Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen. Christine Feichtinger

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Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen - Christine Feichtinger

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darf ich Sie nach Hause begleiten.“ Der fremdländische Dialekt vermittelte ihr das Gefühl von erdiger Heimatverbundenheit. In diesem Moment sangen tausend zustimmende Engelsstimmen unter Schalmeienklängen im Chor für sie Jubellieder.

      Am liebsten hätte sie laut geschrien: „Ja.“ Sie unterdrückte einen Freudenschrei und verbarg ihre Freude. Kurz antwortete sie mit belegter Stimme „Ja“.

      Als Karl und Irene nachts durch die Stadt schlenderten, nahm er ihre Hand und drückte seinen Körper an sie. Sie wich ihm nicht aus, sondern sie genoss seine Gesellschaft und jede Berührung, auf die sie so lange gewartet hatte. Bei dem Gedanken, dass er mit diesen zärtlichen Händen vor kurzem noch am Drücker der MP unschuldige Menschen getötet hatte, zuckte sie kurz zusammen und bemühte sich sogleich diese Gedanken zu verscheuchen.

      Bald begann er sie an der Innenfläche der Hand zu streicheln, drehte sich zu ihr und küsste sie ohne Worte. Ihr Herz hämmerte wie verrückt in der Hoffnung, er würde ihre Nervosität nicht merken. Ihre Verwirrung wollte sie vor ihm verbergen. Er sollte nicht sehen, wie verrückt sie nach ihm war, denn es könnte der Eindruck entstehen, dass sie ein Flittchen und leicht zu haben wäre.

      Eine Weile schwieg er. Sie sah seinen warmen Atem in der kalten Nacht aufsteigen und wünschte er würde ihr sagen, was sie sich so lange ersehnte und auf ihrer Haut brannte, nämlich dass er sie liebe. Aber seine Gefühle in Worte zu fassen, schien ihm schwer zu fallen. Irgendwie schien er bedrückt und verlegen zu sein. Und im nächsten Moment fragte er unsicher: „Haben Sie schon einen Bräutigam.“ Sie verneinte, während sie ihn ungläubig ansah. „Wenn ich einen Bräutigam hätte, würde ich nicht mit ihnen hier gehen“, erwiderte sie energisch, fast gekränkt. Das Wort Bräutigam war ihr nicht geläufig. Sie bemerkte sein Aufatmen. Im gleichen Atemzug drückte er sie, als wolle er sich für diese Antwort und ihren Glauben an die Treue bedanken, an sich. Sie spürte seinen Herzschlag und wünschte, sein Herz würde in Zukunft nur für sie schlagen.

      Klammheimlich hatte sie schon länger der Gedanke gequält, ob seine Zurückhaltung darin begründet war, dass er etwa verheiratet wäre, und so nahm sie ihren Mut zusammen und fragte ihn: „Sind sie verheiratet?“ Er verneinte schnell, als wäre dieses Thema unangenehm für ihn und begann, bemüht um Gleichgültigkeit, vom kalten Wetter zu sprechen.

      Vor ihrem Haustor waren sie stehen geblieben. Er hatte sie fragend angeschaut und gewartet, ob sie ihn hereinbitten würde. Verlegen hatte er sie berührt und sie umarmt. Diese Liebkosung ließ sein Blut in Wallung geraten. Seine Umarmung erwärmte sie wie ein warmer Frühlingsstrahl.

      Diese erste warme, liebevolle Umarmung nach so langen Entbehrungen, Schrecken und Kämpfen an der Front tat Karl unsagbar gut. Es war wie Balsam auf seiner Seele. Die bösen Geister und das Grauen des Krieges verschwanden in diesem Glücksmoment wie von selbst. Er bekam weiche Knie und war unendlich glücklich. Alles hätte er dafür getan, um diesen wohltuenden Zustand ewig andauern zu lassen.

      Verlegen fragte er sie, ob er sich kurz in ihrer Wohnung ausruhen dürfe, seine Schmerzen im Bein hätten sich zurückgemeldet.

      In seinen Augen spürte sie seine Unsicherheit und Befangenheit. Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn stumm mit sich. Ihre Eltern waren nicht zuhause. In der Wohnung angekommen, bat sie ihn sich zu setzen.

      Irene und ihre Eltern waren noch nicht lange in dieser Wohnung. Nachdem der Vorbesitzer der Wohnung, ein Jude, den zunehmenden wirtschaftlichen Boykott, Entrechtung und Repressalien wie Dienstenthebung aller jüdischen Beamten, Schächtverbot, Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden über 5000 RM, Nichtariern der Besuch von Behörden untersagt wurde, Praxisverbot für jüdische Ärzte und Rechtsanwälte, die Reichskristallnacht, wo die Schaufensterscheiben von jüdischen Geschäften von SA-Trupps eingeschlagen, die Geschäfte geplündert, Juden geschlagen und verhaftet, die Aktionen von Hetzreden im Radio begleitet wurden, Juden weder Waffen besitzen noch führen durften, das Schulverbot für jüdische Kinder, Auflösung aller jüdischen Betriebe hinnehmen musste, verstärkte sich bei ihm und allen Juden die Angst, als ihnen am 6. 9. 1941 befohlen wurde, in der Öffentlichkeit einen gelben Stern zu tragen, welcher groß und deutlich auf den Mänteln und Jacken angebracht und ersichtlich gemacht werden musste, und bei Nichtbefolgung die sofortige Verhaftung zur Folge hatte. Wie oft hatte er sich überlegt unterzutauchen, aber wovon sollte er leben? Nachdem es ihn offiziell nicht gab, hätte er keine Lebensmittelkarten bekommen. Oder sollte er sich für Geld einen falschen Pass und Fluchthelfer besorgen und flüchten?

