Schwingen des Adlers. Anna-Irene Spindler

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Schwingen des Adlers - Anna-Irene Spindler

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den Komplimenten trinkgeldheischender Barkeeper lauschte, die ihre Söhne sein könnten. Ja! Im Nachhinein war sie sehr froh, diesmal nicht auf ihre Tochter gehört zu haben. Die vergangenen zehn Tage waren großartig gewesen!

      Während der ersten Woche hatte die Sonne täglich von einem tief dunkelblauen Himmel gestrahlt, wie man ihn eigentlich nur von Postkarten kannte. Gleich am ersten Tag hatte sie sich eine Wanderkarte zugelegt und der Reihe nach jeden der bunt eingezeichneten Wege erkundet. Fest eingemummelt, wie anno dazumal Amundsen auf seinem Weg zum Südpol, zog sie jeden Tag los. Es lag zwar noch kein Schnee, aber es war so kalt, dass selbst mittags die Temperatur nicht über Null Grad anstieg. Das Strahlen und Glitzern der schneebedeckten Berge vor dem blauen Himmel war einfach überwältigend. Nachdem sie fünf, manchmal sogar sechs Stunden durch die Kälte gewandert war, hatte sie sich hinterher in der Sauna und dem Dampfbad des Hotels wieder aufgewärmt. Zweimal hatte sie sich sogar den Luxus einer Ganzkörpermassage gegönnt.

      Von diesem strahlend blauen Himmel war aber im Augenblick nichts mehr zu sehen. Seit gestern schneite es ununterbrochen. Das laute Krächzen einer Krähe, die über ihren Kopf hinweg flog und sich auf einem kahlen Baum am anderen Ufer niederließ, riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde hatte sie noch Zeit, ehe sie umkehren musste, um vor Einbruch der Dunkelheit im Hotel zu sein. Sophias Füße waren inzwischen ganz eisig geworden und so setzte sie mit flotten Schritten ihre Wanderung fort. Der Weg machte jetzt eine leichte Biegung und folgte nicht mehr dem Lauf des Baches. ‚Schade dass es gar so schneit‘, ging es ihr durch den Kopf.

      Bei klarem Wetter hatte man von dieser Stelle aus einen herrlichen Blick auf die Georgenspitze. Sie war knapp zweitausend Meter hoch. Aber da die Felswand höchstens vierhundert Meter vom Bach entfernt so steil anstieg, dass Bäume keinen Halt mehr fanden, wirkte sie unheimlich mächtig und beeindruckend. Auf ihrer Wanderkarte war ein Weg eingezeichnet, der sich in Serpentinen bis zur Spitze hinaufschlängelte. Sie versuchte durch die tanzenden Flocken hindurch den Pfad auszumachen. Vergeblich! Selbst an diesem extrem steilen Hang war alles von Schnee bedeckt.

      Plötzlich stutzte Sophia. Da hatte sich doch etwas in der Steilwand bewegt! Sie kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Tatsächlich! Da war jemand unterwegs! Es gab also noch mehr so unverwüstliche Frischluftfanatiker wie sie! Sie konnte es zwar nicht genau erkennen, aber sie vermutete, dass es sich um einen Tourenskigeher handelte. Nachdenklich betrachtete sie die Steilwand, die sich über dem Skiwanderer erhob. Sie hatte mit solchen Dingen wahrhaftig keine Erfahrung. Aber bei derartig viel lockerem Neuschnee eine so steile Wand zu durchqueren, erschien selbst ihr reichlich leichtsinnig.

      Die Infotafeln vor dem Fremdenverkehrsbüro informierten bereits am Vormittag, dass sämtliche Skipisten wegen Lawinengefahr gesperrt waren. Vor Wanderungen in höheren Lagen wurde ausdrücklich gewarnt.

      Ihre Augen suchten wieder den Tourengeher. Selbst wenn keine direkte Gefahr durch Lawinen bestand, war der Weg doch so schmal, dass man schnell einmal einen Fehltritt machen konnte. Der Pfad war ja auch noch unter der hohen Schneedecke verschwunden und sämtliche Konturen verwischt. Bestimmt war das wieder so ein junger, dynamischer Extremsportler auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Schmunzelnd schüttelte Sophia den Kopf und setzte ihren Weg fort.

      Aber nach ein paar Schritten hielt sie bereits wieder inne. Sie lauschte irritiert. Ein Geräusch wie das Rauschen einer starken Meeresbrandung drang an ihr Ohr. Sie hob den Kopf um den Ursprung dieses seltsamen Phänomens ausfindig zu machen. Dabei bemerkte sie eine dicke Nebelwand, die vom Fuß der Georgenspitze aufstieg. Dieser Nebel war gerade eben noch nicht da gewesen! Das rauschende Dröhnen kam aus dieser Nebelwolke. Plötzlich überlief es sie eiskalt. Es war kein Nebel! Es war eine Wolke aus lose aufstiebendem, wirbelndem Schnee, die rasch größer wurde. Hektisch irrten ihre Augen über die Flanke des Berges. Über die ganze Breite des Steilhanges war der lockere Neuschnee abgerutscht und der kahle Fels war zu sehen. Der Skiwanderer war verschwunden!

