Marthe. Tanja Flügel

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Marthe - Tanja Flügel

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ja, wir beteten, wie es der Vitus Ulrici von uns verlangte, aber so manchem fielen dabei vor Erschöpfung die Augen zu und nur das Geläut der Kirchenglocken am Ende des Gottesdienstes sorgte dafür, dass alle wieder aufwachten und in würdiger Manier die Kirche verlassen konnten.

      Für das Läuten war Conrad zuständig und manchmal schlich ich mich nach der Predigt zu ihm in den Turm und half ihm, an den dicken, rauen Seilen zu ziehen, um den Glocken ihr Lied zu entlocken. Hatten wir alle Glocken in Schwung gebracht, war es ohrenbetäubend laut hier oben. Miteinander sprechen konnten wir nicht, wir lächelten uns nur zu, froh über diese einzige Gelegenheit zwischen all der Arbeit von früh bis spät, uns zu sehen und diesen seltsamen Augenblick miteinander zu verbringen.

      Der Sommer verging und das, was im Frühjahr so mager und kärglich mit zusammengeklaubtem und erbetteltem Saatgut begonnen hatte, war zu einer überbordenden Fülle herangewachsen. An den dicken süßen Kirschen hatten wir uns das erste Mal seit langem satt essen können und darüber hinaus viele davon zum Trocknen ausgelegt. In der Sonne leuchtende Äpfel und Birnen, goldenes Korn, dicke Kürbisse und Kohlköpfe wollten geerntet, Kräuter für Tee, Honig und Wachs von den wilden Bienen wollten gesammelt und die in der Sommerhitze trocknenden Erbsen, Bohnen und Linsen eingebracht werden. War der Bau von Mühle, Pfarrhaus und Brauerei und einer Gemeinschaftsscheune gut vorangegangen und sogar schon zwei weitere Häuser begonnen worden, ruhten die Arbeiten jetzt. Jede Hand wurde für die Ernte gebraucht, alles schien gleichzeitig reif und einige Kostproben kalter Herbstluft, die sich ab und zu bereits zwischen dem Ith und dem Thüster Berg fingen, mahnten uns zur Eile.

      Die Spanne von Anfang bis Mitte des 17. Jahrhunderts würden Gelehrte eurer Zeit später als ‚Kleine Eiszeit‘ bezeichnen. Das mag stimmen, die Winter meiner Kindheit waren hart und die Sommer kalt und feucht, doch ich kannte es nicht anders. Bis zu diesem einen Sommer 1618, in dem wir Wallenser auch einmal Glück hatten. Weder übermäßige Hitze und Trockenheit, noch Kälte oder grausamer Hagelschlag hatten den Weg in unser Tal gefunden. Alles wuchs auf den Feldern und im Garten, wie man es sich besser nicht wünschen konnte und wir schafften es, Heu und Stroh, Getreide und Früchte vor den ungestümen Herbstwinden und den tastenden Fingern des frühen Frosts in Sicherheit zu bringen.

      Wir dankten dem Herrn in unseren reichlichen Gebeten für diese guten Gaben, so wie wir es auch vor einem Jahr im Oktober getan hatten. Die warme Sicherheit und Geborgenheit, die wir damals angesichts unserer Wintervorräte empfunden hatten, war aber in der Hitze der schrecklichen Geschehnisse, die folgten, zu einer schmerzhaft glimmenden Angst in unseren Herzen verkohlt. Wir alle hofften auf die Güte des Herrn, um den Winter unbeschadet zu überstehen und niemand mochte sich vorstellen, was passierte, wenn er uns diese versagen würde.

      Am Donnerstag nach Galli, an dem sich das Unglück jährte, rief uns Conrad auf Geheiß seines Vaters mit Glockengeläut von der Arbeit, um gemeinsam zu beten. Der Vitus Ulrici wusste, wie uns zu Mute war und hätte er es nicht gewusst, wäre die Heftigkeit der Wellen, in denen das Gemurmel unserer inbrünstigen Gebete zu Jesus empor schwappte, ihm deutliches Zeichen gewesen. Er drehte sich um und erteilte uns den Segen.

      „Möge Gottes Segen mit uns sein. Möge Er uns den Winter über erhalten. Möge Er uns gnädig sein und uns von weiteren Strafen verschonen. Und um Ihm zu beweisen, dass wir Sein Zeichen verstanden haben, werden wir ab nächstem Jahr immer am Donnerstag nach Galli einen Feuer- und Festtag halten und um gnädige Abwendung dergleichen Strafen innigst bitten.

      In Seiner großen Güte wird Er uns verzeihen, dass wir heute zwischen dem Morgen- und dem Abendgebet weiter an unseren Winterquartieren bauen. So gehet denn hin in Frieden und ohne Angst an eure Arbeit.“

      Damit waren wir entlassen und konnten bis zum frühen Dunkelwerden weiter Holz behauen, Reisig flechten und feuchten kalten Lehm zur Abdichtung der neu erstandenen Häuser verschmieren.