      Er wurde wie viele andere Juden, Roma und Sinti, Zeugen Jehovas, Körperbehinderte, Priester, Bibelforscher, Asoziale, Homosexuelle, mehrfach Vorbestrafte, Regimegegner, Kommunisten, Widerstandskämpfer u.a. verhaftet und deportiert. Durch die Vertreibung der Juden wurden viele Wohnungen frei, was auch Irenes Eltern zugutekam. Am 25. November 1941 erging die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, wonach alle deutschen Juden, welche emigrierten oder deportiert wurden, ihre deutsche Staatsangehörigkeit und ihr gesamtes Vermögen an das Deutsche Reich verloren. Der förmliche Beschluss zur systematischen Vernichtung der Juden (Endlösung) wurde wahrscheinlich auf der Wannsee-Konferenz vom 20. 1. 1942 getroffen.

      Karl sah, wie die Fenster der Wohnung zum Schutz vor feindlichen Bombern und zwecks erschwertem Auffinden der Ziele bei Nacht mit einer Verdunkelungsrolle vorsorglich verdunkelt waren, um dem Luftschutzerlass vom 23. 5. 1939 und 22. 10. 40 Folge zu leisten und nicht Gefahr zu laufen, angezeigt und von der Gestapo als Volksschädling verhaftet zu werden. Ebenso galt die Verordnung für Kraftfahrzeug- und Fahrradscheinwerfer. Auch sah er einen Wassereimer, Sandeimer, Handfeuerspritze, Schaufel und Spaten sowie den Koffer voller Dokumente, wenige Habseligkeiten, Stahlhelm, Gasmaske und nasse Tücher zum Schutz vor beißendem Rauch, ständig griffbereit zur Flucht, um sofort bei jedem Sirenengeheul in den Luftschutzkeller – Juden war der Zutritt verboten – zu flüchten, wo der Luftschutzwart für Ordnung sorgte und eine Respektperson war. Vom Reichsluftschutzbund und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt war Irene die Volksgasmaske ausgehändigt und in ihrer Handhabung unterrichtet worden.

      Während in anderen Wohnungen, wo die Wasserleitungen noch intakt waren, ständig in Eimern gesammeltes Wasser stand, gab es in ihrer Wohnung weder Wasser, Strom noch Gas, denn die Leitungen waren durch Bomben zerstört. Irene heizte den kleinen Herd ein, legte ein paar Scheiter Holz hinein und stellte das mitgebrachte Teewasser auf. Neben dem Herd lag ein Kochbuch mit sparsamen, „falschen“ Gerichten.

      Bald breitete sich wohlige Wärme aus. Die knisternden Holzscheite im Herd gaben eine behagliche, wohlige Wärme, während draußen die frierende Natur mit einem weißen Mantel von dicken Schneeflocken versehen sanft ruhend in den Winterschlaf eintauchte, um sich vor dem Erwachen des Frühjahrs auszuruhen und im Schoße der Mutter Erde neue Ernten zu gebären.

      Als Karl den Volksempfänger in Irenes Wohnung betrachtete, erinnerte er sich daran, dass Martha denselben zuhause hatte, welchen ihr Vater für 100 kg Weizen eingetauscht hatte. Insgeheim musste er lächeln. Als Martha ihren ersten Volksempfänger bekam, war sie so stolz und drehte ihn so laut auf, dass alle im Dorf hören sollten, dass sie einen Volksempfänger hatten.

      Wie oft, wenn Karl vom Volksempfänger die beängstigenden Nachrichten ob dem Näherkommen des Feindes in seine Heimat – sein Dorf lag in der Grenzregion zu Ungarn – hörte, fragte er sich, wie lange der Feind in Ungarn noch aufgehalten werden könne. Er hätte Lust gehabt Radio London zu hören, fürchtete aber, dass die Gestapo mit Sendepeilgeräten durch die Gassen fuhr.

      Als hätte der Volksempfänger eine unsichtbare Symbiose zwischen ihm und seiner Heimat hergestellt, spürte er instinktiv ein heimliches Verlangen, seine Lieben in der Heimat vor dem Feind zu beschützen.

      Der Duft von Kamillentee stieg in seine Nase. Während Irene in der Küche hantierte, trugen ihn seine Gedanken aus seinem Unterbewusstsein, wie eine Mahnwache, in seine Heimat. Wie oft hatte er mit Martha im Wald Kamille,

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