Mit Buddha im Büro. Daniela Pielke

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Mit Buddha im Büro - Daniela Pielke

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herrschte beklommene Stille. Obwohl die Aussage ja dem Motto des Marketingteams entsprach, schienen alle am Besprechungstisch zutiefst beunruhigt. Die Ethnologin in mir wusste natürlich, dass Menschen unsicher oder ungehalten reagieren, wenn der Ablauf von Ritualen gestört wird. Emelie, die zusammen mit Erik im Schüleraustausch-Team arbeitete, bekam bei seiner Bemerkung rote Flecken auf dem Hals und im Gesicht. Die Gmoohler schauten sich an, unfähig, etwas zu sagen. Ein paar scharrten unter dem Tisch mit den Füßen.

      „Also, Erik hat schon recht: Alles ist gut. Wir haben diese Woche wieder hundertfünfzig Neukunden akquiriert und unseren Pool der potenziellen Teilnehmer damit deutlich erweitert“, sagte Emelie schnell. Dabei bewegte sie ihren Kopf so dynamisch, dass ihre beiden Zöpfe fröhlich auf und ab wippten.

      „Gut. Vielen Dank, Emelie“, sagte Matthias sichtlich erleichtert. Auch die anderen Gesichter der Gmoohler entspannten sich wieder.

      An Emelie bemerkte ich einen geheimen Zusammenhang, der mir zunächst verborgen geblieben war: Je mehr man in der Besprechung erzählte, umso mehr arbeitete man. Im Umkehrschluss bedeutete das: Wer in der Besprechung nichts zu sagen hatte, der arbeitete auch nicht.

      Die Kunst, über die eigene Arbeit zu sprechen und sich dabei so in Szene zu setzen, dass alle begriffen, dass man ein wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Leistungsträger der Firma war, musste ich mir erst aneignen. Jetzt erst verstand ich, weshalb alle Kundenberater – abgesehen von Erik und mir – die alltägliche Arbeit jede Woche aufs Neue so blumig umschrieben. Zugegeben, es erforderte ein hohes Maß an Kreativität, dieselben Büroprozesse jede Woche aufs Neue zu verkaufen. Emelie beherrschte diese Kunst wie keine andere. Bei ihr wurde das langweilige Eintippen von Adressdaten in den Computer und das anschließende Ausdrucken von Anschreiben jede Woche neu sprachlich verpackt. Warum ihr keine Stelle im Marketingteam angeboten worden war, wunderte mich. Ich kann mich an keine einzige Wiederholung erinnern, obwohl auch sie Woche für Woche dasselbe machte.

      Nun begriff ich auch endlich, weshalb Claudia ihren Beitrag stets mit den Worten eröffnete: „Ach, eigentlich gibt es nichts“, um dann im Anschluss einen fünfzehnminütigen Monolog über nichts zu halten: Sie war ein deutscher Jerry Seinfeld und inszenierte ihre Show about nothing sehr gekonnt.

      Der Höhepunkt jeder Besprechung war der Auftritt von Eva-Maria. Sie war für Sondermeldungen zuständig: „Die Reinigungsfirma kommt jetzt am Wochenende, und deshalb müssen bis Freitag alle ihre Sachen aus dem Kühlschrank entfernen“, oder „Ich möchte nochmals alle daran erinnern, ihre Schreibtische am Mittwochabend möglichst freizuräumen, damit die Reinigungskraft die Platte abwischen kann.“

      Alle rollten mit den Augen. Doch es war jedem bewusst, dass es bei uns ohne unseren Office Linebacker in kürzester Zeit wie auf einer Müllhalde aussehen würde.

      Wochen und Monate vergingen, und die Monotonie meiner Arbeit störte mich nicht mehr. Vielmehr eröffneten sich mir neue Möglichkeiten: Die exakte Ausführung meiner verdeckten Feldforschung setzte ein großes buddhistisches Maß an Achtsamkeit voraus. Damit wurde jede Bürosituation zu einer kostbaren Gelegenheit, mehr über mich, die anderen und das Universum zu erfahren.

      Neben den Besprechungen entdeckte ich noch weitere Rituale bei Gmooh: Es gab die wöchentliche Happy Hour in der Cocktailbar, den gemeinsamen Saunabesuch am Mittwoch, das gemeinsamen Pubquiz am Donnerstag und den gemeinsamen Kinobesuch am Freitag. Für mich bedeutete das gerade in meiner Anfangsphase, Menschen, mit denen ich im Normalfall keinen Kontakt suchen würde, auch noch außerhalb der Vierzig-Stunden-Woche zu sehen. Eigentlich wollte ich lieber Freunde treffen, doch ich wollte natürlich auch mit meinen Kollegen gut auskommen. Wer dazugehören wollte, musste dabei sein. Also nahm ich an diesen Vergemeinschaftungsritualen teil. Die anderen waren kaum begeisterter als ich, wie ich beobachtete. Nur Emelie, die Initiatorin aller dieser Teamevents, schien mit echtem Enthusiasmus dabei zu sein.

