Alte Männer - böser Traum. Linda Große

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Alte Männer - böser Traum - Linda Große

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war einverstanden.

      „Ist schon nach zwölf. Mir wäre auch nach Mittagessen. Danach könntest du weiterfahren. Langsam spüre ich meine alten Knochen.“

      Eigentlich war Clea überhaupt nicht hungrig. Sie konnte es kaum erwarten, endlich ans Ziel zu kommen. Doch leider befand sie sich in der Minderheit. Lilos Tonlage wechselte überraschend in erwartungsvolle Fröhlichkeit. Schließlich war die französische Küche bekannt für ihre Gaumengenüsse! Allerdings vertrat sie, rein verbal, in erster Linie die Bedürfnisse ihres armen Hundes.

      „Kaspar muss unbedingt Gassi gehen!“

      Drei zu eins, dachte Clea ergeben. Während Lilo den Hund an der Leine über den Parkplatz zu einem Baum zerrte, lehnte Clea sich mit dem Rücken an den Wagen und sah ihrem Vater zu, wie er einige halbherzige Kniebeugen machte. Der Parkplatz war ziemlich leer bis auf eine Reihe von Trucks.

      Sie beobachtete amüsiert wie ihre Stiefmutter Kaspar zum nächsten Baum schleifte. Anscheinend gefiel dem Mops der trostlose Parkplatz genauso wenig wie Clea.

      Eine Trostlosigkeit, die das Herz erwärmt! Marlies Wittkes Beschreibung ihrer Urlaubseindrücke fiel ihr plötzlich ein. Hatte so ungewohnt poetisch geklungen. Jedenfalls aus dem Mund von Marlies. Plötzlich zweifelte sie für einen Moment, ob die Wahl des Urlaubsortes wirklich die richtige war. Was hatte sie bloß an Trostlosigkeit anziehend gefunden? Allerdings erklärte Marlies anschließend sehr überzeugend, seit Jahren habe sie sich nirgends so wohl gefühlt und so gut erholt. Eine Entdeckung, eine wirkliche Entdeckung. Aber du solltest hinfahren, wenn die Rosen blühen! Die wiederholten Schwärmereien ihrer einzigen Freundin lösten dann allmählich den Wunsch aus, ihre seit acht langen, einsamen Jahren andauernde, selbst gewählte Isolation zu beenden. Mal wieder die Nase in die Welt stecken, in das Leben. Die wenigen Menschen, mit denen sie eher nur ein Hauch von zwischenmenschlichen Beziehungen verband, redeten ihr alle gut zu. Obwohl außer ihrem Vater keiner von ihnen den Grund für ihr selbst gebasteltes Schneckenhaus kannte, sagten alle irgendwie das Richtige. Et voila! Hier war sie also, in Frankreich!

      Als sie nach dem Essen die Autobahn verließen und auf schmaler, schnurgerader Landstraße Richtung Amiens fuhren, war Clea überrascht, wie hoch sich der Himmel über der flachen, baumlosen Landschaft wölbte. In Berlin sah sie ihn meistens nur Stückchenweise. Selbst vor ihrem Wohnzimmerfenster im dritten Stock eines typischen Berliner Altbaus, erschien er nur als schmaler Streifen über der Straßenschlucht. Ihr Vater hingegen wurde von ganz anderen Sachen angeregt. Die Hinweisschilder ließen bei ihm erneut alte Kriegserlebnisse lebendig werden.

      „Über Stadtkyll, Eupen, Malmedy sind wir rein. 15. November 39. Die erste große Panzerschlacht. Philippsville? Ich glaube, so hieß es. Die ersten Gräber! Meine Güte, ein Schock! Dann Amiens. Das war die richtige Feuertaufe. An der Somme von der französischen Artillerie eingedeckt. Von da nach Montedier, da bekam ich die Ruhr. Es ging auf Leben und Tod im Lazarett! Ist übrigens im Soldbuch bescheinigt. Kann ich dir zuhause mal zeigen. Sollte dann in die Heimat kommen, zum Aufpäppeln. Ging aber nicht, obwohl mir Genesungsurlaub zustand. Kam zurück zur Truppe. Die war in Amiens, in der Ecole St. Martin untergebracht. Da wurde ich dann Kradmelder. Eine Zeitlang den Cheffahrer vertreten, den Kommandanten gefahren. Danach wurden wir verladen, über Karlsruhe nach Sizilien.“

      „Nun hör endlich auf damit, Simon! Clea kann sich ja gar nicht aufs Fahren konzentrieren“, ermahnte Lilo ihren Mann. „Und außerdem redest du doch sonst nie über solche Sachen!“

      Stimmt, dachte Clea. Die Gegend muss bei ihm ja heftig Erinnerungen auslösen. Trotzdem kam ihr Lilos Ermahnung recht. Es fiel ihr wirklich schwer, sich auf die Hinweisschilder, das Fahren und Simons Erzählung zu konzentrieren. Außerdem lenkte die Aussicht sie immer wieder ab. Dazu stand auch noch die Sonne voll über der Windschutzscheibe und sie fühlte sich wie ein pochierter Rollbraten. Der Schweiß quoll aus sämtlichen Poren und sie lechzte nach einer erfrischenden Dusche. Für ein Bad im Atlantik war es um diese Jahreszeit wohl noch zu kalt. Lilo und ihre vertrackte Flugangst! Und natürlich Kaspars sensible Psyche! Vierzehn Tage in einer Hundepension hätten, nach Lilos Ansicht, den Hund unweigerlich in eine schwere und bleibende Psychose gestürzt.

