Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt

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Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt

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und nach allem, was wir aus ihrer Geschichte wissen, wird der Konflikt bald mit russischen Panzern gelöst.“

      „Warum sollte man eine neunundvierzigjährige Frau daran hindern, zu ihrem einzigen Sohn, der am Rhein lebt, zu gehen?“, sagte er und schlug mit der Hand auf die Zeitung. „Hier ist es abgedruckt, im Neuen Deutschland.“

      „Eine Arbeitskraft weniger.“

      „Aber sie haben eingewilligt.“

      „Die Folge wird eine Serie von Anträgen neunundvierzigjähriger Frauen sein, deren Söhne in der Bundesrepublik leben.“

      „Es gibt Erleichterungen und niemand trägt einen irreparablen Schaden davon. Schließlich sind auch die Holländer nur ein Völkchen von vierzehn Millionen, und sie gehören doch zu den wohlhabendsten Europas.“

      „Sie wollen sagen, es dürften ihnen noch drei Millionen über die innerdeutsche Grenze weglaufen, ohne dass ihre Volkswirtschaft daran Schaden nimmt?“

      „Einige Journalisten im Westen spekulieren bereits über eine Aufhebung der Reisebeschränkungen.“

      „Zugegeben: sie zeigen ein erstaunliches Wohlverhalten.“

      „Gestern sind vierzig politische Häftlinge entlassen worden. Das ist Tauwetter in den internationalen Beziehungen.“

      „Und der Schießbefehl?“, fragte Treude.

      „Man kann nicht alles auf einmal haben.“

      „Was ist mit den Kettenhunden, den Minen im Todesstreifen?“

      „Es wird sich ändern.“

      „Warten Sie ab, was sie damit bezwecken. Der russische Bär ist verschlagen.“

      „So kann man immer argumentieren.“

      „Sie unterstellen also eine freiwillige Wende?“

      „Ich habe keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen.“

      „Es ist nur Ihr jugendlicher Enthusiasmus. In meinem Alter wird man misstrauischer.“

      „Denken Sie, was Sie wollen“, sagte Papst verdrießlich und wandte sich wieder seinen Bücherstapeln zu.

      Mittags, als er zum Essen fahren wollte, sah er von weitem eine Gestalt, die sich über die Motorhaube seines alten Opels beugte und mit den Händen im linken Radkasten fummelte. Da der andere ihn bemerkte, entfernte er sich in ein nahe liegendes Gesträuch. Papst erkannte eben noch, dass er eine überlange rotkarierte Flanelljacke trug, wie man sie aus Filmen von kanadischen Holzfällern kennt, und dass er leicht hinkte.

      Er beugte sich unter das Fahrzeug und musterte den mit Schlamm bespritzten Blechkasten. Dann das Gestänge der Radaufhängung und die Reifenprofile.

      Sicher einer dieser Verrückten, denen es Vergnügen macht, anderen die Reifen durchzustechen, dachte er.

      Obwohl er schon ein gutes Stück voraus war, folgte er ihm in das hohe Erlengesträuch. Schräg unter ihm flimmerte die rotkarierte Flanelljacke. Es war November, das Laub seit Tagen von den Bäumen, und die kalten Zweige peitschten sein Gesicht, als er sich unvorsichtig bewegte.

      Dann blieb sein rechter Schuh in einer sumpfigen Stelle stecken – und er gab auf …

      Unter ihm blinkten die Schienen und der graue Schotter eines Bahndamms. Papst sah den hinkenden Mann an der anderen Hangseite emporklimmen. Als er ihm in seiner Höhe gegenüberstand, hielt er inne und blickte sich um.

      Es war, als blecke er für einen Augenblick die Zähne. Dann machte er sich durch die Büsche davon. Papst war sich auf diese Entfernung nicht völlig sicher, aber er glaubte den Mann aus dem Büro des Kommissars erkannt zu haben, der schweigsam an der Rückwand gesessen und ihn nur hin und wieder mit kurzsichtigen Augen feindselig durch seine Brillengläser gemustert hatte.

