Sieben Leben. Stefan Kuntze

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Sieben Leben - Stefan Kuntze

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bis zu seinem Lebensende begleitet und bei jeder Wiederholung mit geradezu spitzbübischer Freude erfüllt haben.

      An solchen Darbietungen lag es nicht, dass Marianne ihm sehr bald zu verstehen gab, sie sei an einer Liebesbeziehung derzeit nicht interessiert. Vermutlich stachelte ihn das eher an. Sie sprach von einer großen Liebe und der Enttäuschung über deren Verlust, die sie aus Berlin mitgebracht habe, weshalb die Avancen des neuen Freundes noch nicht willkommen seien.

      Tanzen konnte Karl gut, schreibt Marianne weiter. Es half ihm bei der vorsichtigen Annäherung an die Angebetete. In der Akademie waren viele musikalische Leute versammelt, da die Beherrschung eines Instruments zu den Zulassungsvoraussetzungen für das Studium gehörte. Tanzabende wurden organisiert, in denen neben Karl auch Bruno als Salonlöwe auf dem sprichwörtlichen Parkett brillierte.

      Neben modernen Tänzen liebte er den Langsamen Walzer, weil er sich wunderbar zum Anschmiegen und In-die-Augen-Schauen eignete. Mit einem verstimmten Klavier, mehreren Gitarren, der unvermeidlichen Blockflöte und einem improvisierten Schlagzeug bildete sich bei solchen Gelegenheiten eine spontane Combo. Im zweiten Semester brachte Karl sein Akkordeon mit und komplettierte die Musikgruppe mit dessen metallischem Klang.

      Zu besonderen Anlässen tranken die vier Freunde miteinander Tee aus dem modischen Art-déco-Service mit den rhombenförmigen Verzierungen, das sich Marianne und Thea für ihre gemeinsame Wohnung in der Gartenstraße gekauft hatten und auf das sie sehr stolz waren. Es ließ sich nicht übersehen: Die vier Auswärtigen waren unzertrennlich.

      Im Juli besuchten sie eines der in dieser Endphase der Weimarer Republik beliebten Tanzcafés in der Frankfurter Innenstadt. Solche Etablissements kannten die beiden Frauen aus Berlin, wo sie zum Bild der „Goldenen Zwanziger“ gehörten wie Bubikopffrisur und Zigarettenspitze. Auch in den Frankfurter Betrieben wurde Shimmy getanzt. Die hierzu gehörende, aus den USA herübergekommene ekstatische Musik hatten sie oft gehört und sie kannten die typischen rhythmischen Zuckungen der Schultern und den Bump, das abrupte Vorstoßen des Unterkörpers, die diesem Tanz etwas Elementares und auch ein wenig Ordinäres gaben.

      Shimmy war der Tanz, mit dem sich der Maler Otto Dix 1923 in das Herz seiner Martha getanzt hatte und in seinem 1927/28 entstandenen Hauptwerk, das im Stuttgarter Kunstmuseum zu bewundern ist, in dem grandiosen Gemälde ‚Großstadttriptychon‘ kann man genau diese Musik geradezu hören, die die Tänzerinnen und Tänzer zu den Klängen der Jazzcombo in seltsame Verrenkungen zwingt.

      Nach anfänglichem Zögern konnte Karl sich nicht sattsehen an den zuckenden Bewegungen der beiden Frauen. Er versuchte sich selber im wirbelnden Knäuel der Körper und meist fiel in dem Gedränge auf der Tanzfläche nicht auf, wenn er errötete, weil er zu viele körperliche Details gesehen oder gespürt hatte. Gemeinsames Lieblingsmusikstück der Neufrankfurter wurde der Hit von 1924: „Ausgerechnet Bananen“.

      In den Sommerferien des ersten Studienjahres wollten die vier Freunde nicht sofort nach Hause fahren. Ohne ausreichend Geld, aber mit mehr als genügend Enthusiasmus rumpelten sie mit dem Personenzug zu einem ihrer Lieblingsorte, nach Miltenberg. Von dort führte ihre Wanderung in mehreren Tagen durch den Odenwald bis nach Eberbach am Neckar und per Autostopp kamen sie schließlich in Heidelberg an.

      Da inzwischen die spärlichen finanziellen Mittel aufgebraucht waren, machte Marianne sich – einer spontanen Idee folgend – auf den Weg zum Jugendamt der Stadt, da sie meinte, dieses müsse jungen Leuten in Not helfen. Von einem mitleidigen und zugleich amüsierten Beamten bekam sie tatsächlich so viel Geld geliehen, dass es ihnen allen zur Rückkehr nach Frankfurt und sogar noch für einen Kaffee reichte. Der großzügige und auf seine Tochter stolze Vater, Carl Bose, überwies die Summe mit freundlichem Dank nach Heidelberg, nachdem sie ihm begeistert von der Akademie und den neuen Freunden berichtet hatte.

