Alte Männer - böser Traum. Linda Große

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Alte Männer - böser Traum - Linda Große

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David, aufmerksamer Gastgeber, interpretierte ihr Seufzen falsch.

      „Eau de vie, Clea“, diagnostizierte er. „Ist die Bauch zu voll?“

      Clea musste lachen. Henris Deutsch war so miserabel wie ihr Französisch. Deswegen unterhielten sie sich wohl auch so ungezwungen zweisprachig, und wenn das nicht reichte, eben mit Händen und Füßen. Dazu kam noch sein mitreißender Charme, den Clea ganz ungezwungen genoss. Sein Sohn Jean-Paul besaß den gleichen Charme. Doch bei ihm hatte Clea das merkwürdige Gefühl, er meine sie persönlich. Natürlich glaubte sie aufgrund ihres, von Friedemann total zerstörten weiblichen Selbstwertgefühls, sie würde sich das nur einbilden, was allerdings keinerlei beruhigende Wirkung auf sie ausübte. Ganz im Gegenteil. So vermied sie ziemlich krampfhaft den Augenkontakt mit ihm, obwohl er direkt neben ihr saß.

      „Clea ist nur traurig, soviel alte Leute hier!“, widersprach Jean-Paul seinem Vater auf Deutsch und mit einem breiten Grinsen. „Sie braucht etwas Abwechslung!“

      Clea und Henri protestierten beide gleichzeitig. Doch Jean-Paul ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen, um der nun folgenden Einladung den nötigen Nachdruck zu verleihen.

      „Morgen Abend gibt es eine Fete, Freunde von mir haben hier eine Ferienvilla. Komm doch mit Clea, wir wollen den Rosenmonat feiern.“

      „Den Rosenmonat?“

      „Ja, der Juni ist der schönste Monat in Veules. Und gestern hat er angefangen. Wir treffen uns immer am ersten und am dritten Samstag im Juni hier. Juli, August gehört die Stadt den Touristen. Einfach ein furchtbarer Trubel. Und Mama hat dann auch gar keinen Platz für uns, alle Zimmer sind in der Hochsaison ausgebucht.“

      „Kommt Betty auch mit?“

      „Ja klar. Obwohl sie mit ihren fast 26 Jahren eigentlich schon zu alt für unsere Fete ist!“, neckte er Clea.

      „Wie alt bist du denn?“, fragte Clea spontan und genierte sich sofort für ihre direkte Frage. Doch Jean-Paul hatte kein Problem damit.

      „23 Jahre“, antwortete er bereitwillig. Au weia, dachte Clea. Das war noch jünger als sie gedacht hatte. Andererseits half ihr das, sein Angebot anzunehmen.

      „Okay, wenn es dich nicht stört, dass ich fast deine Mutter sein könnte, komme ich mit!“

      Jean-Paul schien das sehr komisch zu finden. Er sagte in seinem schnellen Französisch etwas zu seiner Schwester. Die zuckte nur die Schultern und wandte sich dann wieder ihrer Großmutter Claudine Schneider zu. Clea lehnte sich zufrieden zurück, nahm ihr Weinglas in die Hand, schnupperte genießerisch und steigerte damit die Vorfreude auf den nächsten Schluck. Die Gespräche um sie herum plätscherten wie eine kleine Melodie in ihrem Bewusstsein, erzeugten einen Moment des vollkommenen Wohlbehagens.

      Wie gut, dass sie diese Reise gewagt hatte. Alles war geradezu vollkommen. Sie fühlte sich zum ersten Mal seit langem frei, richtig frei. Jeden Tag der vergangenen Woche war sie durch Veules les Roses gestreift. Der Ort verzauberte sie geradezu. Dazu noch die langen Spaziergänge durch die Felder, oben auf den Klippen. Die steile Treppe aus Beton bei Sotteville, zernagt von den Wellen des Atlantiks. Trotz des Sperrschildes mit der Warnung vor der Einsturzgefahr, hatte sie es den Anglern nachgemacht und sich auf den steilen Abstieg begeben. Im unteren Drittel schwang sich die Treppe im Bogen um die Klippe und gab den Blick frei auf die lange, sichelförmig geschwungene Kreideküste von Fecamp bis Dieppe.

      Die weißen Klippen fassten das ruhig daliegende, grünblaue Meer ein. Sie hatte sich auf eine der hohen, zerbröckelnden Stufen gesetzt und dieses Bild auf sich einwirken lassen. Und musste lauthals herauslachen, als ihr mit einem Mal klar wurde, woran sie dieser konturierte farbige Anblick plötzlich erinnerte: An Waldmeisterfruchtgelee in einer weißen Porzellanschüssel! Ihr Lachen scheuchte einige Möwen auf, die mit missfallendem Meckern davon segelten und auf irgendeinem Felsvorsprung ihre verloren gegangene Ruhe suchten.

