Mord(s)-Geschichten zwischen Nord- und Ostsee. Rainer Ballnus
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Читать онлайн книгу Mord(s)-Geschichten zwischen Nord- und Ostsee - Rainer Ballnus страница 4
Er riss ihr das Klebeband vom Gesicht, befreite sie von ihren Fesseln und hob sie vorsichtig hoch. Heike schluchzte hemmungslos und krallte sich an Frank fest. Er streichelte ihr immer wieder über ihr tränennasses Gesicht. Beide wussten nicht, wie lange sie so schon standen, da löste sie sich langsam von ihm und schaute ihn mit verweinten Augen an.
„Ich frier’ so, mein Schatz, bring’ mich irgendwohin, wo’s warm ist, ja?“
Er überlegte kurz und dann fiel ihm eine kleine gemütliche Kneipe mit einem verschwiegenen Wirt ein.
Wenig später stießen sie beide mit einem Glas Wein an.
„Auf unseren Hochzeitstag, Liebling.“
Sie schmiegte sich ganz eng an ihn.
„Auf unseren Hochzeitstag, mein Schatz.“
Sie küssten sich leidenschaftlich.
Plötzlich richtete sie sich auf.
„Unsere Gäste, Frank, die hab’ ich total vergessen. Und überhaupt, wie hast du mich gefunden? Warst du bei der Polizei?“
Ihre Fragen überschlugen sich. Er lächelte und schüttelte den Kopf.
„Es wartet niemand auf uns, Liebling...“
„Aber...“
„Das ist eine lange Geschichte, Schatz, die erzähl’ ich dir später. Aber nun zu dir. Ja, ich wollte gerade die Polizei alarmieren, da klingelte das Telefon. Deine Räuber hatten wohl Mitleid mit dir, jedenfalls haben die mir gesagt, wo ich dich finden kann und...“
„So was gibt es heute noch? Ich kann das einfach nicht glauben.“
Frank nickte.
„Ja, ja, seltsam ist das schon, aber egal, wir haben uns wieder, und ich habe eine faustdicke Überraschung für dich, mein Liebling.“
„Und ich erst, mein Schatz. Komm, lass uns gehen. Ich kann es kaum erwarten.“
Beide schauten sich tief in die Augen und vergaßen für einen Augenblick ihre Umgebung.
Ausweglos
Janette schaute zum wiederholten Male auf die Uhr. Vom schnellen Gehen war sie ganz außer Atem. Verdammt, es war gleich Mitternacht. Sie hatte sich in einer Diskothek in Bad Schwartau vergnügt und war spät dran. Der Landgastwirt, bei dem sie arbeitete und auch einquartiert war, führte ein strenges Regiment, und in Sachen Pünktlichkeit kannte er kein Pardon. Das hatte sie schon mehr als einmal zu spüren bekommen. Spätestens um elf hatte sie zu Hause sein sollen, aber sie hatte sich mit ihren Freundinnen regelrecht ‘verquatscht’. Die angehende Köchin zog sich ihren Pullover aus und fing an zu rennen. Sie hatte noch gute vier Kilometer zu laufen. In ihrer Phantasie sah sie ihren Chef vor sich, wie er tobte und schrie. Wahrscheinlich würde er ihr in punkto Freizeit für den Rest des Monats einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen. Wenn sie ihre Arbeit und die Gegend, insbesondere die Nähe zur Ostsee, nicht so lieben würde, dann wäre sie längst nicht mehr bei diesem Ekelpaket.
Janette blieb kurz stehen und lauschte. Motorengeräusch. Sie drehte sich um und richtig, in der Ferne kamen ein Paar Autoscheinwerfer schnell näher. Sollte sie es wagen? Urplötzlich hatte sie die warnende Stimme ihrer Mutter im Ohr. Kind, hatte sie immer gepredigt, fahre niemals per Anhalter. Bisher hatte sie sich auch immer daran gehalten, insbesondere auch deshalb, weil ihre beste Freundin erst vor kurzem nur knapp einer Vergewaltigung im Auto entgangen war. Aber die Zeit, sie saß ihre heute Nacht im Nacken. Nur zu gut wusste sie, dass sie ihre Stelle als Auszubildende riskierte. Mehr als einmal hatte der alte Fiesling mit der Kündigung gedroht. Der Wagen hatte sie fast erreicht. Sie musste sich entscheiden. Zaghaft hob sie ihre Hand und starrte in das grelle Scheinwerferlicht.
