Die Sonnenanbeterin. Nieke V. Grafenberg

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Sonnenanbeterin - Nieke V. Grafenberg страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Sonnenanbeterin - Nieke V. Grafenberg

Скачать книгу

den Flur entlang lief.

      „Haben Sie Wilma gesehen?“ rief er mir zu und eilte weiter.

      Ehe ich mich sammeln und antworten konnte, hatte er den Treppenabsatz erreicht, war kurz darauf verschwunden.

      Er hatte mich wohl verwechselt.

      Aber wer war Wilma?

      Ich klappte den Karren zusammen, lehnte ihn zum Abtransport dicht an die Wand und kehrte ins Hotelzimmer zurück.

      VIER

      Zu Hause unser Haus steht seitenverkehrt.

      Im Wohnzimmer halte ich mich selten auf. Es ist nach Norden gerichtet und ab mittags schummrig.

      Ullis Büro liegt der Sonne zugewandt.

      Dort führe ich Telefonate, erledige eiligen Schriftkram an seinem PC, wenn er, wie so häufig, verreisen muss.

      Dort halte ich seine Geschäfte am Laufen, bin ohne große Begeisterung seine Sekretärin und Mädchen für alles.

      Ein Zimmer im oberen Stockwerk ist meine persönliche Zuflucht. Die Möbel darin gehören schon immer zum Raum. Großmutter hat sie mir mit dem Haus vererbt.

      Hier stöhnen die alten Balken der Schräge, die krummen Dielen knarren bei jedem Tritt.

      Hier verbringe ich die wenigen freien Nachmittage, schreibe, lese, nähe lose baumelnde Knöpfe an oder hänge meinen Gedanken nach.

      Hier machen die Kinder ihre Stippvisiten, lassen sich mit einem Kaffee oder Tee auf dem kleinen, abgeschabten Sofa mit den hohen Lehnen nieder und schauen, ob alles seine Ordnung hat.

      Erzählen neue Geschichten oder kramen alte aus.

      Meiden nach wie vor geflissentlich das Thema Sommerfrische und die damit verbundene Erinnerung an schmerzliche Ereignisse, die ein Blick in die Schneekugel so lebhaft wachrufen kann.

      Gedankenverloren befühle ich das kalte Glas in meinen Händen. Auch wenn ich die Augen geschlossen halte, ich sehe den Sturzflug des Adlers, blicke in helle Wolfsaugen bar jeden Hintergrunds. Ich höre Murmeltiere pfeifen, lausche den heiseren Schreien der Alpendohlen und rieche wieder den Schnee.

      Zur Unzeit, denn bei uns in der Ebene ist der Frühling angebrochen. Die Bäume auf den Streuobstwiesen ringsum sind zum Leben erwacht, sind überschäumt mit weißen Blüten. Hier und da ein rosa Tupfer.

      Eine frühe Hummel taumelt schläfrig an der aufgesperrten Balkontür vorbei, folgt brummend der Duftspur des Flieders.

      Den Schnabel voll erdiger Würmer schaut das Amselmännchen mich zaudernd an, hüpft dann in den Efeu, das brütende Weibchen zu füttern.

      Die Luft ist ganz weich, doch ich weiß, ich täusche mich nicht – ich rieche den Schnee in der Schneekugel und den eines längst vergangenen Sommers.

      Die Kugel erhält ihren Platz auf dem Aufsatz des Schreibsekretärs.

      Denkmal für schlummernde Erinnerungen.

      Der Cocktailabend liegt lange zurück, doch ich entsinne mich gut. Oben im Zimmer unterwarf ich das, was der Garderobenspiegel in seiner Unbestechlichkeit zurückwarf, einer kritischen Musterung. Es war das müde, dunkle Gesicht einer kurzhaarigen Siamkatze mit spitzem Kinn und schräggestellten Augen auf dem nur teilweise sichtbaren Körper einer wuselig-molligen Perserkatze.

      Ich war nicht stolz auf mein Aussehen, Großmutters überlieferter Ausspruch von eindeutig entarteter Familienkunst fiel mir ein.

