dass sie fast jeden Sonntagnachmittag, wenn das Wetter schön war, mit einem Picknickkorb Ausflüge ins Grüne oder eine Bootsfahrt mit dem Dampfer auf dem Inn unternahmen. Wie oft saß sie später mit ihren Backfischträumen stundenlang am Ufer des Flusses, sah den vorbeifahrenden Schiffen zu und wünschte, ihr Traummann würde ihr von einem der Dampfer zuwinken.

      Sie atmete die frische Luft ein und versuchte sich in diesem Augenblick der Ruhe und des Friedens kurz zu erholen. Trotz dieser sentimentalen Gedanken empfand sie diese Ruhepause wie ein geborgtes, trügerisches Geschenk, gönnerhaft von einem guten Geist ihrem Schicksal abgetrotzt. Bewusst versuchte sie ihr Leiden und das Elend der leidgeprüften Mitmenschen mit der ständigen Todesangst vor dem Sirenengeheul, herankommenden feindlichen Bombern, Hunger, Angst und Kälte, die Schmerzen der Patienten, der verwundeten, verstümmelten Soldaten mit zerfetzten Körpern in ihrem Krankenhaus und die übergroße Angst vor dem gewaltsamen Eindringen des Feindes auszublenden.

      In diesem Moment sah sie auf der Straße dick vermummte, abgemagerte, hungrige, entmutigte Frauen, bedrückt, ohne Hoffnungsschimmer mit ihren quengelnden, hungrigen Kindern an den Händen in der Kälte in Schlangen vor den Lebensmittelgeschäften angestellt. Als könnte ihnen ihr Kriegsspielzeug, nachempfundene Miniaturen von SA-Leuten, SS, Hitlerjugend, Hitler, Göring, Goebbels, Kanonen, Armeelastwagen, Kavalleriepferde, Panzer, in ihrer Angst helfen, umklammerten die Kinder es fest. Frierende alte Männer und Frauen, enttäuscht über die geringe Ausbeute trotz stundenlangen Stehens, zogen sich ihre warmen Hauben und Mäntel schützend an den Körper und ihr warmer Hauch stieg in der kalten Luft auf.

      Genauso wie sie selber hatten diese Menschen jede Sekunde Angst um ihr eigenes Leben und das ihrer Familie, wissend, dass jeden Augenblick alles, was ihnen lieb und teuer war, wie ein Kartenhaus in Schutt und Asche liegen konnte. In den Gesichtern dieser leidgeprüften Menschen widerspiegelte sich ihre eigene Angst, als wären alle Stadtbewohner durch Not und Elend zusammengeschweißt wie Brüder und Schwestern.

      Nie hätte Irene es für möglich gehalten, dass sie sich gerade jetzt in dieser angsterfüllten Stimmung verlieben hätte können und die große Liebe in Form eines jungen Patienten aus dem Gau Steiermark (früher Südburgenland) namens Karl Ertl in ihr Leben getreten war.

      Als Irene Schmidt Karl Ertl, welcher durch einen Granatsplitter verwundet war, das erste Mal in ihrem Krankenhaus sah, merkte sie, wie ein Schauer von Hitze und Kälte abwechselnd und wohltuend in ihrem Körper aufflammte.

      Wie verwandelt schwebte sie von einer Sekunde zur anderen in unsichtbare, himmlische Sphären, als wäre sie urplötzlich in eine andere Welt eingetreten. Ihr Herz schlug wie verrückt, ihr Pulsschlag erhöhte sich und sie spürte wie die Röte und die Hitze in ihr Gesicht schoss und ihre Hände zitterten. Am liebsten hätte sie diesen Augenblick lebenslang festgehalten und sich nicht von der Stelle gerührt.

      Für einen kurzen Moment drehte sie sich beschämt um, damit er ihre Gefühlsregung und ihre Verlegenheit, wie bei einer pubertierenden Göre, nicht bemerken sollte. In der Angst, sie hätte sich getäuscht, er wäre eine Märchengestalt und wieder unsichtbar, drehte sie sich wieder zu ihm um. Er lächelte sie unsicher an und seine großen, blauen Augen hafteten wie unschuldige Kinderaugen begehrlich auf ihrer brennenden Haut. In diesem Moment wusste sie sofort, dass er der Richtige war und sie sich insgeheim schon lange nach diesem Mann gesehnt hatte.

