Marthe. Tanja Flügel

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Marthe - Tanja Flügel

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sah den Dunstwolken ihres Atems in der eiskalten Luft des Januars lange nach und ging dann, um Louise mit einer dünnen Wassersuppe zu füttern, damit ihr hungriger kleiner Magen wenigstens etwas warm und ihr Schreien etwas leiser wurde.

      Es ging nur langsam voran mit den Holztransporten, die geschwächten Menschen und Tiere konnten die weite Strecke zum Holzlager pro Tag höchsten einmal und nur mit geringer Beute schaffen. So wurde es Februar bevor genügend Balken da waren, dass man mit dem Bau auch nur eines Hauses beginnen konnte.

      Und ratet, welches es war? Die Mühle sollte als erstes wieder errichtet werden, denn meinem Großvater gehörte das Pferd, ohne das Holzholen gar nicht möglich gewesen wäre. Hans und ich, wir freuten uns grenzenlos und sogar meine Mutter, die seit Tagen blass und apathisch röchelnd mit einer schweren Erkältung in unserem Verschlag gekauert hatte, lebte etwas auf, als der Rat diesen Beschluss fasste.

      Aber einen Beschluss fassen geht schnell, auch wenn man hungrig ist. Ihn in die Tat umzusetzen ist unglaublich viel schwerer, wenn der Hunger kein größeres Vergnügen kennt als knochige Arme und Beine zum Zittern zu bringen und der eisige Wind dicke salzige Tränen aus den Augen drückt, die das Sehen fast unmöglich machen.

      Jeden Tag brachten die Männer zwei Balken ins Dorf. Nur zwei. Sie sammelten dann ihre ganze Kraft, um sie zu behauen, bevor die Dunkelheit hereinbrach. Wir Kinder sammelten Rinde und Gras, denn Bucheckern gab es längst nicht mehr. Und die Frauen sammelten den Mut, den sie brauchten, um ihren zu Tode erschöpften Männern und ihren bleichgesichtigen Säuglingen Suppen vorzusetzen, wie sie in guten Zeiten nur spielende Kinder kochen.

      Der Gottesdienst am Sonntag brachte uns eine Überraschung. Der Magister Heisius sprach längst nicht so flüssig, wie er es sonst zu tun pflegte. Ich führte es zunächst auf den Hunger zurück, der ihn genauso quälte wie uns alle, dass er Sätze nicht zu Ende sprach, mit krächzender Stimme betete und sogar das Singen vergaß, das ihm sonst immer so wichtig gewesen war.

      Doch schließlich sah er auf und betrachtete zweifelnd uns elende Versammlung zerlumpter Menschen, die wir in den Resten der Bänke kauerten.

      Er breitete die Arme aus und sprach: „Liebe Gemeinde! Es gibt eine Nachricht, die uns gemeinsam betrifft. Der Herr hat beschlossen, mich weiterwandern zu lassen und hat mich als Superintendent in die Gemeinde Groß Freden berufen lassen. Im Frühjahr, wenn die Wiesen wieder grün sind, wird mein Nachfolger eintreffen und ich werde mich auf den Weg machen.“

      Deutlich sah man widerstreitende Gefühle über sein Gesicht fliegen, einerseits war er betrübt, uns in unserem Elend allein zu lassen, andererseits gelang es ihm nicht zu verbergen, wie sehr er sich über seine Berufung und auch die Aussicht auf ein gemütliches Pfarrhaus mit Dach und einer Speisekammer freute.

      Bis es soweit war, bekam der Magister allerdings noch reichlich zu tun. Kälte und Hunger füllten die Gräber, und die Heisiusschen Grabreden und unsere anschließenden Gebete waren oft die einzigen gesprochenen Worte eines Tages. Niemand von uns vergeudete mehr Kraft zum Sprechen.

      Es war den ganzen Tag über still in Wallensen. Tiere gab es nicht mehr. Keine Hühner, die gackerten, keine Kühe und Schweine, die brüllten und quietschten, keine Esel, die schrien. Keine Spur vom Lachen der Frauen beim gemeinsamen Brotbacken, keine Männer, die anderen Männern lautstark Befehle erteilten. Es war ganz still.

      Nur die eintönigen Laute der Beile, wenn die Balken in Form geschlagen wurden, wechselten sich mit dem hellerem ‚Pick‘ der Spitzhacken ab, die den gefrorenen Boden wieder für ein neues Grab öffnen mussten. Es war wie ein Wettlauf zwischen ihnen, aber kein besonders gerechter.

