Sieben Leben. Stefan Kuntze

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Sieben Leben - Stefan Kuntze

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Gesellschaft, in der allein die wahren Bedürfnisse und die besseren Argumente eine Rolle spielen würden. Rosa Luxemburgs Motto: „Keine Demokratie ohne Sozialismus, aber auch kein Sozialismus ohne Demokratie“ war Fixpunkt ihrer Überzeugungen. Diesen Satz konnte man oft aus dem Mund Karls hören.

      Er war 1927, im Alter von 18 Jahren, überzeugt, dass er an dem Kampf für den Sozialismus teilnehmen würde und dass er dies – dem Beispiel seines Onkels folgend – am besten in der großen Arbeiterpartei tun sollte. Er trat der SPD bei, was Vater Waldemar begrüßte, auch weil er von den Hintergründen dieser Entscheidung nichts Näheres wusste.

      Die Zersplitterung der politischen Landschaft der Weimarer Republik und insbesondere die geradezu endemische Spalterei im linken Lager war auch Gegenstand der Vorträge, die Karl seit seinem Schulbeginn in Berlin regelmäßig besuchte. Dort begegnete ihm auch der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK).

      Auch dessen Anhänger agierten in der Sozialdemokratie, die Josef Stalin bereits 1924 als den Zwillingsbruder des Faschismus bezeichnet hatte. Diese unsägliche Charakterisierung, dass die SPD eine bloße Variante des Faschismus sei, hatten die sowjetisch gesteuerten Parteien auf dem 10. Plenum der Komintern 1929 wieder aufgegriffen und zur offiziellen Doktrin kommunistischer Politik gemacht. Es war nur noch eine Formsache, dass die KPD diese Leitlinie am 16. Juni 1929 per Beschluss bestätigte. Damit war für einen Kommunisten in Deutschland jegliche Einheitsfrontpolitik mit dieser SPD tabu.

      Was hätte näher gelegen, als dass sich spätestens jetzt die recht zahlreichen linken Gruppierungen, die den sowjetischen Führungsanspruch nicht anerkannten, zusammengetan hätten? Alexander Schwab und Karl Schröder hatten in diesem Jahr begonnen, eine Kaderorganisation aufzubauen, weil sie angesichts des erstarkenden wirklichen Faschismus der Nationalsozialisten mit einer kommenden Phase der Illegalität aller linken Parteien und Gruppen rechneten. Das war letztlich der Gehalt ihrer Arbeit in der SWV, die schon 1928 allein in Berlin 800 Mitglieder zählte. Eine Parteimitgliedschaft war nicht Voraussetzung der Teilnahme am sozialistischen Diskurs.

      Ein Austausch mit Anhängern des ISK fand vereinzelt statt, da man einander bei Veranstaltungen der Jungsozialisten, der Sozialistischen Arbeiterjugend oder eben der SWV innerhalb der SPD oft begegnen konnte.

      Karl bekam von den vorsichtigen Anfängen seines Onkels und seiner politischen Freunde, die bald in die Organisation der „Roten Kämpfer“ münden sollten, nichts mit. Anfang 1929 hatte er das Abitur geschafft und musste sich mit der eigenen Zukunft befassen. Er beschloss, Lehrer zu werden, um Wissen und Erkenntnisse weiter zu geben und am Aufbau einer menschlichen Zukunft in Deutschland und der Welt teilzunehmen. Dass die Gesellschaft der Zukunft eine sozialistische sein würde, war selbstverständlich. Diese Erkenntnis musste den Jungen möglichst frühzeitig vermittelt werden. Am besten von Beginn der Schulzeit an, weshalb Volksschullehrer der Beruf seiner Wahl wurde. Außerdem lag ein Universitätsstudium außerhalb der familiären Vorstellungen und finanziellen Möglichkeiten.

      Ein Szenenwechsel

      Schröder brachte seinen Neffen und dessen Pappkoffer zum Anhalter Bahnhof und verabschiedete den Studienanfänger in der riesigen Halle, wo er auf den Zug nach Frankfurt am Main warten musste.

      „Denk immer dran, Karlchen, wir müssen die Köpfe sein. Wenn du in zwei Jahren als Lehrer wiederkommst, kannst du mit uns die Revolution vorbereiten.“

      „Ich werde mich anstrengen.“

      „Und vergiss nicht, dich bei der SPD in Frankfurt zu melden. Wir müssen die Proletarier da abholen, wo sie sind.“

      Etwas unbeholfen nahm er seinen Neffen in die Arme, der dabei fast seinen Koffer fallen ließ und drückte ihm ein in Zeitungspapier eigewickeltes Päckchen in die Hand.