      In seinen Augen glaubte sie die Fähigkeit zu sehen, dass er tief empfinden, stürmisch lieben und jederzeit verzeihen würde können. Wie auf einer Wolke schwebend fühlte sie sich vom ersten Augenblick an zu ihm hingezogen, als würde sie ihn ewig kennen. Sie musste sich vehement gegen ihr innerstes Begehren wehren, denn, wie von einem warmen Maiduft nach langem Schnee und Eis dahingeschmolzen und befreit, wäre sie am liebsten zu ihm gegangen, hätte seine Hand gestreichelt, ihn liebevoll an sich gedrückt und ihm ein scheues Busserl gegeben.

      Seitdem Irene Karl das erste Mal gesehen hatte, brachen ihre Gedanken immer wieder wie von selbst aus und steuerten in eine schöne Scheinwelt. Oder war ihre Verliebtheit eine vorgegaukelte Scheinwelt und würde sie sich bald als trügerisch erweisen? Zwischendurch trat ein Gefühl der Unwirklichkeit ein, als ob sie alles nur träumen würde, sodass sie öfters versucht war sich zu zwicken, um festzustellen, dass alles real war.

      In der Folge begann sie nachzudenken, ob er sie lieben würde. Sie versuchte insgeheim in ihm Falschheit und Hinterlist zu ergründen, konnte aber keine Anzeichen finden. Vielleicht war ihr diese Scheinwelt als eine Art Schutzmechanismus und Überlebenshilfe vorgegeben, um in dieser grauenvollen Zeit nicht verrückt zu werden und instinktiv vor den Vorboten der Hölle zu flüchten.

      Aber vielleicht täuschten sie ihre Gefühle nicht und er würde genauso in sie verliebt sein und mit ihr sein zukünftiges Leben in guten und in bösen Tagen verbringen wollen?

      Mehrmals täglich erwischte sie sich, wenn ihre Gedanken bei ihm waren und sie ihn mit verstohlenen Blicken suchte, um wenigstens einen Blick von ihm zu erhaschen, oder sie sich aus unerklärlichen Gründen in seine Nähe stahl, denn wenn sie ihn nur ansehen konnte, war ihr Tag gerettet. Sie konnte sich diese bisher unbekannte Unruhe und Sehnsucht nach einem Mann nicht erklären. Es traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. So etwas war ihr bis jetzt noch nicht passiert.

      Irene war fest entschlossen, ihrem Glück Raum und Zeit zu geben, es wie einen geheimen Schatz in ihrem Herzen zu bewahren, um in äußerstem Herzeleid und Not ein klein wenig davon zu naschen, als Labsal für die Seele, um die Mühsal ihres Lebens besser zu überstehen und ihr Glück trotz des Schrecken des Krieges bewahren zu können.

      Immer öfters versuchte sie die ständige Angst und Sorgen in ihrem Kopf zu verscheuchen, um Freiraum für die neue aufkeimende Liebe zu gewinnen. Abends betete sie inständig, ihr kleines, geheimes Glück würde dem Verderben rundherum standhalten und ewig dauern.

      Als Karl Ertl nach einem feindlichen Angriff durch einen Granatsplitter verletzt, umringt von schreienden, wimmernden, verstümmelten, zerfetzten Kameraden und unzähligen Leichen da lag, hatte er zuerst nach kurzem Schock nicht seine eigene Verletzung, sondern nur sein Umfeld wahrgenommen. Er konnte den Anblick so vieler wimmernder Verwundeter, Freunde und Vertrauter, die er gut kannte, fast nicht ertragen, da er jede Gewaltanwendung und jedes Blutvergießen sowohl an Menschen als auch an Tieren verabscheute. Die Ohnmächtigkeit und die Gewissheit, dass er seinen verzweifelten Freunden nicht helfen konnte, ekelte ihn an.

      Als er verwundet im Wald lag, hätte er sich vor lauter Schmerzen am liebsten mit seinem Bajonett das verletzte Bein abtrennen wollen. Nachdem er von einem Priestersoldaten, welcher als Krankenträger fungierte und oft unter Einsatz seines Lebens selber Angriffsziel war, geborgen wurde, war er froh nicht übersehen worden zu sein, um nicht verbluten zu müssen. Die Sanitäter des Roten Kreuzes winkten mit einer Rot-Kreuz-Flagge dem im Tiefflug herannahenden feindlichen Flieger zu, um anzuzeigen, dass hier Verletzte seien. Der Pilot des feindlichen Fliegers verstand das Signal und schoss nicht. Während er geborgen und weggetragen wurde und sich schon in Sicherheit wähnte, wurde er wieder von einem Granatsplitter

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