Ein ehrbares Haus. Maxi Hill
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Sie kann es sich leisten, geduldig zu sein. Der Mann vom Maklerbüro kommt nicht vor zehn Uhr.
Sie macht sich in Gedanken Notizen, wonach sie schauen will, was sie erfragen muss. Gibt es einen Stellplatz für den Janes Kinderwagen? Und zwei für die Autos, die sie täglich brauchen? Wie steht es mit der Reinigung vom Treppenhaus? Darf man im Garten am Haus mit dem Kind spielen? Ist der Mietpreis all inklusiv?
Es gibt gewiss noch mehr, worauf sie erst kommen wird, wenn sie eingezogen ist.
Dass ihr gerade flau im Magen wird, ignoriert sie. Als Werbedesignerin liegen ihre Prioritäten auf den schönen Dimensionen von Dingen. Der Klang von Münzen ist sekundär. Nicht dass sie nicht mit Geld umgehen könnte. Geld ist nicht alles. Die traurige Wahrheit ist: Die Arbeit von Edís steht mal wieder auf der Kippe. Wenn es einer Firma an Gewinnerwartung fehlt, müssen zuerst die Ausländer gehen, rechtens oder nicht. Edís ist in Deutschland geboren; zu leugnen sind seine Ahnen dennoch nicht.
Gerade unternimmt er einen Vorstoß bei seinem Boss, um Klarheit zu haben. Doch auch im positiven Falle werden sie sich einschränken müssen. Das ist der diffuse Horror, der auf Pam lastet. Edís ist Optimist. Er ist immer Optimist — angeboren oder vererbt von seinen türkisch-iranischen Ahnen.
Edís war es, der das Haus entdeckt hat mit dem Schild: Wohnungen / kaufen oder mieten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dazu ist Edís in der Lage.
Er war klug genug, die Verhandlungen ihr zu überlassen. Die Leute sind skeptisch, sehen in jedem Ausländer einen Halunken, eine subversive Kraft, zumindest aber einen Spekulanten.
Pam gelingt mit Erfolg, was Edís unerklärliche Mühe bereitet. Sie ist wortgewandt, hat ein hübsches Gesicht und naturblondes Haar, das sie zu seinem Leidwesen jetzt kürzer trägt. Als sie sich kennen lernten, fiel es in großen Wellen bis weit über die Schulter. Der südländisch dunkle Typ sah nichts anderes in ihr, als ein Model für exklusives Haarshampoon. Dass ein solches Mädchen sich in ihn verlieben konnte, und die Liebe sieben Jahre halten würde, hat er in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten.
Die März-Sonne scheint in ihr Gesicht. Pam lächelt die Gedanken fort und schaut auf ihre silberne Uhr. Noch glaubt sie nicht, dass der Makler Wort hält. Warum sollte es für dieses Haus keine besser betuchten Interessenten geben? Sie kennt nichts Vergleichbares in der Gegend. Ihr Herz hüpft vor Aufregung. Ihre Hände werden feucht. Dann sieht sie, wie auf der Straße der Mann im schwarzen Anzug aus einem schwarzen Mercedes steigt.
»Haben Sie sich schon umsehen können?« Er grinst voll Stolz und todsicher vor Gewissheit, dass er noch heute das Geschäft abschließen wird.
»Legendär«, sagt Pam, und zieht nach der förmlichen Begrüßung lächelnd den Kopf zum Haus hin. Der Mann wiederholt das Wort erleichtert.
»Legendär. Der Bau hat damals für Furore gesorgt … Vor allem, weil das Geld schon seinerzeit von keinem der vielen westlichen Investoren kam, die hier ihr Kapital für sich arbeiten lassen.«
Heute sind auch die Makler von hier, denkt Pam. Und sie denkt, dass ein guter Makler sich verkniffen hätte, was sie noch zu hören bekommt:
»Über die Geldquelle redet man nur hinter vorgehaltener Hand.«
So ähnlich hat es auch Eitel formuliert, nur mit mehr Feuer im Blick. Offenkundig erfährt Pam von dem Mann mehr als sie erwarten kann.
Als er ihr das Zeichen gibt, ihm zu folgen, denkt er bei sich. An dieser Frau scheint alles zu stimmen. Für den Moment glaubt er sogar, der Mann vom Obergeschoss sei stehen geblieben, um die junge Frau zu bewundern. Dieser Hunskötter. Es wäre kein Wunder, handelte es sich um diesen Don Juan vom Parterre, so nennt er den feinen Adligen vom Rhein.
