Sieben Leben. Stefan Kuntze

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Sieben Leben - Stefan Kuntze

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Trauer und Wut, habe der Parteisekretär berichtet.

      Viele hatten in diesen Monaten gehofft, dass die Nazis nach ihren schwachen Wahlergebnissen vom Mai des Vorjahres allmählich aus dem öffentlichen Leben verschwinden würden, denn eigentlich hatte sich die Wirtschaft relativ gut erholt und es bestand Hoffnung auf eine weitere Verbesserung. Seit dem Frühjahr regierte im Reich eine große Koalition aus SPD, DDP, DVP, BVP und dem Zentrum unter Führung der gestärkt aus den Wahlen von 1928 hervorgegangenen Sozialdemokraten.

      Diese Stabilisierung änderte allerdings nichts daran, dass die SA aus dem nach wie vor großen Heer der Arbeitslosen, aber auch aus kriminellen Banden Zulauf erhielt und ihre Stärke auf den Straßen zeigte. Die braunen Hemden wurden zum Sinnbild unkontrollierter Gewalt und zum Schreckbild der Bürger. Unter den Hemden fanden sich Messer, Schlagstöcke und andere Waffen. Die SPD fasste auch in Frankfurt zahlreiche Mitglieder im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold zusammen, um Angriffe der Nazis abwehren zu können. Dass man den Tod der beiden Genossen am 28. April nicht hatte verhindern können, traf die Partei ins Mark.

      Karl und Bruno waren quasi verpflichtet gewesen, am 3. Mai zu der von der SPD veranstalteten Protestversammlung im Volksbildungsheim zu erscheinen und sich an der anschließenden Demonstration zu beteiligen. Starke Polizeikräfte verhinderten an diesem Tag, dass die SA, die mit Hassgesängen und –rufen den Zug stören wollte, Gelegenheit dazu bekam. Die Beerdigung der beiden Opfer auf dem Hauptfriedhof am folgenden Tag wurde zu einer – vielleicht der letzten – Großdemonstration der Linken durch die gesamte Innenstadt.

      Zurück in der Akademie mussten sich die beiden Jungsozialisten mit dem Studienbeginn und ihrer politischen Aufgabe befassen. Wie die zu gründende Hochschulgruppe aussehen sollte, war ihnen nicht klar. Sie dachten über Vorträge und Aktionen nach, z.B. über einen Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold am 1. August gegen Krieg und für den Weltfrieden bei dem Denkmal „Den Opfern“, des Bildhauers Benno Elkan, das 1920 in der Gallusanlage errichtet worden war. Im Kreise der zahllosen SPD-Genossen auf dem Hauptfriedhof hatten sie ein großes Solidaritätsgefühl erlebt. Gemeinsam mit den Genossen sollten die Nazis zu besiegen sein! Diese Botschaft musste den anderen Studenten vermittelt werden, dann würden sie mitmachen. Zu dem alsbald angesetzten ersten Abend in den Räumen der Akademie erschienen allerdings nur fünf Leute, allen voran die zwei Frauen aus Berlin.

      Es entbehrt daher nicht einer gewissen Logik, dass Karl und Bruno sich mehr als der politischen Pflicht den Kommilitoninnen Marianne und ihrer Schulfreundin Thea widmeten, mit welchen sie bald eine unzertrennliche private Gruppe bildeten. Auch sie gehörten zu den „Auswärtigen“, die neu in Frankfurt waren und sich orientieren mussten. Vorsichtshalber hatte Bruno den beiden Frauen bei einem ersten gemeinsamen Cafébesuch, zu dem sie sich von einer langweiligen Stadtführung ihrer Geschichtsprofessorin davongestohlen hatten, eine Warnung zukommen lassen.

      „Wir müssen euch etwas gestehen: Wir beide, der Karl und ich, sind in der SPD. Nur damit ihr Bescheid wisst!“

      Der sich rasch entwickelnden Freundschaft tat dies keinen Abbruch. Die vier verbrachten seit dieser Offenbarung fast ihre gesamte Freizeit miteinander.

      Naturerlebnisse suchten sie alle vier und die wurden um Frankfurt herum reichlich geboten. Karl mit seiner Wandervogelvergangenheit, Bruno, der als Zimmermannslehrling das Deutsche Reich durchwandert hatte und die beiden schwärmerischen Berliner Damen fanden über gemeinsames Singen und bei den oft mehrtägigen Wanderungen mit Übernachtung im Heuschober oder einer Jugendherberge zueinander.

      Einmal, dies ist in den 1988 geschriebenen Lebenserinnerungen von Marianne zu lesen, seien sie in den ausgedehnten Wäldern des Spessarts von der Dunkelheit überrascht worden und hätten sich nicht anders zu helfen gewusst, als auf dem kalten und überraschend harten Waldboden zu nächtigen. Da war bald Schluss mit Naturromantik und sie waren alle vier froh, sich aneinander wärmen zu können.