      „Damit dir die Fahrt nicht zu lang wird. Und wenn du nach Berlin kommst, schau bei mir vorbei.“

      Karl winkte ihm nach, bis er durch das riesige Portal verschwunden war und sah sich um. Auf einem der Gleise an der Seite stand einer der luxuriösen Salonwagen der MITROPA, die gerade erst entwickelt und in Dienst gestellt worden waren. Er war fasziniert von dem sichtbaren Luxus und gleichzeitig musste er daran denken, wer es sich wohl leisten konnte, einen solchen Wagen wirklich zu benützen.

      Er freute sich, dass er in dem D-Zug einen Sitzplatz ergattern konnte und wickelte sofort das Päckchen aus. Der Onkel hatte ihm sein neuestes Werk, den 1928 erschienenen Roman „Die Geschichte Jan Beeks“, als Geschenk mitgegeben. Sofort begann er zu lesen und konnte damit bis Frankfurt nicht aufhören.

      Er brauchte nicht lange, bis er begriff, dass Schröder in diesem Buch das eigene Leben als Revolutionär hinter der Person des Proletariers Jan Beek reflektierte. Dessen inständiger Wunsch, den revolutionären Kampf möglichst sofort zu beginnen und aus dem Generalstreik vom März 1920 direkt in den Kampf um die Herrschaft der Arbeiterklasse überzugehen, war offenbar auch der seines Onkels gewesen.

      Es muss für Schröder ein prägendes Erlebnis gewesen sein, als durch einen flächendeckenden Generalstreik das komplette öffentliche Leben in Berlin vom Verkehr bis zur Gas-, Elektrizitäts- und Wasserversorgung stillgelegt wurde und eine vereinigte Arbeiterschaft die putschende Brigade Ehrhardt und ihren General von Lüttwitz nach fünf Tagen zum Aufgeben zwang. Bereits am 17. März, vier Tage nachdem die meuternden Soldaten mit den weißen Hakenkreuzen auf ihren Stahlhelmen das Brandenburger Tor durchschritten hatten, floh der von den Putschisten zum Reichskanzler ernannte Verwaltungsbeamte Wolfgang Kapp nach Schweden.

      Als SPD und Gewerkschaften nach Zugeständnissen der nach Stuttgart geflohenen Reichsregierung den Streik für beendet erklärten und zur Wiederaufnahme der Arbeit aufriefen, versuchten Anhänger von KPD und USPD, den Kampf fortzusetzen. Das schildert der Roman anhand des Schicksals von Jan Beek.

      Eher zufällig kommt dieser Mann über eine der Großdemonstrationen zum bewaffneten Kampf. Er vernachlässigt Frau und Kinder, um sich der revolutionären Bewegung anzuschließen. Als er die Nachrichten aus dem Ruhrgebiet hört, ist er überzeugt, dass die reale Möglichkeit für die kämpfenden Arbeiter bestehe, die Macht zu übernehmen. Was die Proletarier im Ruhrgebiet mit der Bildung der „Roten Ruhrarmee“ geschafft hatten, müsste doch in ganz Deutschland möglich sein. Jan Beek, der Kommunist geworden war, kämpfte in Berlin-Lichtenberg gegen die Truppen der Freikorps. Nach der Niederlage der Arbeiter musste er fliehen und traf in Polzin den Lokomotivführer Wal Kuntze mit seinem Heizer Martin, die den Streik unterstützten.

      Es muss eigenartig gewesen sein, den eigenen Vater hier als literarische Figur verewigt zu sehen. Noch seltsamer fühlte es sich aber an, als im weiteren Verlauf der Geschichte Jan Beek die beiden Eisenbahner wegen der Wiederaufnahme der Arbeit beschimpft und schließlich allein und ohne Rückhalt einer Partei einen Anschlag auf die Bahnlinie verübt, bei dem er selber umkommt und der Zug ins Verderben rast, wie es der Autor formuliert. Diese Passage konnte man nur so verstehen, dass Schröder seinen Schwager Waldemar Kuntze literarisch getötet hatte.

      Den Nachruf auf den einsamen Kämpfer Jan Beek darf im Roman ein holländischer Kommunist namens Hemskerk sprechen: „Ein Mensch hat sein Schicksal erfüllt, h a n d e l n d sein Schicksal erfüllt. Aber nicht nur das eigene Schicksal, auch ein Stück des Schicksals einer ganzen Klasse. Ob es recht war? Ob es unrecht war? … In dieser Gesellschaft ist Recht nicht zu trennen vom Unrecht. … Und doch: sein Tod ist Leben und Zukunft.“

      Karl war verwirrt, als der Zug in Frankfurt ankam. War sein Onkel von dem Festhalten des Helden an der Gewalt überzeugt? Wollte das Buch, das Ereignisse von 1920 beschreibt, auch im Jahr 1929 noch eine beachtenswerte Wahrheit enthalten? Er würde seinen Onkel bei Gelegenheit danach fragen müssen.

      Jetzt

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