Wounded World. Tessa Koch
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Liam nimmt mir die Dose aus der Hand und öffnet sie für mich. „Ich wollte erstmal beobachten, wie sich alles entwickelt“, antwortet er schlicht. „Die Parasiten beobachten, wie sie sich verhalten und so. Denn wenn du ohne Plan versuchst hier wegzukommen, endest du als einer von ihnen.“ Er öffnet auch seine Dose.
„Das glaube ich zu gern.“
Wir schweigen beide. „Du scheinst ganz gut ausgerüstet zu sein mit deinem Waffengürtel da“, sagt er nach wenigen Minuten.
„Ja.“ Ich zupfe leicht an dem Riemen. „Ich fand ihn in einer Nachbarwohnung und dachte, dass es besser ist als nichts.“
„Es ist sogar sehr gut.“ Ich sehe zu Liam auf. Seine Augen leuchten. „Mit den ganzen Werkzeug kann man sie gut erledigen, ohne allzu viel Lärm zu machen. Ich habe nur das hier.“ Er stellt seine Dose beiseite und kramt in seinem Rucksack. Als er sich mir wieder zuwendet, hat er eine Waffe in den Händen. Ich zucke erschrocken vor ihm zurück und meine Reaktion entgeht ihm nicht. Seine Augen weiten sich verwundert. „Glaubst du wirklich, dass ich dich erschießen würde?“
„Ich – ich weiß nur, dass plötzlich nichts mehr so ist wie es mal war.“
„Da hast du wohl recht … Aber ich werde dir nichts tun. Ich beweise es dir.“ Er wendet sich wieder seiner Tasche zu und kramt solange in ihr, bis er eine weitere Waffe zu Tage fördert. „Ich habe sie einem Polizisten abgenommen, kurz bevor er als einer von ihnen zurückkam. Zusammen mit der Munition. Hier –“ Er hält mir eine der Waffen hin „– ich schenke sie dir.“
Ich zögere. „Ich weiß nicht mal, wie man mit sowas umgeht.“
„Es ist ganz einfach, ich zeige es dir.“ Er legt die Waffe auf seine flache Hand, sodass ich sie gut sehen kann. „Das ist eine Glock, sie wird häufig von der Polizei genutzt. Und sie ist gar nicht so beängstigend, wie du jetzt vielleicht noch glauben magst. Siehst du diesen kleinen Hebel hier, über dem Abzug?“ Er deutet auf Besagten und ich nicke. „Mit diesem entsichert man die Waffe. Jetzt ist sie gerade gesichert, da der Hebel unten ist. Wenn ich ihn nach oben schiebe, ist die Waffe entsichert und somit schussbereit.“ Er schiebt ihn mit den Daumennagel nach oben. „Das heißt aber nicht, dass wir jetzt gleich alle Deckung suchen müssen, denn es gibt eine weitere Sicherung. Und zwar diese Taste hier auf dem Abzug.“
Er deutet auf eine winzige Kunststofftaste, die auf dem eigentlichen Abzug liegt. „Das ist die Abzugssicherung. Nur wenn du diesen kleinen Hebel und den Abzug drückst, kannst du auch tatsächlich schießen. Ansonsten bleibt die Waffe gesichert. Du legst deinen Finger nur auf den Abzug, wenn du auch wirklich schießen willst, das ist wichtig. Dazu visierst du dein Ziel an, am besten immer einen Tick weiter links zielen als du zu treffen beabsichtigst, da die Waffe einen kleinen Rechtsdrall hat, und dann feuerst du. Wichtig ist, dass du immer den Rückstoß bedenkst. Er ist nicht besonders stark, aber wenn du zu nah mit deinem Gesicht an der Waffe bist, kann es im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen. Ansonsten war’s das.“
Er schiebt den Hebel wieder nach unten und reicht mir die Waffe. Ich halte sie spitz in meinen Fingern. „Woher kennst du dich mit sowas aus?“
Er zuckt mit den Schultern. „Man lernst so einiges mit der Zeit.“
Meine Brauen ziehen sich leicht zusammen, ich weiß, dass er mir ausweicht. Doch erstmal werde ich nicht weiter nachfragen. „Also entsichern“, wiederhole ich leise und schiebe den Hebel mit dem Daumennagel nach oben. „Ziel anvisieren.“ Ich blicke über den Lauf der Waffe auf einen der Parasiten, die noch immer auf dem benachbarten Dach sind. Bewusst ziele ich etwas weiter links des Kopfes. „Und den Abzug plus die Taste drücken.“ Mein Zeigefinger legt sich auf den Abzug. Ich halte den Atem an, dann drücke ich ihn durch.
