Sieben Tage. Patty May

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Sieben Tage - Patty May

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ihr fast schien, als wäre die Begegnung mit ihm in einem anderen Leben gewesen. Wie er jetzt wohl aussah? Ob sie ihn wiedererkennen würde?

      Warum nur schwieg dieses Telefon?

      Fahrig knetete sie die schmerzenden Finger, pumpte das Blut zurück in die steifen, eiskalten Glieder. Es gab nicht viel, was sie sich noch im Leben wünschte oder davon erwartete, aber diesen Anruf sehnte sie mehr als alles andere herbei.

      Gewiss konnte sie nicht ungeschehen machen, was sie damals angerichtet hatte, aber wenn sie es sich schon selbst nicht vergeben konnte, vielleicht konnte er es tun.

      Jede Faser ihres Körpers war bis zum Zerreißen gespannt, die Geräusche ihrer Umgebung nahm sie überdeutlich wahr, sie hörte das leise Knarren des Gebälks und das stete Vorrücken des Sekundenzeigers. Zehn Uhr zwölf!

      Mit zäher Langsamkeit zeigte die Uhr die verstrichenen Minuten an, und obwohl ihr die Beine vom langen Stehen schmerzten, rührte sie sich nicht vom Fleck, weigerte sich entschieden, diesen Platz zu verlassen. Verbissen verharrte sie bereits seit zwanzig Minuten, doch was bedeutete schon diese Zeit gegen achtunddreißig Jahre? Sie würde warten! Zehn Uhr sechzehn. Als das Telefon schrillte und die Stille im Haus grob zerriss, ließ sie das plötzliche Geräusch zusammenfahren. Ihr Blick glitt zum Display, die Nummer war unterdrückt und ungelenk griff sie mit zitternder Hand nach dem Hörer.

      „Hallo?“

      Fremdartig vernahm sie ihre eigene krächzende Stimme, räusperte sich und sprach erneut in die Muschel. Keine Antwort! Stille! Da, sie konnte ihn hören, sein Atemzug klang rasselnd. Ungesund. War er etwa krank?

      „Chrishan?“

      Sie spürte das Beben ihrer Stimme. In der Leitung wurde es so totenstill, als hätte der Anrufer die Luft angehalten.

      „Chrishan? Bist du es?“

      Keine Antwort! War er wirklich so feige?

      Das passte gar nicht zu ihm, nicht zu dem Mann, den sie mal gekannt hatte. Dieser Mann war mutig und waghalsig gewesen!

      Konnte er sich so sehr verändert haben? Oder fürchtete er nur ihren Zorn? Immer noch?

      „Was damals passiert ist, war nicht deine Schuld! Es war ein dummer Unfall! Du kannst nichts dafür! Niemand kann das!“

      Warum reagierte er nicht?

      Bitte, rede mit mir! flehte sie still.

      Beschwörend sprach sie erneut in den Apparat.

      „Chrishan, wenn du es bist ... Komm nach Hause! Bitte!“ Ein schreckliches Stöhnen drang durch den Hörer bis an ihr Ohr. Zuerst leise, schwoll es immer lauter an. Es hatte nichts Menschliches mehr an sich, sondern den Klang eines waidwunden Tieres. Zutiefst erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund, dieser Laut hatte sie bis ins Mark getroffen!

      Was hatte sie ihm nur angetan?

      Bevor sie reagieren konnte, trennte sie ein plötzliches

      Klacken in der Leitung, gefolgt von der monotonen Abfolge des Besetztzeichens. Fassungslos starrte sie auf den Hörer.

      Die Verbindung war unterbrochen.

      Er hatte aufgelegt!

      ***

      Frau Rösen hatte sie eindeutig ertappt!

      Anne wusste, sie hatte es vergeigt, und ihr wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass die Klausur nun mit einer Sechs benotet wurde. Was für ein Desaster!

      Wie sollte sie das nur ihrer Mutter erklären?

      Abwartend stand die Pädagogin vor ihr, sah nachdenklich auf das Mädchen herab und sprach sie schließlich freundlich an.

      „Fräulein Imhoff, möchten Sie Ihre Arbeit nicht abgeben?“

      Fassungslos starrte Anne die Lehrerin an. Was hatte die vor? Erwartete sie allen Ernstes, dass sie vor der ganzen Klasse ihre Tat gestand? Selbstmitleid trieb ihr die Tränen in die Augen, und da sie sich sonst nicht rührte, nahm ihr Frau Rösen behutsam die Blätter aus der Hand und legte sie auf den Stapel der bereits abgegebenen Seiten. Im selben Moment ertönte der erlösende Pausengong, die Schüler verließen eilig ihre Plätze, und ohne Anne weitere Beachtung zu schenken, übertönte Frau Rösens helle Stimme mühelos den anschwellenden Lärm im Klassenzimmer.

      Zögernd packte Anne ihr Schreibzeug in den Rucksack, sie konnte es kaum fassen, so unbeschadet davongekommen zu sein, trotzdem saß ihr der Schreck noch in den Gliedern. Mit wackeligen Knien erhob sie sich vom Platz und wurde resolut von Jasmin aufgehalten. Die hatte sich wütend vor ihr aufgebaut und bedachte Anne mit bitterbösen Blicken.

      „Mann, stellst du dich vielleicht blöd an!”, blaffte sie, warf sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter und huschte mit unschuldigem Augenaufschlag und einem liebenswürdigen „Tschüss, Frau Rösen!“ zur Tür hinaus.

      Beschämt folgte Anne den letzten Schülern, als die Lehrerin sie zurückrief.

      „Fräulein Imhoff? Einen Augenblick, bitte!“

      Sie hatte es doch gewusst!

      „In der nächsten Stunde werden Sie ein Referat halten. Ihr Thema ist das Alte Land. Bitte bereiten Sie sich gut vor!“

      Irritiert blickte Anne ihre Lehrerin dümmlich an.

      „Haben Sie noch eine Frage, Fräulein Imhoff?“

      Zum zweiten Mal in dieser Stunde verschlug es Anne die Sprache, und langsam dämmerte dem Mädchen, dass soeben ihre Strafe verhängt worden war.

      „Nein, nein. Altes Land“, stammelte Anne monoton. „Nächste Stunde.“ , fügte überflüssigerweise mit Entsetzen hinzu: „Und alles auf Englisch?“

      „Aber das versteht sich doch von selbst!“

      Niedergeschlagen dachte Anne nach. So ein Mist, das würde sie etliche Nachmittage kosten!

      Aber es hätte weitaus schlimmer kommen können!

      Frau Rösen konnte ihr die Erleichterung ansehen.

      „Ich bin mir sicher, dass ich weitere interessante Themen für Sie finde! Aber nun können Sie erst mal in die Pause gehen.“

      Als die Lehrerin sich abwandte und die Klassenarbeiten in ihrer abgewetzten ledernen Aktentasche verstaute, hätte Anne schwören können, dass sie dabei lautlos lachte.

      Fluchtartig machte das Mädchen auf dem Absatz kehrt, rannte auf den Gang hinaus und stieß im vollen Schwung mit Maike zusammen, die sie offenbar gesucht hatte.

      „Au, Mensch Anne, kannst du nicht aufpassen? Wo bleibst du überhaupt so lange?“

      Ihre Freundin rieb sich stöhnend die Seite, dort wo sie versehentlich Annes Ellenbogen zu spüren bekommen hatte, und sah dann überrascht in deren hochrotes, glühendes Gesicht.

      „War irgendwas?“

      „Mmh. Komm, lass uns bloß hier abhauen!“

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