Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt

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Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt

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wurde das Gefühl nicht los, auf einem Esel zu reiten, der keinen Schritt vorankam, weil er sich als eiserne Statue entpuppte.

      In der Zwischenzeit belegte er das Schuppendach mit Teerpappe. Margotts Tod hatte ein seltsames Nachspiel gefunden. Jemand präsentierte ihm drei unbezahlte Bar-Rechnungen; eine aus der Mond-Bar, die beiden anderen aus dem Chéri. Papst erinnerte sich an keine von beiden. Er achtete nie auf Leuchtreklamen, da er sie für ein Zeichen westlicher Energieverschwendung hielt.

      Es war einjunger Mann mit krausen Locken und gelben Schatten in den Augenhöhlen, einen ganzen Kopf kleiner als er und ziemlich schmächtig. Er sah nicht so aus, als besitze er die Körperkräfte, seiner Forderung gewaltsam Nachdruck zu verleihen.

      „Ist dies Margotts Unterschrift?“, fragte er.

      „Woher soll ich das wissen?“

      Er erinnerte sich nicht, dass Margott jemals ein derartiges Papier unterschrieben hatte. Er hatte überhaupt nichts in seiner Gegenwart unterschrieben.

      „Woher haben Sie eigentlich meine Adresse?“, erkundigte er sich misstrauisch.

      „Manche Clubs fuhren Mitgliederkarten.“

      „Ich besitze keine solche Karte.“

      Margott musste sie in seinem Namen ausgefüllt haben, als er an der Garderobe war.

      „Sie werden im Club aufbewahrt.“

      „So? Na wennschon. Ich kann die Rechnung nicht bezahlen. Sie sehen doch, dass seine Unterschrift auf dem Papier steht. Wenden Sie sich an Margotts Verwandte.“

      „An Ihrem letzten Abend mit Margott, ich meine – als Sie in diesem Haus …“

      „Ja?“

      „Erinnern Sie sich, ob er in der Zeit vor seinem Tod einmal äußerte, verreisen zu wollen?“

      „Verreisen? Nein.“

      „Sprach er nie über seine Arbeit?“

      Papst hatte den Eindruck, der andere sei eher an Margotts Vergangenheit als an der Bezahlung seiner Rechnungen interessiert …

      „Selbst wenn er es getan hätte – warum sollte ich Ihnen darüber Auskunft geben?“

      „Oh ...“ Der junge Mann nestelte verlegen an einem halb abgedrehten Knopf seiner Gummijacke. „Es ist nur – weil Ihr Name auf den Rechnungen steht …“

      „Als Konsument. Ich war eingeladen. Margott unterschrieb.“

      „Immerhin wäre es noch zu klären, wer vor dem Gesetz …“

      Es handelte sich um einen Betrag von vierhundertachtundsechzig Mark, einschließlich Mehrwertsteuer – drei Flaschen Sekt, achtzehn Cognacs und Programm: nicht einmal übertrieben teuer nach Papsts Erfahrungen; aber er würde den Teufel tun, es zu bezahlen. Mehr gab er in einem ganzen Monat nicht an Taschengeld aus.

      „Wenn ich Sie recht verstehe, dreht es sich um ein Geschäft? Auskunft gegen Margotts Schulden? Er hat schon eine Weile auf bloße Zahlungsversprechen hin in den Clubs Ihres Chefs gelebt, und nun glauben Sie, dass er sich an eine geheime Adresse im Ausland absetzen wollte, wo mehr zu holen ist als bei mir oder in seinem Hotel. Ist es das?“

      „Gewissermaßen. Ja, so kann man es ausdrücken“, sagte der junge Mann erleichtert und sah ihn dankbar an.

      „Ich weiß nicht, ob er ein Haus in der Karibik besaß oder am Mittelmeer. Das alles entzieht sich meiner Kenntnis. Darüber wurde nie gesprochen.“

      Nachmittags, als er längst unverrichteter Dinge gegangen war, fiel ihm ein, dass Margott einmal seine Scheckkarte verloren und dass er ihn zur Ausstellung der Ersatzkarte in eine Bankfiliale an der Königsallee begleitet hatte. Es war pure Gefälligkeit, wenn er das Telefonbuch aufschlug, um den Barbesitzer davon zu unterrichten.

