Eine Frau für Mama. Elmar Zinke

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Eine Frau für Mama - Elmar Zinke

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schiebt ihm ihren Montblant zu, akribisch füllt er sein Formular aus. Die Situation überfordert sie, ihr Lächeln deutet es an. Der Passuniformierte nahe dem Pensionsalter lichtet ihr Dokument ab, prüft misstrauisch die Übereinstimmung des Fotos mit der Person vor ihm, blättert seelenruhig nach der letzten freien Seite für den Einreisestempel. Auch die eigene Abfertigung empfindet von Klopp als halbe Ewigkeit.

      „Kommen Sie“, ruft er plötzlich ruhelos, greift den Arm seiner Reisebekanntschaft. „Wir schaffen es.“

      Nach einer Rundumdrehung hetzen sie die Rolltreppe hinab ins Erdgeschoss, es mangelt eklatant an sichtbaren Informationen, Fluggästen und Bediensteten.

      „Der Flughafen von Schanghai ist ein Geisterhaus“, fasst er seine Eindrücke zusammen.

      „Ich nerve mal“, sagt sie, läuft einem jungen Mann entgegen.

      An der Brusttasche seines weißen Hemdes zwickt ein Namensschild, seine Arme wirken überlang. Von Klopp stellt sich hinzu, das Nuschelenglisch des Mannes versteht er nur ansatzweise.

      „Was hat er gesagt?“

      „Closed“, sagt sie achselzuckend. „Good bye Bangkok. Wenigstens kriegen wir Tickets für die Mittagsmaschine.“

      „Was ist mit unserem Gepäck?“

      „Darum kümmert sich der Boy.“

      Ihr Kopf nickt in die Richtung des Angestellten, wenige Schritte entfernt drückt er auf seinem Smartphone eine Nummer nach der anderen.

      „Sehen wir die Angelegenheit positiv“, erfasst Heiterkeit sein Gemüt. „Der Zufall beglückt uns mit dem Reich der Mitte. Ich jedenfalls überschreite diese Grenze zum ersten Mal.“

      Sie verschränkt die Arme, ihr Kopf führt eine Regung wie zur Abwehr eines Insektes aus. Der Kopf birgt müde tiefdunkle Augen und eine schmale spitze Nase. Zwei Zöpfe bündeln das kräftig blonde und volle Naturhaar mit einem Trend ins Rotstichige. Die Haartracht hebt den stark ausgeprägten Hinterkopf hervor, festigt den Anschein einer Neigung ins Unkonventionelle. Ein rehbraunes Longarmshirt aus Seide, ein gleichfarbiges Stirnband und ein melonenartiger Hut im angegrauten Weiß markieren das Auffällige der Garderobe. Mitte Dreißig, denkt er, eher ein paar Jahre darüber als darunter.

      Beide folgen dem Angestellten in die benachbarte Halle. Ein Laufband bewegt Gepäckstücke durch menschenloses Gebiet, stärkt den öden Charakter des Flughafens. Von Klopps Koffer wirkt unverwechselbar durch das kräftige Rot, den Silberstreifen und einen breiten Gurt, das Auftauchen erscheint von Klopp rätselhaft. Er trägt ein Namensschild, denkt er, gewiss, aber wie mag ein chinesischer Arbeiter diese Schrift entziffern, zumal in der gebotenen Eile und eingedenk der Unmasse an Fracht. Offenbar dienen Glücksgriffe als taugliches Mittel, dem Unglück Einhalt zu gebieten.

      Von Klopp hievt sein Gepäck vom Band, eine Frau taucht neben ihm aus dem Nichts auf, klebt an den Koffergriff eine neue Banderole, nimmt von Klopps Pass zur Hand, reicht ihm eine Bordkarte. Kurze Zeit später ereilt der Mitreisenden derselbe Umstand.

      „Recht so“, legt sie ihre Gedrücktheit ab. „Stemmen wir uns nicht gegen das Schicksal. Bis zur Boardingtime verbleiben vier Stunden. Schon mal ein Höllentempo in luftiger Höhe gefahren?“

      „Ja“, versucht er sich im Originellen. „Mit dem Flugzeug.“

      „Das Flugzeug fliegt und fährt nicht.“

      „Wie Recht Sie haben“, lächelt er beschämt. „Da spricht wieder mal meine Mutter aus mir. Anstelle ´Fliegen´ sagt sie immer ´Fahren´. Ganz bewusst. Um meine Nerven zu kitzeln.“

      Sie schiebt ihre Unterlippe nach vorn, pustet Nase und Stirn Luft zu, sagt sachlich: „Fliegen oder fahren wir? Das stellt sich manchmal wirklich als Frage. Der Transrapid fährt in der Spitze dreihundert Sachen. Sportflugzeuge erreichen mit diesem Tempo die normale Reisegeschwindigkeit.“

      „Ich bin gespannt“, frohlockt er.