      Aber bei Moniques Küche war es wirklich kein Wunder, wenn ihr Gehirn solche Assoziationen hervorbrachte! Sie kehrte mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück und stellte erleichtert fest, dass niemand sie vermisste. Monique war in der Küche verschwunden. Betty als brave Tochter war dabei, das Geschirr abzutragen. Jean-Paul diskutierte ziemlich erregt über irgendetwas mit seinem Vater. Lilo hatte ihren Platz gewechselt, so dass Claudine Schneider jetzt zwischen ihr und Simon saß.

      Na, dachte Clea, da geht’s doch wieder um die gemeinsamen Kriegserlebnisse! Für ihren Abendspaziergang war es viel zu spät, draußen wurde es schon dunkel. Doch eine kleine Stippvisite zum Meer konnte nach der üppigen Abendmahlzeit keinesfalls schaden. Also verschwand Clea so unauffällig wie möglich aus dem großen Salon, holte sich eine leichte Jacke aus ihrem Zimmer, beruhigte Kaspar, der hinter der verschlossenen Tür leise anfing zu winseln als er sie hörte und schlich sich aus dem Haus.

      Es war sehr still, auffällig still, fand Clea. Als Großstädterin benötigte ihr Gehör immer eine ganze Weile, bis es die Geräusche der Natur wahrnahm. Doch die Düfte erreichten sie sofort. Obwohl sie leichter waren als in ihrem Laden. Nicht so schwül, ohne diesen Unterton von Verwesung. Den Geruch sterbender Pflanzen gab es um diese Jahreszeit nicht in Veules les Roses. Noch gab es keine verwelkten Rosenblüten, nur prall gefüllte Knospen, die farbige Signale durch die aufbrechenden, grünen Hüllen schickten. Und frisch erblühte Rosen in ihrer vollkommenen Eleganz und Grazie. Die schweren, aufgeblühten Exemplare, die ihr ganzes Innenleben ausschütten würden, mit den ersten bräunlichen Verfärbungen an den äußeren Blütenblättern, die brauchten noch einige warme Tage.

      Ich bin genau zur richtigen Zeit hier, dachte Clea glücklich. Sie lief die schmale Straße entlang, die am Kirchplatz auf die Hauptstraße mündete. In den schwarzen Schatten der Häuser glühten die Rosen- und Malvenblüten, gaben nur zögernd das eingefangene Licht des Tages her. Sie hörte Stimmen. Leises Lachen sprühte durch die Abendluft, schien in feine Tröpfchen zu zerstieben. In der Creperie brannte noch ein warmes, gelbes Licht. Draußen die vier kleinen Tische waren alle besetzt. Nur junge Leute, deren Ausgelassenheit von der Schönheit des Abends gezügelt wurde.

      Clea war dankbar dafür. Lärm passte wirklich nicht in ihre Stimmung. Aber das Meer machte Krach. Unüberhörbar stürzten sich die Wellen in die Steinwälle an der Promenade. Scheppernd, splitternd, kreischend, dumpf donnernd. Das Spektakel rollte ohrenbetäubend über den Platz und die Schallwellen brachen sich erst an dieser trostlosen Mietskaserne, deren Wohnungen größtenteils leer standen.

      Es war hohe Flut. Zum ersten Mal sah und hörte Clea, wie das Meer die ganze Breite des Sandstrandes eingenommen hatte und bis hinauf in die Steine brandete. Sie lehnte sich an die Balustrade und staunte über die Kälte des Metalls, geradezu eisig. Da erst fiel ihr auf, dass mit dem Wasser ein kalter Wind über das Meer kam, kalt und feucht. Der Blick in den Himmel zerstreute ihre Befürchtungen, Mond und Sterne blinkten, nirgendwo schwarze Wolkenfetzen am indigoblauen Abendhimmel.

      Sie entspannte sich wieder und konzentrierte sich auf die ungewohnt gewaltige Klangkulisse. Schließlich schloss sie die Augen, und da erst fiel ihr der Unterschied auf. Die heran rollenden Wellen lösten Chaos aus in den Steinen, daher diese überwältigende Kakophonie. Doch anschließend, nach einer fast unmerklichen und doch deutlichen Pause, wenn das Meer die Steine aus seiner Gewalt entließ, sich zurückzog, dann rollten die Steine. Alle zusammen und doch jeder seinen Weg, rollten sie zurück und betteten sich dann mit einem leisen Knirschgeräusch in den Sand ein. Clea war fasziniert, sie konnte gar nicht genug davon bekommen.

      Als Jean-Paul sie ansprach, erschrak sie richtig. Natürlich konnte sie ihn bei solch einem Geräuschpegel nicht kommen hören, trotzdem ärgerte es sie, so überrascht worden zu sein. Er schien das nicht zu bemerken, sein jungenhafter Charme machte ihn wohl wirklich immun gegen Verstimmungen und Ressentiments.

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