Melange, Verkehrt und Einspänner. Josef Mugler

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Melange, Verkehrt und Einspänner - Josef Mugler

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Wo war ihr Handy wohl, wo waren überhaupt ihre Sachen? Ihre Hand­tasche mit ihrem Terminkalender und sonstigen Aufzeichnungen?

      Der Gedanke an das Telefon brachte ihr die Erinnerung an die Situation zurück, als sie ihr Handy in der Handtasche zuletzt läuten gehört hatte. Das war in der Ankunftshalle des Flughafens. An dieses Ereignis konnte sie sich plötzlich gut erinnern. Da war doch der Anruf aus ihrer Firma, aus der Telefonzentrale, von irgendeinem der Studenten, die dort nach Dienstschluss die Stellung hielten, dass Herr Sturiak sich gemeldet hätte, dass er wegen verspäteter Ankunft in Zürich den Anschlussflug nach Wien versäumt habe und erst mit der nächsten Maschine kommen würde. Und sie hatte sich so beeilt, wegen der verfrühten Ankunft noch rechtzeitig am Flughafen zu sein! Das war umsonst, wie es eben manchmal vorkommt. Anke hatte schon einige Erfahrungen mit Handlungen, die sich nachträglich als vergeblich herausgestellt hatten, sowohl in der Firma als auch privat. Damit musste man immer rechnen.

      Nachdem sie dieses Telefonat entgegengenommen und eben schon überlegt hatte, ob es Sinn machen würde, nochmals in die Stadt zurückzufahren, war sie von einer ihr bekannten Stimme angesprochen worden. Es war Fred. Und Stoffel war auch da. So ein Zufall! Die zwei Männer kannte sie seit einer Tour durch das Bermudadreieck, jenem Vergnügungsviertel in der Wiener Innenstadt nahe dem Donaukanal, wo man die ganze Nacht verbringen und für seine Angehö­rigen verschwinden konnte, allerdings um am nächsten Morgen doch wieder in der realen Welt aufzutauchen. Man war in diesem Wiener Bermudadreieck nicht für immer verschwunden. Sie war mit einer lustigen Runde unterwegs gewesen, um Annies dreißigsten Geburtstag zu feiern. Annie war seit der Schul­zeit Ankes Freundin. Auch Annie war nicht verheiratet, aber sie schaffte es, alle ihre bisherigen Freunde (oder sollte man besser sagen: Liebhaber? – Anke hätte es gerne genauer gewusst, aber Annie erzählte ihr nicht alles) zu ihrem Geburts­tagsfest zu versammeln. Anke hatte befürchtet, dass das eine ver­krampfte Sache werden würde, aber sie hatte sich geirrt. Alle waren guter Laune und die Freunde oder Liebhaber Annies schienen geradezu das Ereignis gesucht zu haben, um miteinander Freundschaft zu schließen.

      Die Stimmung hatte weit nach Mitternacht einen Höhepunkt erreicht, als Fred und Stoffel dazustießen. Anke kannte die beiden überhaupt nicht, hatte sie im Freundeskreis von Annie bisher nie wahrgenommen. Aber alle hatten damals – in nicht mehr ganz nüchternem Zustand freilich – behauptet, die beiden schon lange zu kennen. Schließlich hatte Anke sie besonders lustig und charmant gefunden. Herbert war schon nervös geworden, weil sie ihn gegenüber den beiden vernachlässigt hatte. Als die Partie schließlich gegen früh auseinan­der­ging, jeder seinem Domizil zuströmte oder vielleicht sogar direkt ins Büro, waren die beiden verschwunden, worüber Anke fast ein wenig traurig gewesen war. Gern hätte sie die beiden wieder getroffen.

      Umso mehr war sie erstaunt und erfreut zugleich, Fred und Stoffel zufällig am Flughafen zu begegnen. Sie hatten ihr erklärt, dass jemand, den sie abholen sollten, erst mit der nächsten Maschine aus Zürich kommen würde. War das naiv von ihr gewesen, fragte sie sich jetzt, das so einfach zu glauben und ihrer Ein­ladung zu einem Drink ins nahe Flughafenhotel zu folgen. Hätte sie die Parallele zu ihrem Fall, dem verspäteten Eintreffen Sturiaks, stutzig machen sollen? Hätte sie überhaupt der Zufall, die beiden hier wieder zu treffen, stutzig machen sollen? Nein, das konnte man ihr nicht als Fehler anrechnen! Schließlich hatte sie die beiden auf der nächtlichen Spritztour im Bermudadreieck als äußerst freundliche und seriöse Junggesellen kennengelernt – mit ähnlichen Interessen wie die ihren, was Musik und Theater betraf. Sie hatte sich doch gleich mit ihnen verstanden. Und jetzt sollten sie der Anlass für ihre missliche Lage sein? Sie konnte, sie wollte es nicht glauben. Sie versuchte sich verzweifelt an andere Personen zu erinnern, die sie am Flughafen getroffen haben könnte. Zu ihrer Enttäuschung kam ihr keine Alternative zu Fred und Stoffel ins Gedächtnis.

