Alte Männer - böser Traum. Linda Große

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Alte Männer - böser Traum - Linda Große

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und schloss brav die Augen. Lange Zeit sagte er gar nichts und Clea begriff irgendwann, dass er wirklich zuhörte und wohl genauso fasziniert war wie sie selbst. Das stimmte sie versöhnlich und plötzlich fand sie ihn einfach nur sympathisch.

      „Weißt du, es ist doch wirklich toll wie die Steine damit umgehen, findest du nicht? Sie rollen einfach wieder in eine angenehme Lage zurück!“

      „Like a rolling stone!“

      „Oh, das ist gut. Lauter rolling stones. Rollende Steine sind laut! Laut rollende Steine. Das werde ich mir merken.“

      „Ich bin ein rolling stone“, sagte Jean-Paul. „Bist du auch ein rolling stone, Clea?“

      Sie schwieg eine ganze Weile auf seine Frage. Sicher wollte sie ein rolling stone sein, aber was ging ihn das an? Nach acht Jahren wurde es wirklich Zeit, dass sie wieder zu sich selber fand. Aber jetzt wollte sie daran wirklich nicht erinnert werden. Zumal die unvermittelt aufkeimende Angst ihrer Aufbruchsstimmung wirklich nicht gut tat. Und wieder war sie ärgerlich über Jean-Paul. Zum Glück beharrte er nicht auf eine Antwort.

      „Es wird kalt, das Wetter wird umschlagen. Kommst du mit zurück?“

      Clea nickte nur und so liefen sie wortlos nebeneinander her bis sie das Haus der Davids erreichten.

      Die alte Garde hatte es sich in den Sofas am Kamin bequem gemacht, in dem zu Cleas Erstaunen ein Feuer brannte. Jetzt erst bemerkte sie, wie ausgekühlt sie vom Wind war.

      Betty war nirgendwo zu sehen und auch Jean-Paul verabschiedete sich mit der Bemerkung, er müsse noch für zwei Klausuren in der nächsten Woche lernen.

      „Wann fahrt ihr zurück?“, fragte seine Großmutter.

      „Erst am Montag, nach dem Frühstück“, antwortete Henry David für seinen Sohn. „Ich habe erst am Nachmittag wieder Termine.“

      Claudine Schneider nickte zufrieden und sagte dann auf deutsch zu Lilo:

      “Im Sommer sehe ich die Kinder kaum. Und Jean-Paul will in den Semesterferien mit Freunden nach Griechenland. Betty bleibt immer bei ihrem Vater in Paris, jedenfalls bisher. Sie hat immer noch keinen Verehrer. Diese jungen Leute! Wollen nicht heiraten und wollen keine Kinder. Nur Karriere im Kopf.“

      Lilo sagte nichts dazu, schließlich hatte sie auch nie Kinder gewollt. Um von dem Thema abzulenken stellte sie Monique David die Frage, die sie nun schon den ganzen Abend beschäftigte, seit Henri mit Sohn und Tochter aus Paris angekommen war: „Betty ist doch kein französischer Name, nicht wahr?“

      „Nein, wirklich nicht“, antwortete Monique lächelnd. Das liegt an meiner Schulzeit in Deutschland. Unser Englischbuch, Peter Pim and Billy Ball. Billy hatte eine Schwester namens Betty. Ich fand den Namen so schön. Von da an sollte meine Tochter, wenn ich denn eine bekommen würde, Betty heißen. Nun ja, mein Mann hatte nichts dagegen, als unser erstes Kind dann wirklich eine Tochter wurde. Oder vielleicht ist ihm auch kein besserer Name für ein Mädchen eingefallen?!“

      „Nein, es ist wirklich ein hübscher Name“, befand Lilo. „Wo sind Sie denn in Deutschland zur Schule gegangen?“

      „Das war in Karlsruhe. Ich bin erst bei meiner Heirat mit Henri nach Frankreich zurück gekommen.“

      „Deswegen das perfekte Deutsch. Und ihre Kinder?“

      „Sie sind zweisprachig aufgewachsen. Und in den Ferien waren sie immer bei ihrer Großmutter in Karlsruhe. Maman ist erst nach dem plötzlichen Tod meines Vaters vor zehn Jahren zu uns nach Paris gezogen.“

      „Aha“, machte Lilo zufrieden. Ihre Neugier war fürs erste befriedigt.

      „Hatten sie denn nie Heimweh nach Frankreich?“, fragte nun Clea Moniques Mutter.