      Zu seinem Erstaunen entdeckte er, dass es im ganzen Stadtgebiet keinen Betrieb mit den Namen Mond- oder Chéri-Bar gab (es gab eine Fabrik Saul Mond, die Lacke und Farben herstellte). Er machte sich die Mühe, auch die Telefonverzeichnisse der Nachbarstädte zu überprüfen, ohne Ergebnis.

      Schließlich fragte er sich ratlos, welchen Sinn es wohl haben könnte, Rechnungsbeträge an Bars zu überweisen, die gar nicht existierten.

      Seine Übersiedlung war abgelehnt worden; vorläufig, wie man erklärte, da in seinem Spezialgebiet kein Arbeitsplatz zu finden sei. Der Beamte hatte um Nachsicht gebeten und zur Entschuldigung der Republik geltend gemacht, dass es nicht das Ziel sein könne, jemanden unter seinen Fähigkeiten zu beschäftigen.

      Papst fand einen kleinen Buchladen, der auch Schreibwaren verkaufte. Das Stellenangebot hing im Schaufenster. Der Lohn war gering; aber er hatte nichts weiter zu tun, als eintreffende Buchsendungen zu sortieren und gelegentlich dem Inhaber im Verkauf zu helfen, falls sich mehr als ein Kunde in den Laden verirrte.

      Immerhin lag das Geschäft in der Nähe eines winzigen Parks.

      Man sah seine hohen alten Bäume und weiß gestrichenen Bänke, wenn man an einer bestimmten Stelle des Schaufensters stand, und mit dem Inhaber, der sich in einem Teil seines Sortiments auf Fachbücher der „plastischen Chirurgie“ spezialisiert hatte, ließ sich auskommen. Er war nahe der Siebzig, ein Mensch mit strähnigem, weißem Haar, hager und gebeugt.

      Auf das Gebiet der plastischen Chirurgie war er gestoßen, nachdem ein Unfall seine linke Gesichtshälfte zerstört und einer jener „Bildhauer des Fleisches“ sie in erstaunlicher Weise wiederhergestellt hatte.

      „Jedermann muss sich heutzutage spezialisieren, erst recht in unserer Wirtschaft. Es ist wie in der Zigarettenwerbung. Obwohl sie beim Blindrauchen kaum zu unterscheiden sind, gaukeln alle Marken einem ein besonderes Etwas vor. Nur damit kann man sich verkaufen. Dieser Krempel hier – Schulhefte, Kriminal- und Frauenromane, ernährt einen Familienvater nicht mehr.“

      Papst erzählte ihm vorn Papstschen System der Sprachidentifizierung. Es war sein „besonderes Etwas“, mit dem er sich zu verkaufen hoffte. Aber irgendwie schien die Methode komplizierter grammatischer Strukturen und ihre Beziehung zur Worthäufigkeit Treudes Verständnis zu überfordern. Politisch dagegen hatte sein Alter keine Spuren hinterlassen. Er stand links. Da er auch das Neue Deutschland in seinem Zeitungsständer führte, gestand Papst ihm, dass er mit dem Osten sympathisiere.

      „Sehen Sie sich nur die Schlagzeilen an: Menschliche Erleichterungen, wohin man blickt“, sagte er. „Früher kaufte der Westen ihnen diese Zugeständnisse gegen Devisen und Kreditzusagen ab. Aber seit einigen Monaten hat sich eine Wende vollzogen. Die alten Herren im Politbüro haben ihr Herz für den Menschen entdeckt. Ein Sozialismus mit ‚menschlichern Antlitz’ – das ist jetzt keine bloße Redewendung mehr.“

      „Warten Sie ab, was die Russen dazu sagen“, meinte Treue.

      „Die halten still …“

      „Auch bei der polnischen Gewerkschaftsbewegung haben sie für lange Zeit stillgehalten.“

      „Das war ein anderer Fall. Damals gab es Tumulte, Arbeitsniederlegungen, Chaos ...“

      „Gefährlich daran ist das Beispiel für andere sozialistische Staaten. Neid,

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