Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt

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Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt

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      Er war neugierig auf sie. Dem fremden Namen nach zu urteilen, stammte sie aus dem Norden und mochte ebenso wie er auf die Seite des Sozialismus übergewechselt sein.

      Sie werden mir doch keine zänkische alte Jungfer zugeteilt haben?, überlegte er. Es wäre taktisch unklug. Nein, er hielt es für sicher, dass sie jung und hübsch war: das leuchtende Vorbild einer jungen Wissenschaftlerin, die sich dem rechten Weg verpflichtet fühlte.

      Aber nur kein Fanatismus, den konnte er nicht ausstehen. Ein gesundes Abwägen der Vor- und Nachteile war das ganze A und O. Er wusste, dass er drüben einer Reihe von Beschränkungen begegnen würde, an die er sich erst gewöhnen musste.

      Gut gelaunt nahm er den Koffer aus dem Schrank und begann seine wenigen Habseligkeiten einzupacken.

      Er hatte immer den Standpunkt vertreten, dass ein gewisses Pensum an Maßregelung nötig, ja unbedingt notwendig war, wenn man die sozialistische Gesellschaft verwirklichen wollte. Keine Maßregelungen um ihrer selbst willen. Im Grunde war dieses frühe Stadium des Sozialismus der Erziehung im Kindesalter vergleichbar. Wer auf Autorität und Unterordnung verzichtete, würde als einer dieser nervenschwachen Burschen enden, mit denen die westliche Gesellschaft mehr als gesegnet war.

      Man tat Kindern keinen Gefallen damit, sie antiautoritär zu erziehen. Dafür gab es genügend Belege.

      Und so musste auch der Erwachsene erst von seinem jahrtausendelangen Weg des Eigennutzes und der Habgier abgebracht und auf gemeinschaftliche Pfade gelenkt werden. Es war ganz natürlich, dass es dabei manchmal Fehltritte gab und der eine oder andere untergeordnete Funktionär übers Ziel hinausschoss. Er bedauerte, was an der innerdeutschen Grenze geschah. Das war nicht zu rechtfertigen. Er würde diese Meinung immer offen vertreten. Ebenso verabscheute er die Praxis der Ausbürgerung.

      Mit den Ausgebürgerten sammelte sich im Westen ein Heer von Intellektuellen, deren Ressentiments eine Gefahr für Frieden und Verständigung darstellten. Denn schließlich besaß jeder von ihnen Freunde und Verwandte im Osten, die ihre Meinung insgeheim teilten. So zog man sich das Rebellenheer von morgen heran.

      Der Abschied fiel ihm noch leichter, als er geglaubt hatte. Er besuchte seine wenigen Freunde, die meisten Studienfreunde oder Mädchen, mit denen er eine Weile zusammen gelebt hatte. Bei allen stieß er auf dasselbe Unverständnis. Gewiss: der Lebensstandard sei gestiegen.

      Allerdings solle eine simple Quarzuhr, die man in unseren Kaufhäusern für neunundzwanzigfünfzig bekomme, dort noch immer über vierhundert Mark kosten. Sie maßen alles an materiellen Werten. Nach ihrer Vorstellung flüchteten in das Bruderland auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs nur Asoziale und Kriminelle: Mörder, Betrüger – oder aber Halbidioten, die sich etwas erträumten, das nur in ihren Köpfen existierte.

      Er meldete seine Autoversicherung ab und verkaufte den Opel zu einem Spottpreis, da er ihn in Leipzig nicht benötigen würde. Bei einem Straßenbahnfahrpreis von zwanzig Pfennig wäre es eine unnötige Verschwendung gewesen. Nach den Unterlagen, die man ihm ausgehändigt hatte, wohnte er zunächst im Hotel Stadt Leipzig direkt gegenüber dem Bahnhof.

      Die Verbindung zur Bibliothek war günstig. Das Hotelzimmer wies auf einen eher überstürzten Entschluss hin, ihn nach Leipzig zu holen.

      Bis er eine angemessene Wohnung gefunden habe, wolle man ihm kein Zimmer in einem der zahlreichen Studentenwohnheime zumuten, da sie sehr einfach eingerichtet seien.

      Auf Wunsch sei es natürlich möglich, einige lägen nahe der Bibliothek an der Straße des 18. Oktober. Man rate jedoch ab. Die Hotelkosten übernehme der Staat. Papst hatte nichts gegen dieses großzügige Angebot einzuwenden.

