Alte Männer - böser Traum. Linda Große

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Alte Männer - böser Traum - Linda Große

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war er selbst der Bürge. Vier Jahrzehnte, beginnend mit dem ersten Atemzug des Jungen, hatte er nichts dem Zufall überlassen.

      Sein Blick fiel auf den schweren, eichenen Schreibtisch. Er entstammte dem Besitz einer jüdischen Bankiersfamilie, hatte die Kristallnacht ohne nennenswerte Beschädigung überstanden, im Gegensatz zu seinem damaligen Besitzer. In Heinrichs Gedächtnis existierte diese Tatsache nicht. Es war sein Schreibtisch! Er stand ihm zu! Er hatte so viele Opfer gebracht in seinem Leben. Fast sechs Jahrzehnte hatte er gewartet auf die Morgendämmerung: Geduld geübt, Selbstbeherrschung bekundet, grenzenlose Selbstbeherrschung. Sogar auf die Macht, Leben zu geben und Leben zu nehmen verzichtete er von dem Tag an, als er die Uniform ablegen musste.

      „Das Volk braucht Führung“, drang die Stimme des Staatssekretärs in seine Überlegungen. „Es weiß nur nicht, wo es sie findet. Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren drastisch. Es gibt keine Alternativpartei. Wir werden sie schaffen. Erneuerung! Das ist der Auftrag!“

      „Der Auftrag der Vorsehung“, ergänzte Heinrich. „Wir werden ihn ausführen, wir sind bestens dafür gerüstet. Teilen sie das den Herren mit!“

      Kapitel 2

      11 Uhr 45, Samstag. Auftritt Plastrothmann! Wie immer ließ er sich für eine Nanosekunde durch das blecherne Gebimmel der altmodischen Ladenglocke ablenken. Als der Türdrücker ruckelnd die Tür hinter ihm zuschob, trat ein aufmerksamer Ausdruck in seine, gegen die Ladendecke gerichteten Augen. Dann senkte er gemächlich den kahlrasierten Schädel, während sein Blick an den Blumenkübeln entlang surfte, bis er an der Sorte hängen blieb, die er kaufen würde.

      Clea amüsierte sich verstohlen darüber, wie er seinen massigen Körper mit leicht mäanderndem Hüftschwung durch den Laden schob. Er war weit über 1,90m groß, allerdings kein Problem für ihren kleinen Laden: Altbau mit hoher Decke. Doch seine Riesenlatschen manövrierte er haarscharf an den Eimern mit den Schnittblumen und den Blumentöpfen vorbei, die nur eine schmale Gasse bis zur Ladentheke frei ließen.

      „Guten Tag, Frau Blume!“

      „Guten Tag, Herr Anwalt.“

      Dieser Teil des Rituals zeichnete nach wie vor eine Prise Verärgerung in ihre Mimik. Aber Plastrothmann schien absolut unsensibel zu sein, was die Gefühle seiner Mitmenschen betraf. Clea akzeptierte das eher zähneknirschend, schließlich war er seit der Geschäftsgründung ihr treuer Stammkunde. Samstag für Samstag. Acht Jahre lang. Acht lange Jahre! Und in wenigen Stunden würde ihr erster Urlaub beginnen. Zwei Wochen in Frankreich. Das bedeutete drei ganze Wochen ohne Plastrothmann!

      „Die Tulpen, bitte.“

      Das hatte sie schon vorher gewusst. Seine eingeschränkte Auswahl war durch die Jahreszeiten festgelegt. Tulpen, Nelken, Chrysanthemen. Rosen zu besonderen Anlässen. Und unbedingt mit Asparagus! Sie führte das Spargelgrün extra seinetwegen. Ihr freundlicher Hinweis, das Zeug sei Mega out, hatte ihn genauso wenig tangiert wie die schroffe Bemerkung, das “Frau Blume“ wäre einzig und allein für den Postboten reserviert.

      Und nun also gelbe Tulpen mit Asparagus. Plastrothmanns Mutter akzeptierte nichts anderes. Anscheinend hat der Mann seine Sturheit von ihr geerbt, dachte Clea, als sie ihm beim Abreißen der Folie den Rücken zuwandte. Absichtlich hantierte sie ziemlich ungeschickt herum, nur um den Moment hinauszuzögern, da sie ihn wieder ansehen musste. Meine Güte, dachte sie, meine Nerven liegen wohl wirklich ziemlich blank. Der Typ kauft doch seit Jahren jeden Samstag bei mir ein! Also zwang sie ein freundliches Lächeln auf ihr Gesicht und drehte sich um. Wortlos schlug sie den Blumenstrauß in die Klarsichtfolie ein, befestigte einige Kräusel aus gelbem Geschenkband und reichte ihm das fertige Gebinde über die Ladentheke.