      Doch die Beile hatten die Hoffnung auf ihrer Seite und gewannen. Als die ersten frischen Grashalme in den Bächen zu sehen waren, hatten sie genügend Holz bearbeitet, das es für das Grundgerüst der Mühle reichte und auch erste Balken für den Wiederaufbau der Brauerei beiseitegelegt wurden. Der Bierbrauer Beinling war Mitglied des Rates und hatte alle von der Notwendigkeit einer schnellen Wiederaufnahme des Brauereibetriebs zu überzeugen gewusst, auch wenn das nötige Korn dafür in weiter Ferne war.

      Der Frühling

      Die kleinen Hoffnungsschimmer und die Tatsache, dass unsere Wassersuppen, in denen vorher immer nur altes Gras und Rinde geschwommen waren, nun mit leuchtend grünen und nahrhaften Brennnesseln und Kräutern gekocht wurden, belebten uns etwas.

      Dem mageren Pferd und den knochigen Ochsen wurde eine Pause von zwei Tagen gegönnt, damit sie sich frisches Gras zupften und so zu Kräften kommen konnten. Und es wirkte. Die Holztransporte konnten danach verdoppelt werden.

      Eines Tages war der Magister Heisius eine zeitlang verschwunden und als er wiederkam, zog er eine störrische Kuh am Strick hinter sich her. Er war für uns betteln gewesen im Amt Lauenstein und dies war sein Abschiedsgeschenk. Eine Kuh gegen einen Pfarrer, welch ein Tausch!

      Aber ganz so war es nicht, wir würden bald einen neuen Magister bekommen. Der Heisius hatte in Lauen-stein erfahren, dass sein Nachfolger, ein Pastor Ulrici sich von Hajen aus bereits nach Wallensen auf den Weg gemacht hatte.

      Während ich hungrig und mit Tränen in den Augen dem Magister Heisius nachsah, wie er mit seinen wenigen Habseligkeiten aus dem Niedertor verschwand, ahnte ich nicht, dass mit dem Eintreffen des Pastors Ulrici die glücklichste Zeit meines Lebens beginnen würde.

      Vorerst war das aufregendste Ereignis die Kuh. Wir Kinder hatten die Aufgabe, ihr die besten Weideplätze im Weihbergeschen zu suchen und den strengen Befehl, sie dann ganz in Ruhe grasen zu lassen und auf keinen Fall heimlich an ihrem Euter zu zupfen. Eine Kuh für ein ganzes hungriges Städtchen ist nicht eben üppig. Mit eifersüchtigen Augen überwachten wir das abendliche Melken und die Verteilung der Milch an alle noch lebenden Kinder. Meistens gab es für jeden nur ein Schlückchen, kaum größer als eine Vogelmahlzeit, aber welch ein warmer und sahnig-samtweicher Genuss nach all den Monaten, in denen sich beim Schlucken nur immer wieder unser kratziges Hungergefühl in der Kehle spitz verkantet hatte.

      Ich hauste weiter mit meiner Familie in unserem Verschlag an der Stadtmauer, auch wenn der Bau der Mühle gut voranging. Tagsüber wurde es langsam wärmer, aber nachts war es noch immer empfindlich kalt. Wir kauerten eng aneinander geschmiegt auf unserem dürftigen Lager aus Laub, Hans, die kleine Louise und ich. Hätten wir einander nicht gehabt, wären wir auch in diesen Frühlingsnächten noch vor Kälte gestorben.

      Oft zog ich dann heimlich mein kleines Öltöpfchen von der Kräuterfrau aus meiner Schürzentasche und drehte es im Dunkeln in meinen Händen. Seine raue Haut ließ jenen verzauberten Nachmittag wieder lebendig werden, an dem die Kräuterfrau in meinen Augen meine Zukunft gesehen hatte. Es war noch nicht so lange her, doch es schien eine Geschichte aus einer anderen Welt zu sein.

      Ein Wagen kommt

      Saatgut. Kleine verheißungsvolle Körner, die glatt und rund aus der Hand perlen, sich hinter den Krumen der warmen feuchten Frühlingserde verstecken und dort beginnen, ihr ganz eigenes Leben zu leben. Deren energisches Wachstum fast mit bloßem Auge beobachtet werden kann und Bilder von duftenden braunen Brotlaiben und einem fröhlichen Erntedankfest heraufbeschwören.

      Wir hatten kein Saatgut.

      Das tückische Feuer hatte gewartet, bis all unsere Vorsorge für den Winter und das kommende Frühjahr sicher in den Fächern und Kornböden verstaut war und hatte sich dann den Oktober für seine Tat gewählt, um uns völlig mittellos zu machen.

      All die schweren Tätigkeiten, pflügen, eggen und harken, bei denen uns sonst die Lerchen im Frühjahr spöttisch und ob

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