      „Ist dir schon mal aufgefallen, dass die Teamevents, die in Verbindung mit Alkohol stehen, am beliebtesten sind?“, fragte mich Erik, als wir uns in der Küche über neuste Teamevents austauschten.

      „Ja, ist mir aufgefallen“, sagte ich.

      „Das heißt ja dann wohl, dass die meisten ihre Kollegen nur unter Alkoholeinfluss ertragen können.“

      „Ja, das könnte man meinen. Ich finde es übrigens auch leichter“, gab ich zu. Trotzdem ließ ich mich an einem Mittwoch breitschlagen, an einem Teamevent ohne Direktverbindung zu Alkohol teilzunehmen. Der wöchentliche Saunabesuch stand an. Zusammen mit den Kolleginnen nackt auf der Holzbank zu schwitzen und den Schweiß der anderen zu riechen, war nicht der ausschlaggebende Grund, aber ich wollte mal wieder etwas für meine Gesundheit tun.

      Eingeklemmt zwischen Emelie und Claudia saß ich also auf meinem Handtuch und musste sehen, dass Emelie glattrasiert war wie ein vorpubertäres Mädchen, was ja auch zu ihrem mädchenhaften Stil passte, während die überkorrekte Claudia mit ihrem Haardutt sich einen wilden Busch hielt, um den jede Hippie-Frau sie beneidet hätte. Wir schwitzten gemeinsam und tauschten Nettigkeiten aus.

      „Julika, du hast so schöne schlanke Beine. Wieso versteckst du sie immer unter Jeans?“

      „Claudia, du hast ja eine wunderschöne Haut, keine Spur von Cellulitis!“

      „Danke, aber schau mal hier!“ Sie zeigte auf ein paar Narben, die sie sich durch einen Fahrradunfall zugezogen hatte.

      „Und was für ein außergewöhnliches Tattoo du hast, sieht toll aus!“, sagte ich zu Emelie, während ich die riesige geschwungene und verschnörkelte Lilie auf ihrem Rücken bewunderte.

      Am nächsten Tag war es etwas komisch, sich wieder in Bürokluft zu begegnen und zu wissen, welche Geheimnisse sich darunter verbargen. War es gestern noch um Intimrasur gegangen, um kleine Komplexe und Gesundheits- und Schönheitstipps, waren wir am nächsten Tag wieder professionell und tauschten uns über Arbeitsabläufe aus.

      Im Laufe des Jahres konnte ich auch angenehmen Ritualen beiwohnen. Sie hatten alle eines gemeinsam: Es gab gut und reichlich zu essen. Geburtstagsgelage, Einstand, Ausstand, Jubiläen – irgendetwas gab es bei Gmooh immer zu feiern. Manche verbuchten diese Zeit als Pause, andere als Arbeitszeit, da es sich ja um ein Ereignis handelte, das den Teamgeist stärkte und bei dem Nichterscheinen nicht geduldet wurde.

      Meine Arbeit ging mir inzwischen leichter von der Hand. Mit ethnologischem Pflichtbewusstsein fertigte ich nebenher heimlich Netzwerkkarten an, die zeigten, wer bei Gmooh mit wem verbunden war. Wer tauschte mit wem Informationen aus? Der Dreh- und Angelpunkt hierfür war nicht die Besprechung, sondern die kleinen und großen Pausen in der Küche. Wo gab es Allianzen, wo Fronten? In den frühen Anfängen der Ethnologie ging man davon aus, dass zu erforschende fremde Kulturen mehr oder weniger statische Gebilde seien. Der Buddha hingegen hatte schon vor 2.500 Jahren festgestellt, dass alles unbeständig ist und wir Menschen am meisten unter der Vergänglichkeit leiden. Die Ethnologen kamen erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts darauf, und obwohl ich theoretisch wusste, dass alle meine Bemühungen, die Gmooh-Firmenkultur ethnographisch abzubilden, eine sich bald verflüchtigende Momentaufnahme waren, lenkte meine pseudoethnologische Herangehensweise mich davon ab, dass mir die Bürorituale und Hierarchien im Grunde suspekt waren und ich mich unterfordert fühlte. Außerdem gab mir meine verdeckte Feldforschung das Gefühl, dass mein Studium nicht ganz umsonst gewesen war, und der distanzierte Blick verhalf mir zu einer neuen Gelassenheit.

      Trotzdem fühlte ich mich bei Gmooh nach wie vor fehl am Platz. Doch mir fehlte es an Ideen und Mut, etwas anderes zu machen, und so harrte ich weiter aus und interpretierte meine Trägheit und Unentschlossenheit wohlwollend als buddhistische Gelassenheit.

      Конец

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