      Er fingerte das Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner knallengen Jeans, deren Bund von seiner ausufernden Taille überschwemmt wurde. Als endlich die Ladentür hinter ihm und seinen gelben Tulpen mit reichlich Asparagus zufiel, fühlte sie sich plötzlich total erleichtert. Ein Blick auf die Uhr: Noch 42 Minuten bis Ladenschluss. Und Urlaubsbeginn! Drei Wochen ohne Plastrothmann! Einfach traumhaft!

      Marlies Wittke stürmte mit der ihr eigenen Vehemenz herein. Nur sie brachte die Türglocke derart unverkennbar zum Scheppern.

      „Na“, strahlte sie Clea an. „Schon ordentlich Reisefieber?“

      Ohne eine Antwort abzuwarten holte sie eine Flasche Sekt aus ihrem Korb und dazu zwei Sektgläser.

      „Eiskalt, gerade aus der Tiefkühltruhe. Ist reisefiebersenkend und steigert gleichzeitig die Stimmung!“

      „Du hast Ideen! Aber nur ein Glas. Ich muss nachher gleich als Erste fahren. Simon braucht sein Mittagsschläfchen. Auch im Auto!“

      „Das wird dir gut tun. Der Urlaub, meine ich“, sagte Marlies, alle wohlwollende Mütterlichkeit in ihren Blick legend, die sie aufbieten konnte.

      „Ich freu mich so“, sagte Clea, „bin schon ganz hibbelig. Ich war noch nie in der Normandie. Veules les Roses, das hört sich richtig romantisch an.“

      „Der richtige Urlaubsort für eine Blumenfrau“, meinte Marlies. „Es wird dir garantiert gefallen.“

      Mittlerweile war sie wirklich mehr als urlaubsreif. Der nötige Anstoß für diese Reise kam im Sommer letzten Jahres von Marlies. Ungewohnt enthusiastisch war ihre Beschreibung dieses kleinen, verschlafenen Ortes an der normannischen Steilküste ausgefallen. Allein der Name klang für Clea schon wie ein Gedicht: Veules les Roses. Sie bemerkte erstaunt, wie ihre Augen plötzlich feucht wurden vor lauter Dankbarkeit, räusperte sich und schlürfte verlegen ihren Sekt. Marlies, genauso sensibel wie laut, entging das trotzdem nicht. Sofort verfiel sie in einen burschikosen, fast ruppigen Tonfall.

      „Eigentlich wollte ich nur sehen, ob ich jetzt noch billig jede Menge Blumen absahnen kann, wo du doch so lange dicht machst!“

      „Klar doch“, antwortete Clea und kam hinter dem Ladentisch hervor. „Ist aber leider nicht mehr viel da. Das Schild mit der Urlaubsankündigung war äußerst verkaufsfördernd.“

      Marlies Wittke wartete geduldig bis Clea den Strauß zusammengebunden hatte.

      Kurz darauf rauschte sie mit einem Arm voller Blumen genauso vehement aus dem Laden, wie sie ihn betreten hatte. Augenblicklich wurde es greifbar still in dem, jetzt verödet wirkenden Raum. In den Eimern ruhten die dunklen Scheiben der ungetrübten Wasseroberflächen. Vereinzelte, abgerissene Blätter lagen unbeweglich auf den glatten Spiegeln. Die verbliebenen Pflanzen wirkten wie Eindringlinge zwischen den Spuren des Tages. Auf dem gefliesten Boden setzten grüne Sprenkel von Blattteilen ein unregelmäßiges Feierabendmuster. Clea drehte sich mit ausgebreiteten Armen um sich selbst. In einer Stunde fängt mein neues Leben an! Mit einem Supertraumurlaub!

      „1.September 39, da haben wir in Köln Dünnwald in Bereitschaft gelegen. Ich war Gefreiter Luft. Nachrichten. Mit allen Geräten. Da hatten wir einen Spieß! Hab mir immer gewünscht, das Arschloch würde mir noch mal über den Weg laufen!“

      „Simon“, unterbrach Cleas Stiefmutter ihren Mann, „muss das sein? Solche Ausdrücke in der Öffentlichkeit?“

      „Ist doch niemand hier, außer uns“, versuchte Clea sie zu beschwichtigten und schaute sich in dem leeren Speisesaal des Motels um. Ihr Vater ließ sich von seiner Frau nicht aus dem Konzept bringen: „Ich muss mich nicht dafür schämen, bei der Wehrmacht gewesen zu sein! Da gibt es andere! Rauhut hieß der Kerl. Walter Rauhut. ‘Ich – und – mein - Führer’, so stand der

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