      „Oh mein Gott!“, entfuhr es ihr.

      Der Schnee hatte ihn mitgerissen! Entsetzt starrte Sophia auf die weiße Wolke, die jetzt nicht mehr nach oben stieg, sondern am Fuß der Georgenspitze auseinanderquoll, wie Rauch aus einem Reagenzglas. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie aus ihrer Erstarrung erwachte. Ohne die Augen von dem schaurigen Schauspiel abwenden zu können, versuchte sie den Reißverschluss ihrer Jacke zu öffnen. Vergeblich! Ärgerlich riss sie sich die Handschuhe herunter, öffnete die Jacke und suchte in der Innentasche nach ihrem Handy. Mit zittrigen Fingern gab sie den PIN-Code ein.

      „Mach schon!“, schrie Sophia ihr Telefon an und schüttelte es ärgerlich. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich einen vernünftigen Empfang hatte.

      Zum Glück war die Frau in der Notrufzentrale nicht von der langsamen, begriffstutzigen Sorte. Nach kurzen, prägnanten Fragen nach dem Was? Wo? und Wann? legte sie mit der tröstlichen Versicherung, sofort den Rettungsdienst der Bergwacht zu verständigen, wieder auf. Sophia steckte ihr Handy ein. Der aufgewirbelte Schnee am Fuß der Steilwand hatte sich fast schon wieder gesetzt. Fieberhaft wanderte ihr Blick über dem Gelände hin und her. Nirgends eine Spur! Panik stieg in ihr hoch.

      ‚Was, wenn die Bergwacht zu lange braucht ehe sie kommt? Was, wenn es zu lange dauerte ehe sie ihn finden?‘

      Sophia hob den Kopf. Ein entschlossener Zug lag um ihren Mund. Sie straffte die Schultern. Ohne weiter darüber nachzudenken stapfte sie los. Sie wusste, dass ein Stück weiter ein paar größere Steine aus dem Wasser des Baches herausragten. Über sie konnte man eventuell das andere Ufer erreichen. Als sie die Stelle gefunden hatte, zögerte sie keinen Augenblick. Sie machte fünf lange Schritte und schon stand sie auf der anderen Seite. Am Anfang war das Vorwärtskommen auch nicht schwieriger als auf dem befestigten Wanderweg. Aber je mehr sie sich dem Fuß der Georgenspitze näherte, desto anstrengender wurde es. Die herabgestürzten Schneemassen hatten die Pulverschneedecke soweit verfestigt, dass sie den Schnee nicht einfach wie trockenes Laub zur Seite schieben konnte. Bei jedem Schritt sank sie bis über die Knie ein und musste das Bein immer wieder mühsam herausziehen.

      Nach kurzer Zeit blieb sie vollkommen außer Atem stehen. Gespannt sah sie sich um, ob nicht irgendeine Spur des Verunglückten zu sehen wäre. Ihre Augen blieben an einer dunklen Stelle hängen. Ungefähr einhundert Meter vor ihr, unmittelbar unterhalb der Steilwand. Sofort setzte sie sich wieder in Bewegung. Da sie aber in ihrer Aufregung vergessen hatte, dass sie bis über beiden Knien im Schnee steckte, fiel sie der Länge nach vornüber. Es war ein sehr anstrengendes Geschäft, sich aus der weißen Pracht zu befreien und sie war schweißgebadet ehe sie wieder aufrecht stand. Ihre Augen starr auf den dunklen Fleck im Schnee gerichtet, arbeitete sie sich weiter vor. Inzwischen sank sie schon fast bis an die Hüften ein. Mühsam musste sie vor jedem Schritt einen Teil des Schnees mit den Händen zur Seite räumen, damit sie überhaupt ihr Bein wieder ein Stück weiter nach vorn brachte.

      Sie war gerade wieder dabei den Schnee zur Seite zu schieben, als ihre rechte Hand auf Widerstand stieß. Mit einer energischen Bewegung räumte sie das Hindernis zur Seite. Sie spürte einen heftigen Schmerz in ihrer Hand und zuckte mit einem leisen Aufschrei zurück. Quer über die ganze Handfläche zog sich ein Schnitt aus dem auch sofort das Blut in dicken Tropfen herausquoll.

      „So ein Mist!“, schimpfte Sophia.

      Sie kramte in ihrer Jackentasche nach einem Taschentuch und presste es auf ihre Hand. Mühsam schob sie mit dem Ellbogen den Schnee zur Seite, um zu sehen, woran sie sich geschnitten hatte. Ein Ski! Anscheinend hatte sie mit ihrer Hand ausgerechnet die messerscharfe Stahlkante erwischt. Sie ballte die verletzte Hand um das Taschentuch zu einer Faust und wühlte mit der Linken im Schnee. Aber an dieser Stelle lag offensichtlich außer dem einen Ski nichts weiter. Also setzte sie ihren Weg in Richtung Felswand fort. Allerdings ging es jetzt noch langsamer, da sie nur noch eine Hand frei hatte, um sich eine Bahn zu graben.

      Zehn Meter weiter fand sie den

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