      Karl hatte in seiner Familie und mit der kranken Mutter gelernt, dass Männer Frauen beschützen müssen. Für Bruno war das ebenfalls Ehrenpflicht. Deshalb haben die beiden Sozis die Kommilitoninnen zwischen sich genommen, sie gewärmt und Geräusche wie den Ruf des Käuzchens oder das Knacken von Ästen unter den Tritten eines Tieres mit beruhigenden Worten kommentiert. Karl spürte bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal Mariannes Herzschlag und konnte darüber kaum schlafen.

      „Ist es nicht herrlich, so am Busen der Natur aufzuwachen! Hört nur den Buchfink.“

      Marianne begrüßte die drei mit der Morgenröte. Alle Ängste der Nacht waren verflogen und ihr noch junges Kreuz zwickte bald nicht mehr. Karl kannte zwar den Buchfink nicht und Mariannes Busen wäre ihm lieber gewesen als der der Natur, aber gefreut hat er sich über die erste gemeinsam verbrachte Nacht und das Vogelgezwitscher klang auf einmal melodisch.

      Marianne schrieb damals in ihr Tagebuch, der Karl habe ihr gleich gut gefallen, als sie ihn erstmals die dunkle Eichentreppe im Eingangsbereich der Akademie habe herunterkommen sehen. Er trug seinen Russenkittel mit der Schmuckborte und dem schmalen Stehkragen, in dem Bruno ihn auf einem Foto von 1930 verewigt hat. Trotz aller Skepsis gegenüber der Sowjetunion hielt er das Russische hoch im Kurs. In späteren Briefen an Marianne verwendete er gern den Vornamen Ilja, was gut zu dem Kittel passte.

      Karl war ziemlich bald verliebt in die Schönheit aus der Reichshauptstadt, deren Blick aus grünlichen Katzenaugen durch eine eigentlich gar nicht wahrnehmbare, minimale Abweichung von der zentralen Achse, etwas Geheimnisvolles ausstrahlte. Außerdem war sie lebhaft, witzig und offen für Neues. Das alsbald entstandene Gefühl ließ die Erinnerung an seine Kusine Inge verblassen.

      Es erwies sich als hilfreich, dass er Gitarre spielen konnte und aus der Wandervogelzeit Lieder kannte, die Marianne nicht fremd waren, obwohl sie in Berlin eher Tennis gespielt und Theater oder Konzerte besucht, als an Wandervogeltreffen teilgenommen hatte. Naturerlebnisse waren ihr zeitlebens wichtig. Sie brachten ihren romantisch-elegischen Persönlichkeitsanteil zum Schwingen. Wenn Karl das damals verbreitete Männerbundlied „Jenseits des Tales standen ihre Zelte“ anstimmte, überkam sie eine süße Melancholie und ein leichter Flor umspielte ihre Augen.

      Karl hatte das bemerkt und setzte dieses Mittel gerne ein, etwa, wenn sie nach einer Wanderung im Innenhof der Burgruine Münzenberg bei Butzbach lagerten. Er wusste nicht, dass dieses Lied wie viele andere von der Wandervogelbewegung kommende, zu einem Lieblingsgesang der Hitlerjugend mutieren sollte. Allerdings hat der „Reichsjugendführer“ der Nazis, Baldur von Schirach, bereits Ende 1933 die homoerotischen Anspielungen in der dritten und vierten Strophe bereinigen lassen, bevor das neue Gesangbuch „Blut und Ehre“ an die Gruppen der Hitlerjugend ausgeliefert wurde. Die Frau tauchte wie in der Urfassung als personifizierte Versuchung in Gestalt der „Marketenderin“ auf, aber der junge König verzehrte sich nicht mehr nach den „knabenfrischen“, sondern nach den „jugendfrischen“ Wangen und dem zugehörigen Mund. In diesem Sinn sang auch Karl das Lied.

      Wenn er auf Mariannes Gesicht ein Lachen erleben wollte, was er fast ebenso liebte wie ihre Melancholie, sang er – möglichst mit Gitarrenbegleitung - das Couplet vom „Fritze mit dem kalten Schlittschuh in der Hand“, der von seiner angebeteten Emma versetzt wird und im eisigen Wasser um die Rousseauinsel im Berliner Tiergarten Selbstmord begeht. Die „Moral“ dieses Textes kulminiert in den Worten: „Drum ihr Jüngelinge hüt‘ euch vor der Liebe, denn wer liebt, verdient ja nichts als Hiebe. Denn ihr seht, wie Fritz den Tod hier fand, mit dem kalten Schlittschuh in der Hand.“

      Als Steigerung in einer solchen Darbietung kam die Moritat „Herrjeh, was sind wir Männer schlecht bestellt, ja, Sie können’s glauben wir, gäb‘s nur keine Weibsleut auf der Welt, alle lebten glücklich wir!“ zum Vortrag, ein Lied, das in zahlreichen Strophen anhand von Beispielen aus der Geschichte und der Bibel aufzeigt, wie Frauenlist und –falschheit Männer zu Tode bringt.

      Es

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