      Da es regnete, hatten die beiden sie überredet, die paar Meter zum Hotel mit dem Auto zurückzulegen, und sie war ihnen in das Parkhaus gefolgt. Dann aber verlor sich jede Spur in ihrem gestörten Erinnerungsvermögen. Sie konnte sich nicht an ein Auto erinnern und schon gar nicht an die Fahrt zum Hotel. Ob sie jetzt in einem Hotelzimmer festgehalten wurde? Doch sogleich wurde ihr bewusst, dass sie sich wahrscheinlich irgendwo anders befand. Das Hotel war sicher nicht der wirklich angepeilte Aufenthaltsort gewesen, sondern nur eine Finte, um sie aus der Halle zu locken. Diese Schurken! Die ganze Sympathie, die sie vorher für Fred und Stoffel empfunden hatte, schlug nun in Hass um. Das waren nicht ihre Freunde, sondern ihre Feinde, und zwar Feinde einer beson­deren Art, nicht Feinde, die ihr im Alltag einen Genuss verdorben hatten, sondern der schlimmsten Art, die sie missbrauchten, die sie erniedrigten, für die sie nichts anderes war als eine Figur in einem Spiel, von dem sie vor­läufig weder das Ziel noch die Regeln kannte.

      Aber sie lebte. Und sie konnte denken. Das war viel und wenig zugleich, wenn sie bedachte, dass sie in einem ihr unbekannten Raum im Finstern zurück­gelas­sen, an Händen und Füßen gefesselt war und sich auch durch Schreien nicht bemerkbar machen konnte. Aber vielleicht war es gut so, dass sie nicht schreien konnte, denn sie hätte sich dadurch womöglich verraten. Man wäre auf ihr wiedererlangtes Bewusstsein aufmerksam geworden und hätte sie vielleicht neuerlich ins Land der Träume versetzt. So konnte sie wenigstens den kleinen Vorteil für sich buchen, dass die anderen meinten, sie wäre nach wie vor außer Gefecht, während sie immerhin ihre Lage vernünftig bedenken und sich auf den Fortgang des Geschehens vorbereiten konnte. Allerdings änderte sich geraume Zeit in ihrer Umgebung nicht das Geringste. Anke begann, ungeduldig zu werden.

      *

      Karl Weissacher blickte von seinem Schreibtisch aus durch ein großes Fenster eines Gebäudes aus der Gründerzeit in einen Hinterhof. Das Büro war in einem der typischen alten Mietshäuser in Unter Sankt Veit, einem der äußeren Stadt­teile im Westen Wiens, untergebracht. Weissacher hatte sich für diese Räume entschieden, die ihre Fenster in den Innenhof des Gebäudes gerichtet hatten. Sie waren billiger als straßenseitig gelegene, weil weniger repräsentativ. Wahr­scheinlich hatte hier in früheren Zeiten eine Großfamilie gewohnt. Erst vor einigen Jahren hatte der Eigentümer einige Wohnungen saniert und einige in Büros umbauen lassen. Viele Hauseigentümer in Wien erwarteten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen Nachfrageschub für Büroräume, weil man an­nahm, dass Unternehmen aus der Europäischen Union, der Österreich im Jahr 1995 beigetreten war, von Wien aus die neuen Märkte im Osten bearbeiten würden. Aber der Boom bei Bürovermietungen blieb in den neunziger Jahren aus oder war jedenfalls nicht so dramatisch, wie man sich erhofft hatte. Die neuen Metropolen in Ostmitteleuropa erhöhten selbst in kurzer Zeit ihre Attrak­ti­vität für Investoren aus dem Westen.

      Die Büroräume waren jedenfalls für Weis­sacher günstig. Er hatte seine Agentur erst vor zwei Jahren gegründet. Er war hoch in den Vierzigern. Vor drei Jahren war er von seiner Firma gekündigt worden. Er war ein Opfer der Schließung eines ganzen Geschäftsbereichs geworden, der nicht mehr ausreichend Gewinn abgeworfen hatte. Weissacher hatte bis zuletzt geglaubt, seine Abteilung da­durch retten zu können, dass er deren Komple­mentärwirkung auf andere Geschäfts­bereiche nachwies: Ohne ihn wür­den auch die anderen weniger Gewinn machen, weil die lukrativen Kunden dann fehlten, die er ihnen immer wieder zuführte. Aber letztlich ließ ihn die Firmenleitung fallen. Die Kollegen sahen seine Zubringerfunktion nicht so wie er oder sie wollten es nicht zugeben, weil sie in der Geschäftsführung sonst selbst in ein schlechtes Licht geraten wären. Es half nichts. Weissacher musste gehen, wenn­gleich mit dem Vorteil einer großzügigen Abfindung, und mit ihm eine Schar von rund zwanzig Mitarbeitern.

      Nach einer Erholungs- und Nachdenkpause von zehn Monaten startete Weis­sacher neu durch. Er gründete eine Agentur für Personalberatung. Eigentlich war das nur der Aufhänger für seine Dienstepalette: Problemlösungen in allen perso­nellen Angelegen­heiten und darüber hinaus. Schließlich hatte er in seinem frü­heren Job – so nannte er jetzt seine damalige Tätigkeit selbst, nach­dem ihm bewusst geworden war, dass es keine Berufung auf Lebenszeit, sondern ein leicht zu beseitigender Posten gewesen war – viele Menschen kennengelernt. Das ist immerhin ein Vorteil, vor allem wenn man im Vertrieb zu tun hat. Da entwickelt man mehr Gespür für die Menschen, als wenn man in der

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