      „Oh, das ist schwer zu beantworten. Dazu müsste ich eine lange Geschichte erzählen. Und ich glaube, ihr Vater und ich haben in den letzten Tagen schon zu viele alte Geschichten erzählt.“

      „Nein, nein“, protestierte Clea mit wachsendem Interesse. „Ich finde diese alten Geschichten hochinteressant.“

      Sie schaute in die Runde. Doch nicht mal Lilo schien heute Einwände zu haben. So wandte sich Clea mit einer auffordernden Handbewegung an Mme Schneider.

      Die zierte sich nicht länger und fing unvermittelt an:

      „Ich war noch nicht mal 17, als ich mich in Konrad verliebte. Uniformen wirken auf junge Mädchen wohl sehr anziehend. Und er sah so gut aus. Dazu blond, mit blauen Augen. Nun ja, so nahm die Liebe eben ihren Lauf. In so einer kleinen Stadt wie der unseren blieb das natürlich nicht verborgen. Aber da unser Bürgermeister sehr lukrative Beziehungen zu den deutschen Offizieren unterhielt, hatten wir sozusagen den Segen der Obrigkeiten. Leider währte unser Glück nur wenige Wochen. Bis wir von den Alliierten befreit wurden. Da hat unser braver Bürgermeister dann ein Exempel an mir statuiert. Er ließ mir vom Frisör des Ortes, bei Anwesenheit einiger honoriger Bürger, den Kopf kahl scheren und schickte mich so durch die Stadt nach Hause.“

      Sie machte eine Pause. Es blieb ganz still im Raum. Nur das Knistern des Kaminfeuers brachte etwas Erleichterung in die lähmende Ruhe. Clea tat es jetzt leid, die alte Frau zum Reden animiert zu haben. Man konnte ihr ansehen, wie weh ihr diese demütigende Erinnerung tat. Plötzlich schoss Clea eine Erzählung ihres Vaters durch den Kopf.

      „Simon hat etwas Ähnliches erlebt, nachdem sein Vater verhaftet worden war.“ Alle Augen wurden nun auf Cleas Vater gerichtet.

      „Das stimmt“, bestätigte er. Gleichzeitig nickte er Claudine Schneider tröstend zu. „Nachdem mein Vater abgeholt worden war, bin ich mit der roten Fahne auf dem Fahrrad durch Storkow gefahren. Bei der zweiten Runde holten mich einige, ebenfalls sehr honorige Herren vom Rad und prügelten mich grün und blau.“ Er schaute in die Runde und fuhr dann fort: „Und genau diese ehrenwerten Herren sind von unseren russischen Befreiern wieder ins Amt gebracht worden. Mein Vater musste das miterleben, als er aus dem KZ kam. Seine heiß ersehnten großen Brüder aus der kommunistischen Sowjetunion brachten die Nazis seiner Heimatstadt wieder in Amt und Würden! Ich bin bis heute davon überzeugt, dass er deswegen ein halbes Jahr später starb. Ja, er ist an gebrochenem Herzen gestorben, nachdem er seine Ideale schon zuvor zu Grabe getragen hatte.“

      „Mein jüngerer Bruder hat ebenfalls ziemlich heftig reagiert“, nahm Moniques Mutter ihre Erzählung wieder auf, während ihre Tochter für Henri noch einiges von Simons Erzählung ins Französische übersetzte. „Wie alt war er damals? Noch nicht ganz vierzehn, ja im Juli ist sein Geburtstag. Er hat mit ein paar Freunden zusammen den Hund des Bürgermeisters entführt. Das war ein deutscher Schäferhund, ein wirklich prachtvolles Tier. Der ganze Stolz des Bürgermeisters. Die Jungen haben ihn also eingefangen und dem armen Tier den Hintern glatt rasiert sowie den ganzen Schwanz und den oberen Teil der Hinterbeine. Ich sehe ihn noch heute vor mir, sah aus wie ein Pavian. Aber das Beste war, sie haben auf seine beiden kahlen Hinterbacken mit Tinte zwei große Hakenkreuze gemalt. Danach brachten sie das Tier auf die andere Seite der Stadt und ließen ihn los. Auf seinem Weg nach Haus musste er die ganze Stadt durchqueren.“

      Clea konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Die Vorstellung war einfach zu komisch. Doch die alte Frau ließ sich nicht aus ihren Erinnerungen holen.

      „Aber es war genau so nutzlos wie ihre Fahrt mit der roten Fahne“, sagte sie zu Simon. „Zu dem Zeitpunkt war bereits die ganze Stadt davon überzeugt, ausnahmslos in der Resistance gewesen zu sein. Ausnahmslos, bis auf mich. Ich war ihr Alibi.

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