      Karl und Bruno hatten sich in Heidelberg um die niedrigen Bedürfnisse nicht kümmern können, da sie das Grab von Friedrich Ebert besuchen mussten. Karl erinnerte sich bei dieser Gelegenheit an die Worte seines Onkels, der die Verantwortlichkeit des sozialdemokratischen Reichspräsidenten für die blutige Niederschlagung des Spartakusaufstandes und für den Reichswehreinsatz gegen die revolutionären Arbeiter im Ruhrgebiet im März 1920 anlässlich des Kapp-Putsches mit harten Worten gegeißelt hatte. Aber Ebert gehörte zur Geschichte der Arbeiterbewegung! Man musste ihm die Ehre erweisen!

      Nach der Rückkehr aus den Semesterferien setzten die vier Freunde ihr Studentenleben mit seiner Mischung aus Wandervogelaktionen und kulturellem Genuss in der Stadt fort. Aus ihrer bürgerlichen Familie hatte Marianne außer der Freude am Tanz eine kaum stillbare Begeisterung für Kunst und Kultur mitgebracht, die sie mit ihren Freunden teilen wollte. Am besten konnte das gelingen, wenn sich das politische Interesse der Männer und das kulturelle der Frauen deckten oder überschnitten. Am 30. Oktober 1929 erlebten die vier die Frankfurter Erstaufführung des Skandalstücks „Cyankali“ des damals in Stuttgart praktizierenden Arztes und Autors Friedrich Wolf.

      Es war bewegend und aufregend, die schrecklichen Folgen des unbarmherzigen § 218 des Strafgesetzbuches, den die beiden Männer klar als ein Instrument der Unterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft analysierten, in Form eines intensiven Theaterstücks zu sehen. Sie nahmen natürlich die Gelegenheit wahr, mit dem im Theater anwesenden Autor zu sprechen.

      „Die Frauen werden in die Illegalität getrieben und zu ihrer menschlichen Not kommt der Knüppel des Strafrechts hinzu. Das ist wahrhaft unmenschlich! Und wenn es keine legale Möglichkeit gibt – auch in krassen Fällen – bleibt nur der Gang zur Engelmacherin und damit das tödliche Risiko.“

      Friedrich Wolf strahlte trotz seiner vierzig Jahre einen jugendlichen Schwung aus. Auch bei diesem ernsten Thema waren die Lachfalten in seinen Augenwinkeln nicht zu übersehen, als wäre er jederzeit bereit, sich über einen guten Witz zu amüsieren.

      Auch den Studenten der Akademie blieb nicht verborgen, dass sich die wirtschaftliche und damit die politische Situation dramatisch verschärften. Der New Yorker Börsenkrach vom 24. Oktober 1929 hatte nach und nach auch die deutsche Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Im Reich wurden Ende des Jahres 1929 bereits über 3 Millionen Arbeitslose gezählt, von denen nicht einmal die Hälfte die äußerst bescheidenen Leistungen der Arbeitslosenversicherung bezog.

      Mit Marianne hatte Karl selten über diese katastrophale allgemeine Situation gesprochen. Irgendwie befanden sie sich als Studenten außerhalb des normalen Lebens und außerdem stammten beide aus Beamtenfamilien, in denen die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und damit dem Abstieg zum Glück nicht grassierte.

      Die Zeichen der Zeit waren allerdings unübersehbar. Die SA bekam neuen Zulauf und die Straßen der Frankfurter Innenstadt wurden mehrmals wöchentlich zur Bühne von „Umzüge“ genannten Demonstrationen, die sich immer öfter zu Straßenschlachten entwickelten.

      Die Kommunisten organisierten ab Mitte Dezember Erwerbslosendemonstrationen, um auf die katastrophale Situation dieser Menschen aufmerksam zu machen. Sie versuchten einmal, das Rathaus zu stürmen. Nazis und die in Hessen starken Freikorps- und Wehrsportverbände attackierten die Demonstrierenden und immer häufiger musste die Polizei eingreifen.

      Der Frankfurter Polizeipräsident hatte schließlich als Reaktion auf die Straßenkämpfe, die bereits mehrere Tote gefordert hatten, im Dezember 1929 ein Verbot von Versammlungen und Aufzügen unter freiem Himmel erlassen, das am 16. Januar 1930 vom preußischen Innenminister auf das ganze Land ausgedehnt wurde.

      Diese Maßnahme führte nicht zu einer Beendigung der blutigen Auseinandersetzungen, die vor allem zwischen der SA, die in Frankfurt zwar recht klein, aber gleichwohl aktiv war, und dem sozialdemokratischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und vor allem dem kommunistischen Rotfrontkämpferbund fast jede Woche wenigstens einmal stattfanden.

      Am 1. November erlebte die

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