      „Wo habt ihr die denn aufgetrieben?“ hatte sie entgeistert gefragt. „Die schlägt ja total aus der Familie!“

      Erst als Sanne geboren wurde, traf diese Bemerkung nicht mehr den Kern. Jetzt gab es zwei von der Sorte. Wir sind die Exoten in einer hochgewachsenen, milchhäutigen Familie mit hellen Wimpern und Sommersprossen: mittelgroß, glatte braune Haare im Überfluss, brünetter Teint, graugrüne Augen unter zu dichten Brauen. Das Wort Sonnenbrand ist ein Fremdwort für uns.

      Nach einem zweiten Blick in den Spiegel musste ich mir eingestehen, ich sah reichlich zerknittert aus. Das sollte nicht sein. Im Hotel ging es leger zu, man kannte uns, ich wollte aber trotzdem keinen unvorteilhaften Eindruck machen. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Bis zum Cocktail blieb eine knappe Stunde für die oberflächliche Überholung von Kleidung, Körper und Seele. Das musste reichen.

      Der hoteleigene Bademantel am Türhaken war für einen Riesen. Ich wickelte mich hinein und lief los. Schwimmen, saunieren oder faulenzen, wonach stand mir der Sinn? Auf meinem Weg in die Badelandschaft entschied ich mich für Zirbensauna und Tauchbad im See. Das würde am besten entknittern.

      In der Zirbenhütte war mein Lieblingsplatz mit Ausguck besetzt. In dem winzigen Saunaraum herrschte drangvolle Enge. Bis ein Pärchen sich den Weg nach draußen bahnte.

      Wenig später Unruhe im Vorraum. Ein Augenpaar linste durch das kleine Fensterchen, die Tür schwang auf. Ängstlich Berührung vermeidend, schlängelte Bärlein sich durch schwitzende Leiber auf die höchste und heißeste Saunabank. Von dort aus grüßte er mit freundlicher Zurückhaltung in die Runde.

      Schließlich war man ja nackt.

      Gleich darauf deutlich trommelnde Geräusche auf dem Hüttendach.

      Ein gereckter Hals und der Blick durch das niedrige Sprossenfenster bestätigten mir, es regnete.

      Pralle Tropfen klatschten auf die Oberfläche des Sees, schienen einen Atemzug lang zu zögern - bis sie eintauchten, ringförmig auseinanderliefen und für einen flüchtigen Moment die Weite des Sees mit verschwimmenden Mustern verknüpften.

      Der Zauber verflüchtigte sich ebenso schnell, wie er gekommen war.

      Irgendwann konnte ich Hitze, Feuchtigkeit und die Nähe schwitzender Leiber nicht mehr aushalten, ich lief den abschüssigen Rasen hinunter zur Treppe am Badesteg und tauchte ein in den See.

      Auf dem Rückweg zum Steg setzte der Regen erneut ein, diesmal ganz sanft und warm auf Haaren und Haut. Dann war die Wolkenwand vorbeigezogen, hatte Platz gemacht für einen blassen Streifen Abendlicht.

      Mein Handtuch hing über dem hölzernen Handlauf. Froh, dass ich mich überwunden hatte, stieg ich aus dem kalten Wasser. Der warme Regen wie Sekt auf der Haut, wohlige Wärme machte sich breit, ich genoss das herrliche Prickeln.

      Da - ein gellender Pfiff aus dem Whirlpool! Ich sah hin, Rieke und Sanne grinsten, sie wussten, wie ungern ihre Mutter sich nackt zeigte. Wenn sie wenigstens allein gewesen wären! Aber nein! Zwischen den beiden, die Zähne leutselig gebleckt, thronte der Wolf unter einer Fontäne des Sprudelbeckens. Den Kopf im Nacken, die Augen verengt zu zwei Schlitzen, schien er trotz absoluter Reglosigkeit alles und jeden im Blick zu haben. Jetzt, wo die Haare klatschnass am Kopf lagen, sah man bläulich schimmernde Wurzeln in gelbgraue Grannen mit silbernen Spitzen übergehen.

      Der Wasserstrahl stockte, ich sah, wie Rieke die Hand von seiner Schulter nahm. Für eine kurze Sekunde geriet ich ins Stolpern. Geistesgegenwärtig schlang ich das Saunatuch fester, hielt es mit einer Hand zusammen, winkte erst zurück, als ich mich wieder sicher fühlte.

      Noch heute überkommt mich

Скачать книгу