Diese Art Blicke wären allerdings bei jedem verständlich. Doktor Gauß soll auch kein Verächter junger schöner Frauen sein, wie man munkelt.
Die blonde junge Frau ist auch nach dem Geschmack des Maklers. Sie hat ein bezauberndes Lächeln, einen ebenso gut proportionierten Körper wie ausgezeichnete Manieren und einen sehr selbstbewussten Gang. Ein Glücksfall fürs Geschäft. Wer sollte etwas gegen eine solche Erscheinung haben?
Wenn er nur erst die Präsentation erfolgreich hinter sich hätte. Wenn sie bloß nicht fragt, warum es für diese eine Wohnung bisher keinen Mieter gab…
Nein, kaufen kann sie nicht, sagt Pam. Aber alles, was sie sieht, gefällt ihr. Die Wohnung ist hell und geräumig und hat einen prächtigen Balkon, der einem kleinen Vorgarten gleicht. Der kleine Mangel ist zu verschmerzen. Es ist die Mittelwohnung. Zu gerne hätte sie eine der Eckwohnungen bezogen. Es ließe sich besser auf die Sonne reagieren und auch sonst sei es angenehmer, den Blick nach zwei Seiten zu haben.
»Sie haben sehr ruhige Nachbarn«, beteuert der Makler und weist nach rechts.
»Der honorige Herr Hunskötter. Er führt das Amt für Umwelt bei der Stadtverwaltung.«
Beim Anblick des Türschildes kommt Pam ein Schmunzeln über die Lippen. Da versucht sich einer in kalligrafischer Besonderheit. Für diese Dinge hat sie ein Gespür. Ihr Geschmack ist diese Schrift nicht, die er sich als Aushängeschild ausgesucht hat: «Gigi». Mit Schriften kennt sie sich aus.
Links neben ihrer künftigen Wohnung steht ins glänzende Türschild aus feinem Messing edel eingraviert in klassischer Antiqua: Dr. Manuel und Julia Gauß.
Doktor Gauß sei in den besten Jahren, flüstert der Makler, aber die Frau ist noch verdammt jung. Nur wenig älter als sie, Pam, vermutlich sei. Der Augenspezialist habe eine Methode entwickelt, die weltweit für Aufsehen sorgt. Es kämen schon Patienten aus Übersee. Kein Wunder also, wenn der Erfolg zu Kopfe steigt.
Pam denkt in verschiedenen Bildern daran, welches Glück sie mit diesem Hause hat. Ihre Augen wandern zum Flurfenster hinaus. Ob sie die Farbe des Himmels suchen oder ob sie dem Himmel danken möchte, bleibt die diffuse Frage.
Gemeinsam nehmen sie die Treppe zurück, um die Tiefgarage und den zusätzlichen Abstellplatz im Carport anzusehen. Im Parterre erklärt der Mann, dass links der Herr von Findeisen wohnt. Er kommt vom Rhein. Einen vornehmeren Herrn finde man nicht in der Stadt. Stets mit Fliege, Hut und Schirm. Und die Sprache so fein gewählt …
Direkt unter ihr wohnt ein sehr adrettes Rentnerehepaar. Herr Scharfschmidt sei ein ehrwürdiger Mann. Ehemals Richter beim Schwurgericht. Der Makler hebt die Hand und streckt drei Finger: »Er ist noch immer die moralische Instanz.«
Beinahe nebenbei erwähnt er auch die letzten der Mieter des Hauses. Ob Mieter oder Käufer, weiß Pam freilich nicht. Die dritten im Parterre: das Ehepaar Horn. Sehr nette, zurückhaltende Leute. Pam werde sie kaum spüren. Er — Redakteur bei der Tagezeitung. Sie — Psychotherapeutin mit eigener Praxis. Mit denen gebe es keine Probleme. Die würden für sich leben und die Auswüchse der Zeit tolerieren.
»Auf eines muss ich verweisen«, spreizt sich der Mann mit strafender Betonung. Er richtet seine Krawatte gerade — der Bedeutung seiner Worte gemäß.
»Das Penthouse ist für alle Mieter tabu. Der Investor bewohnt es selbst. Verständlich, dass er bei der Auswahl der Mieter äußerst kritisch ist. Sie können sich glücklich schätzen, hier wohnen zu dürfen. Es ist ein so ehrbares Haus.«
Spitzzüngig und viel leiser erklärt er Pam: Der Brauner sei einer der potentesten Arbeitgeber der Stadt. Mit allen