      Und das taten wir den ganzen Herbst und auch den Winter über. Weihnachten kam und ging. Wenn der Boden zu hart war, um neue Stützpfeiler einzugraben, wurde einmal mehr Holz aus dem Wald geholt, um keine Zeit zu verschwenden. Wenn Lehm und Wasser hartgefroren waren und nicht mehr bearbeitet werden konnten, mussten meine schmerzenden Mädchenfinger Flachs bearbeiten, bis ich im Dunkeln die Hand nicht mehr vor den Augen erkennen konnte.

      Viel zu tun für den Rat

      Aber immerhin hatten wir zu essen. Wir hatten sogar die Mühle und Platz, unsere Ernte zu lagern. Alle anderen hatten nur die Gemeinschaftsscheune, in der sie ihre Vorräte hatten unterbringen müssen. Das gab oft Zank und Streit, gerne wurden die Grenzen zwischen Dein und Mein verwischt und es wäre ein Richter für die Klärung nötig gewesen. Da aber der Amtsvogt noch in der Bequemlichkeit der Lauensteiner Burg weilte, fiel dem Wallenser Rat diese Aufgabe allein zu.

      Der verbliebene Rat, dessen Mitgliederzahl durch die harten Zeiten erheblich verringert war, hatte überhaupt viel zu tun, denn durch den Brand fehlten die Häuser und mit ihnen die Grenzen zwischen den Landstücken.

      Die Wallenser Privilegien besagen, dass die Balkensetzung eines jeden neu gebauten Hauses durch zwei Mitglieder des Rates bestätigt werden muss und das der, der einen neuen Zaun falsch setzt, sich vor dem Richter zu verantworten habe und für jeden falsch gesetzten Zaunpfahl einen Schilling an das Gericht und die Bürger zahlen muss. Diese Sonderrechte der Gerichtsbarkeit hoben uns von allen Flecken und Dörfern ringsherum ab und wir waren stolz darauf.

      In der Zeit nach dem Brand mussten die Consule Schmides und Bleibaum besondere Geschicklichkeit beweisen, denn dieser hatte die Karten in der Stadt neu gemischt.

      Das Land der zwei im Feuer umgekommenen Kötnerfamilien war nicht üppig, lockte aber zur Neuverteilung. Auf den Garten und die Hofstelle, in der meine Freundin Elisabeth aufgewachsen war, hatte deren ehemaliger Nachbar, der Ackerbürger Hintzen seine begehrlichen Blicke geworfen. Die Zäune waren verbrannt und er spaltete fleißig Kastanienhölzer, um einen neuen zu ziehen. Manchmal überschlugen sich die Hölzer beim Spalten und der Einfachheit halber steckte er sie dorthin, wo sie eben fielen, und das war durchaus nicht immer auf seiner Seite des Gartens.

      Ganz ähnlich verfuhr der Nachbar von der anderen Seite. Sie beäugten sich misstrauisch, aber eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus und so wurde der Betrug erst offenbar, als überlebende Verwandte von Elisabeth Anspruch auf das Land erhoben und feststellen mussten, dass zwischen den blitzneuen Zäunen der Bürger Hintzen und Falcken gerade noch Platz genug war, die Harke einmal hin und wieder zurück zu ziehen.

      Insgesamt drei Kötnerfamilien erhoben Klage wegen der immer schmaler werdenden Landstücke der Brandopfer und das Verfahren war eine der wenigen Abwechslungen in unserem arbeitsreichen Winter. Feierlich trafen wir uns in der Gemeinschaftsscheune, um das Urteil des Rates anzuhören.

      Dieses war nicht so eindeutig zu treffen, wie ihr es vielleicht aus eurer Sicht heute, 400 Jahre später erwarten würdet. Denn selbstverständlich waren alle Ackerbürger davon überzeugt, mehr Rechte als die Kötner zu haben, bewirtschafteten sie doch eine größere Menge Land und gaben sie den Kötnern Arbeit und Lohn, wenn diese mit ihren spärlichen Ernten nicht über die Runden kamen. Ein wenig Dankbarkeit und Ehrerbietung wurden verlangt, mochten die Wallenser Privilegien auch eine allgemeingültige Regelung und das Recht zur Klage vorsehen.

      Ebenfalls selbstverständlich bestand der Wallenser Rat aus Ackerbürgern, denen die Ansprüche der Nachbarn Hintzen und Falcken überaus einleuchtend erschienen. Andererseits war in dieser schwierigen Zeit niemand darauf versessen, Unfrieden in das Städtchen hineinzutragen, denn die Arbeitskraft eines jeden wurde dringend gebraucht. Das Urteil wurde also mit Spannung erwartet.

      Der Rat, unter der Führung von Bleibaum und Schmides bewies Geschick. Natürlich konnten sie den Ackerbürgern nicht unterstellen, die Kastanienhölzer zu weit gesteckt zu haben, andererseits war aber auch nicht davon auszugehen,

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