      Er aß mit mäßigem Appetit, wo er immer speiste, weil es nahe der Treudeschen Buchhandlung und billig war: in der Kantine einer Limonadenabfüllfirma, deren Koch er kannte.

      Missmutig starrte er auf das Tellergericht hinunter, seine Gabel stocherte zwischen den Nierchen mit Kartoffelpüree. Man verdächtigte ihn, das Benzin über Margotts Bett gegossen zu haben, dessen war er sich jetzt ganz sicher.

      Es bedeutete, dass er mit dem Mädchen unter einer Decke steckte. Ohne ihre Hilfe würde er den Anschlag kaum bewerkstelligt haben können. Bestimmt verhörte man sie.

      Ein Grund mehr, das Land zu verlassen. Als Kind hatte es ihn schon nervös gemacht, wenn man ihn nur des Ladendiebstahls verdächtigte. Selbst heutzutage verunsicherte ihn noch manchmal der strenge, prüfende Blick einer Kassiererin.

      Gleichgültig – wie auch immer: ich habe mir nichts vorzuwerfen, dachte er. Ich bin keiner dieser armen Irren, die an einem Schuldkomplex leiden und früher oder später in ihr Unglück rennen. Panik lag ihm nicht.

      Er hatte in seinem kurzen Leben immer darauf geachtet, mit sich im reinen zu sein, und diese seelische Hygiene war es, die ihn gegen jede Unbedachtsamkeit feite. Wenn man dem anderen ein gewisses Maß an Achtung und Loyalität entgegenbrachte, lebte man in Ruhe und Frieden. Dass diese Haltung hier im Westen auf so unfruchtbaren Boden fiel, war ein weiterer Grund, warum es ihn zu den Deutschen auf der anderen Seite zog.

      Schließlich aß er doch seine Nierchen mit Püree. Jemand verteilte Flugblätter, als er beim Nachtisch war – gekochten Birnen – und eben den Saft auslöffelte. Er nahm das Blatt in die freie Hand und las es mit ausgestrecktem Arm. Es war ein Pamphlet gegen eine angebliche sowjetische Unterwanderung in Betrieben. Als Beleg für die nach wie vor unlauteren Absichten der Kommunisten wurde ein Zitat des Verteidigungsministers der DDR gebracht:

      „... die Soldaten im Geiste des Hasses auf den Klassenfeind erziehen.“

      Solche Reden schätzte Papst nicht. Sie waren ein rückständiges Mittel der Politik. Hass zu schüren, verriet im Grunde das ursprüngliche humane Anliegen. Beseitigte man Inhumanität, wie zum Beispiel Ausbeutung, durch Hass? Es sind Rückschritte, dachte er, aber sie werden durch weitere Schritte vorwärts mehr als wettgemacht.

      Spätabends wieder zu Hause, hatte er das unbehagliche Gefühl, jemand habe sein Zimmer durchsucht, obwohl alles an seinem Platz lag. Die Ordnung war so mustergültig, dass er Verdacht schöpfte. Sein Blick glitt über den Schreibtisch, den Füllfederhalter, ein Kästchen mit Büroklammern und Tintenpatronen. Er pflegte den Radiergummi immer mit der blauen Seite nach oben in sein Abteil zu stecken – und so lag er auch jetzt.

      Nichts schien verändert, doch alles atmete auf mysteriöse Weise „Durchsuchung“. So fängt es an, dachte er irritiert. Und das Ende würde ein Leben in der Anstalt sein. Diese Art von Wahn entwickelte sich schleichend …

      Er ging mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab, Hedda betrat sein Zimmer nie; er säuberte es selbst. Und den Kindern war der Zutritt verboten.

      Allerdings ließen sich die Hunde umso weniger verbieten. Es waren zwei lernunwillige schwarze Doggen, überfressen und dreist. Wenn die Türen offen standen, fegten sie durch sein Zimmer und hinterließen ein Durcheinander verdrehter Lampen, umgestoßener Stühle und herabgewirbelter Papiere. Doch diesmal lag und stand alles auf seinem Platz.

      Er wandte

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