Der Kopf des Parasiten zerplatzt, sein Gehirn spritzt über das Dach. Die Leiche fällt hinten über, gegen einen der anderen Parasiten, der zu fauchen beginnt. Auch die anderen schwanken nun zu dem Toten, doch als sie begreifen, dass er einer der ihren war, lassen sie wieder von ihm ab und wandern weiter ziellos über das Dach.
„Du bist ein Naturtalent!“ Als ich mich zu Liam umdrehe, sehe ich seine vor Überraschung geweiteten Augen. „Die – die wenigsten treffen gleich beim ersten Mal!“
„Bei dem Lehrer“, sage ich schüchtern und lege schnell den Hebel um. Dann lege ich die Glock zwischen uns auf die Decke. Sie macht mir noch immer Angst, doch vor allem beunruhigt mich das Gefühl der Macht, das mich durchströmt hat, als ich eben über das Leben des Parasiten bestimmt habe. Von einer Sekunde auf die anderen war er tot, meinetwegen. Und es hat sich gut angefühlt.
„Behalte sie.“ Liam blickt mich ernst an. „Ich schenke sie dir. Sie wird uns noch nützlich sein, glaube mir. Und ich fühle mich besser, wenn ich weiß, dass du dich notfalls schützen kannst.“ Er nimmt sie von der Decke und hält sie mir wieder hin.
Kurz betrachte ich die Waffe. Dann seufze ich leise und nehme sie ihm ab. Ohne sie mir noch einmal genauer zu besehen, stecke ich sie in die freie Schlaufe an meinem Gürtel. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du noch immer hier oben sitzt, wenn du zwei Waffen und Munition hast“, sage ich.
„Ganz simpel. Ich zeige es dir, komm mit.“ Er erhebt sich und hält mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen. Ich ergreife sie und lasse mich von ihm auf die Beine ziehen. Er geht mir voran auf den Rand des Daches zu, er tritt so nahe heran, dass er mit den Schienbeinen gegen die kleine Mauer stößt, die es rahmt. Ich stelle mich neben ihn und blicke hinab auf die Straße. Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte Parasiten befinden sich dort unten. „Ich hatte genug Zeit, um sie zu beobachten. Schau mal auf das Fenster dort, bei dem Café, ja?“
Ich sehe ihn verwundert an, um sicherzugehen, dass er mich nicht auf den Arm nimmt. Doch er schaut ernst drein. Also suche ich das Schaufenster, von dem er gesprochen hat, und fixiere es. Im nächsten Moment zerberstet es, Liams Kugel lässt das Glas in Tausende Splitter zerspringen. Der Lärm hallt durch die ganze Straße, vielleicht sogar durch ganz Washington. Sofort wenden sich einige der Parasiten dem Café zu, schwanken zu dem zersplitterten Fenster. Kurz darauf drängen sich Dutzende von den Dingern um das Café, entweder durch den Lärm dorthin gelockt oder durch die anderen Untoten in die Richtung getrieben.
„Lärm lockt sie an“, sagt Liam leise neben mir und beobachtet geradezu angewidert, wie sie sich gegenseitig schieben und drängen. „Und da sie nicht sonderlich intelligent zu sein scheinen, folgen sie den anderen, wenn sie meinen, dass die etwas Interessantes entdeckt haben.“
„Schwarmintelligenz“, flüstere ich.
Liam lacht leise. „Ja genau. Auf jeden Fall wäre es dumm zu schießen, wenn es nicht wirklich notwendig ist. Und da ich nur die Waffen habe, wusste ich bisher einfach nicht, wie ich ungesehen zu einem der Gullideckel kommen soll, um in der Kanalisation zu verschwinden.“
Ich betrachte noch immer die Parasiten, die sich eng aneinander drängen und frage mich, ob Adam und Clarissa bewusst ist, dass Lärm sie anlockt. Und ob die beiden es wohl geschafft haben. Mein Blick schweift über die Straße und bleibt dann an dem Polizeiauto hängen. Es steht direkt vor dem Eingang unseres Hauses, die Türen noch immer weit aufgerissen. Liams Worte wiederholen sich leise in meinem Kopf, als ich meine Brauen nachdenklich zusammenziehe und das Auto betrachte. „Und was ist“, setze ich langsam an, „wenn wir das ausnutzen?“
„Was ausnutzen?“ Er sieht mich von der Seite an.
Mein Blick ruht noch immer auf dem Polizeiwagen, eine Idee formt sich in meinem Kopf, ein Plan. „Alles.“ Ich reiße mich von dem Auto los und sehe ihn an. „Das mit dem Lärm und der