      Sie wechseln ausreichend Geld für die Fahrscheine, auf den Laufbändern nutzen sie die Gelegenheit zum Gehen. Der Transrapid sieht aus wie ein ICE, im Abteil mit über fünfzig Plätzen leistet ihnen eine Handvoll Mitreisender Gesellschaft. Die Beschleunigung drückt sie in die Sitze, an den Fahrzeugen auf der parallel verlaufenden Schnellstraße rauscht der Transrapid vorüber wie Autos an Pferdewagen. Nach zweieinhalb Minuten zeigt die Leuchtanzeige über der Abteiltür die Höchstgeschwindigkeit Dreihunderteins an. Mein Herz, denkt er. Wie rasch es heftig schlägt. Wie rasch es ins Unauffällige wechselt. Seine Augen gleiten zur Geschwindigkeitsanzeige, der leuchtende Zahlenwert sinkt unaufhörlich. Der Bremsvorgang spaltet sich in Sehen und Fühlen, hält er weiter Zwiesprache. Am Ende sehe ich den Stillstand durch die Zahl Null. Stillstand und Bewegung gleichen sich im Gefühl an.

      „Zieht es Sie gleich wieder zurück?“

      Das Ende eines Zopfes fegt über ihre Nasenspitze, sie fragt zurück: „Was meinen Sie?“

      „Essen wir einen Happen“, schlägt er vor. „Chinesisch essen in China lehrt uns bestimmt eine neue Erfahrung.“

      Vor dem Bahnhof senden beliebige Hochhäuser und Geschäfte ohne Glanz eine triste Vorortatmosphäre aus, an einem Achtzigmeterhaus gelobt ausgeschaltete Leuchtreklame in großen Formaten den Wandel in der Dunkelheit. Von Klopp frönt unbändiger Entdeckerlust, spart das Banale nicht aus. Sie geht wortlos neben ihm her, fingerzeigend weist er sie auf die Vielfalt der Kopfbedeckungen in der Frostkälte hin, mancherorts treiben sie ausgefallene Blüten. An einer verkehrsreichen Kreuzung streckt eine Ampel die Wartezeit. Er starrt zum roten Ampelmännchen, denkt an Bilderbuchmotive der Stadt. Sie beäugt von Klopps gezügelte Leibesfülle, die Geradlinigkeit der Nase, den gepflegten Dreitagebart, die schmalen Augen. Sie quellen vor Himmelblau über, schrägen sich an den Außenseiten.

      Er hält vor einer unscheinbaren Gaststätte, zwei großflächige Drachenbilder überkleben die Schaufensterfront. Im ersten Eindruck besticht das Lokal durch die behaglich kleine Räumlichkeit, im zweiten durch eilfertige Kellnerinnen. Eine Angestellte ganz in schwarz misst von Klopps Größe im Sitzen, händigt eine Speisekarte in Chinesisch aus, verneint kichernd die Ausführung in Englisch. Speisebilder bewahren die beiden Deutschen vor einer Zufallsbestellung und ausschließlich in Abhängigkeit des Preises.

      „Ich heiße übrigens Betty. Betty Winter.“

      „Natürlich, höchste Zeit, dass wir uns vorstellen“, sagt er, schützt seine Unsicherheit mit der Übertreibung seines Lächelns. „Mein Name ist Martin von Klopp.“

      „Verarmter Landadel?“

      „Hamburger Industriellenspross.“

      Ihr Gesicht drückt sichtbares Erstaunen aus, wie zum Ballauffangen hebt er die Hände.

      „Mein Name steht im Übrigen für eine Geschichte“, erklärt er heiter. „Eine Geschichte, die von einem Cocktail handelt aus höchst Privatem und rein Geschäftlichem. Mein Großvater mixte ihn als weitsichtige Maßnahme zur Förderung der Reputation. Und was sagt Ihr Name über Sie aus? Ihr Name klingt nach einem Künstlernamen. Nach Kunst.“

      „Nicht ganz falsch“, sagt sie, versucht sich erstmalig an einem Lächeln. „Wobei, zum Künstler taugen wir doch alle.“

      „Zum Lebenskünstler?“

      „Mein Wort lautet Daseinsakrobat.“

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