      Wo sie diese Weisheiten nur her hat, fragte sich Clea zum wiederholten Male. Lilos Statements zu sämtlichen, für sie schwerwiegenden Fragen des Lebens, sorgten entweder für amüsante Momente oder peinliche Augenblicke. Dazu kamen sie meistens völlig unerwartet. In der Regel, wenn Simon und Clea total entspannt und zufrieden waren, nicht einmal den Hauch eines Problems erahnten. Aber Lilos Horizont reichte eben weiter, viel weiter. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie bei ihren häufigen Arztbesuchen regelmäßig diese Frauenblättchen las. Clea fragte sich, ob Lilo nicht bloß aus diesem Grund ständig den Arzt aufsuchte, nämlich um ungestört diese Heftchen lesen zu können, ganz ohne Gesichtsverlust. Bei dem Gedanken musste sie unwillkürlich kichern.

      „Mir ist das Lachen mittlerweile vergangen!“, meldete sich Lilo prompt. „Hier hinten ist es wie im Backofen. Umluftbackofen. Heiß und zugig! Sind wir nicht bald da?“

      „Beim letzten Hinweisschild waren es noch 16 km“, antwortete Simon. Er wischte sich erneut Stirn und Nacken mit seinem völlig durchweichten Taschentuch.

      “Wer ist bloß auf die Idee gekommen, mit dem Auto hierher zu fahren?“

      Lilo als kluge Ehefrau wusste, wann es angebracht schien, eine Bemerkung zu ignorieren und erwiderte nichts darauf. Sie durchfuhren gerade wieder einen kleinen, verschlafenen Ort. Hinter hohen Hecken reckten sich die Erker und Türmchen verträumt wirkender Häuser.

      „Richtige Schneewittchenschlösser“, staunte Clea. Schweres Gebälk rankte sich in anmutigen Schwüngen um die zahllosen, spitzen Giebel. Hinter einer Biegung eine hohe, gestutzte Baumreihe und überraschend plötzlich war der Ort zu Ende. Nur noch eine Fata Morgana im Rückspiegel. Ein Leinfeld in leuchtendem Gelbgrün veränderte unter einer plötzlichen Windbö seine Farbe. Wellenförmig erschienen sämtliche vorstellbaren Grüntöne auf der samtigen Fläche. Eine Möwe schaukelte mit dem Wind über dem Feld hin und her. Sie ließ ein aufgeregtes Kreischen hören, als gäbe es unter ihr irgendein Ärgernis. In einer Senke am Horizont lag das Meer.

      „Schau Kaspar, das Meer“, ermunterte Lilo den hechelnden Mops. „Gleich sind wir da!“

      „Jetzt eine kalte Dusche!“, verkündete Clea laut.

      „Und ich bin froh, wenn ich meinen BH endlich loswerde. Er schnürt mich fürchterlich“, stöhnte Lilo. „Mit zunehmendem Alter macht die Gravitation meinem Busen ganz schön zu schaffen!“

      „Gravitation?“, spöttelte Simon. „Laut Newton wirkt die auch schon bei Äpfeln. Und Apfelgröße hattest du zum Glück noch nie!“

      „Männer!“, sagte Lilo.

      „Väter!“, ergänzte Clea. „Je öller, je döller!“

      Während Lilo sich darüber wunderte, dass alle Häuser Namen hatten, konzentrierte sich Clea auf die Wegbeschreibung. Sie fanden ihr Ziel ohne Probleme in dem kleinen Ort. Das graue Feldsteinhaus ruhte wie ein gestrandetes Schiff in einem wunderschönen romantischen Garten. Rosen rankten über Zäune, Wände und Blumengitter. Terrakottatöpfe mit blühenden Geranien säumten den Kiesweg. Dahinter die üppigen Polster von Lavendel mit einem ersten leisen Hauch von Blau über den Knospen. Und noch mehr Rosen aller Art und Couleur.

      Der Weg verbreiterte sich und mündete in einen gepflasterten Hof. Mehrere schwere, weiß lackierte Tische mit den passenden Stühlen standen vor dem Haus, gusseisernes Rankwerk um Gestelle und Lehnen spiegelte die üppige Vegetation des Gartens wider. Kaspar schnupperte interessiert an einem Blumentopf und wollte gerade das Bein heben, als ihre Gastgeberin auf der Eingangstreppe

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