      Von seinem erbärmlichen Zimmer trennte er sich ohne Bedauern. Es war die letzte Nacht, in der er von den im Wind quietschenden Brettern an der Außenwand geweckt werden würde.

      Ein Ton, der den Kindern Angst einjagte und die Hunde regelmäßig dazu herausforderte, mit ähnlichem Geheul zu antworten. Wenn er überhaupt irgendetwas nachtrauerte, dann der praktischen Arbeit im Garten. Nun würde sie für lange Zeit durch reine Kopfarbeit ersetzt werden. Das ungesunde Leben am Schreibtisch forderte seinen Tribut. Leipzig war, nach allem was er wusste, eine Stadt der Kultur.

      Hedda und den Kindern brachte er einen Strauß Blumen und zwei Schachteln Pralinen mit (die Hunde überging er in dem deutlichen Bewusstsein, sich so für ihr abendliches Heulen und Jagen wenigstens halbwegs revanchiert zu haben).

      Nach Papsts Eindruck war seine Schwester nicht sehr darum verlegen, dass er blieb. Ihr Händedruck wirkte merkwürdig kühl, als verabschiede sie ihn zu einer kurzen Reise. Niemals zuvor hatte er deutlicher das Gefühl gehabt, dass sie ihn für einen armen Irren hielt. Schließlich rief er seinen alten Professor an, der jetzt ein zurückgezogenes Leben führte und sich der Herausgabe einer „ersten vollständigen Ausgabe deutscher Schimpfwörter“ widmete.

      Papsts Ankündigung nahm er mit einem seiner chronischen Hustenanfälle auf.

      „Alles Gute, Papst“, sagte er. „Weiß Gott, ja, das wünsche ich Ihnen. Ich habe Sie immer für eine recht ordentliche Begabung gehalten, aber dieser Art von Sozialismus sein Leben zu verschreiben, ist ein großer Fehler.“

      Als er Freitagmorgen auf dem Bahnsteig stand – ein Novembermorgen mit der Melancholie des ersten Frosteinbruchs und stehendem Dunst in den kahlen Baumwipfeln –‚ versuchte er sich selbst vergeblich die Antwort zu geben, ob es ein Abschied für immer sein würde.

      Das Mädchen am Ende des Bahnsteigs erinnerte ihn an seine jüngere, früh verstorbene Schwester: strohblond und von zierlicher Gestalt, aber glücklicherweise ohne Margotts gerötete Albinoaugen, obwohl es eher ihm als Hedda glich.

      Ihr lustiger Pferdeschwanz wurde trotz des Regenschirms von wirbelnden Schneeflocken getroffen. Sie trug einen dunkelblauen, etwas zerknitterten Popelinemantel und stand dort im ersten Schnee jenseits der Bahnsteigüberdachung wie eine dieser entgegenkommen den Fremdenführerinnen, die sich trotz ihrer kalten Füße ein professionelles Lächeln abringen.

      Er stieg aus und ging auf sie zu, da sonst niemand auf dem Bahnsteig wartete.

      Ehe er ganz heran war und die Hand zur Begrüßung ausstrecken konnte, sagte sie: „Sie sind Herr Papst, nicht wahr? Ich erkenne Sie vom Bewertungsfoto.“

      Es erleichterte ihn, in ihr Gesicht zu sehen, das keine Spur von sozialistischer Sturheit zeigte – obwohl es etwas zu belesen wirkte nach seinem Geschmack, trotz des derben, beinahe bäuerlichen Zugs um den Mund. Aber keine dieser blutleeren Buchleichen, die er aus den Instituten kannte.

      „Und Sie sind Julia Johannsen.“ Genauso hübsch, wie ich sie mir vorgestellt habe, fügte er in Gedanken hinzu. Man würde keine alte Jungfer schicken. Es wäre ein schlechter Anfang. „Stammen Sie aus Schweden?“

      „Aus Norwegen. Ich bin in Levanger geboren, das liegt nördlich von Trondheim.“

      „Sind Sie schon länger hier?“

      „Erst sieben Wochen.“

      „Und Ihre ganze Liebe gehört dem Sozialismus – Sie haben hier noch keinen Freund, stimmt‘s?“

      „Ja. Aber wieso wissen Sie das?“

      „Die Partei plant und lenkt. Man hat es darauf angelegt, uns zusammenzubringen. Eine solche Bindung erleichtert den Anfang.“

      „Merkwürdig.

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