Mitternacht war vorbei. Kommissar Schmidtke gähnte laut und reckte sich. Er hatte sich am Wochenende die Zeit als ‘Kommissar vom Dienst’ vor dem Fernseher vertrieben, und eigentlich hatte er eine Vorliebe für alte Krimis, doch heute war er irgendwie abgeschlafft, und mehr als einmal waren ihm die Augenlider zugefallen. Seine Frau war längst ins Bett gegangen und sicherlich schon im Reich der Träume, und auch er hoffte jetzt auf eine ruhige Nacht.
Auf dem Weg ins Bad klingelte das Telefon. Innerlich fluchend nahm er ab, doch nach wenigen Sekunden war der alte Fuchs hellwach.
„Sorgen Sie dafür, dass das Mädchen sofort ins Krankenhaus kommt. Ich fahre auch dort hin, okay?“
„Sollen wir den Tatort absperren?“, fragte der Polizist am anderen der Leitung.
„Ja, natürlich, und achten Sie auf die Spuren. Bis später. Halt, noch etwas, die Fahndung. Wenn’s was Handfestes gibt, raus damit!“
Schmidtke knallte den Hörer auf die Gabel und schaute in den Spiegel der Flurgarderobe. Jetzt war er in seinem Element. Unwillkürlich dachte er an seine Tochter, und Zorn überkam ihn bei solch einem gemeinen Verbrechen.
Eine halbe Stunde später stand der Chef-Ermittler am Krankenbett von Janette. Sie sah ziemlich zerschunden aus. Mehrere tiefe Kratzer waren mit einer Tinktur desinfiziert worden. Er hatte vorher mit dem Arzt gesprochen. Von ihm wusste er, dass das Mädchen wohl noch glimpflich davongekommen war und keine ernsthaften Verletzungen erlitten hatte, auch nicht im Intimbereich.
„Von meinem Kollegen weiß ich, dass du aus der Diskothek kamst, als das passierte.“
Das Mädchen nickte.
„Wie war das mit dem Fahrer, Janette, hat der dich angesprochen?“
Diesmal schüttelte die Verletzte den Kopf.
„Du bist also per Anhalter mitgefahren?“
Und wieder nickte das Mädchen, ein wenig verschämt. Der Kommissar lehnte sich zurück. Aus Erfahrung wusste er, was jetzt auf ihn zukam. Aber er hatte Geduld. Und wieder drängte sich ihm das Bild seiner Tochter auf, und wieder hatte er eine gehörige Portion Wut im Bauch. Nach gut einer Stunde wusste er alles, was für ihn wichtig war. Er nahm ihre Hand und streichelte ihr die Wange. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Draußen holte Schmidtke erst einmal tief Luft und schwang sich in seinen Dienstwagen. Über Funk gab er der Einsatzzentrale seine Order: „Aktualisieren Sie die Fahndung wegen der versuchten Vergewaltigung wie folgt…“
Voller Tatendrang gab er anschließend Gas. Sein Ziel war der Tatort.
Leo Schmidtke raufte sich die Haare. Drei Wochen Ermittlungen unter Volldampf, aber es war wie verhext, es gab keine einzige Spur, bei der es sich auch nur im Ansatz gelohnt hätte, sie zu verfolgen. Und das war es, was ihn besonders fuchste. Der Kerl konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben. Es hatte in den letzten Tagen sogar Momente gegeben, in denen er ernsthaft überlegt hatte, den Fall abzugeben, doch dann hatte ihn wieder der Ehrgeiz gepackt, diese Nuss selbst zu knacken. Aber er war keinen Schritt weitergekommen, und heute musste der Kommissar es sich eingestehen: Das war ein ungeklärter Fall für die Staatsanwaltschaft, und das war für ihn bitter genug.
„Du bist nicht der erste in der Kriminalgeschichte, den dieses Schicksal ereilt“, meinte sein Vertreter ironisch, mit dem er den Fall mehr als einmal ‘durchgekaut’ hatte,