Namenlos oder Kreuz As... und die Morde enden nie. Angelika Nickel
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»Ja, echt gut gemacht, Jesse. Kannst du mir verraten, was wir nun dem Alten sagen?« Lotte hatte es beinahe die Sprache verschlagen.
»Dass wir die Leiche verloren haben?« Jesse war aschfahl. Er wusste jetzt schon, dass Miraldi ausrasten würde, würde er von seinem Missgeschick erfahren.
»Wir sollten versuchen, sie uns wiederzuholen.« Petes Augen folgten dem leblos davontreibenden Körper, der nur noch schwach zu erkennen war.
»Wenn wir Glück haben, verheddert sie sich vielleicht irgendwo im Geäst...« Jesse blickte unglücklich drein.
»Wenn wir Glück hätten, dann hätten sie uns nicht ausgerechnet dich geschickt.« Lotte hatte keine Ahnung, wie sie das ihrem Vorgesetzten erklären, und was sie in ihren Bericht schreiben sollte. Sie konnte doch unmöglich mit der Wahrheit kommen. Wie hörte sich das denn an:
Haben Leiche durch schweres Unwetter in den Fluten eines Flusses verloren.
Unmöglich, die Wahrheit konnte sie auf gar keinen Fall schreiben.
Sie sah von Pete zu Jesse, und hoch zu Roger Red, der immer noch bestrebt war, zumindest ein Bild von der dahintreibenden Leiche zu machen.
»Von dem, was hier passiert ist, kein Wort! Das bringt nur Ärger. Wir sind hergekommen und da trieb die Leiche bereits im Wasser. Nur so geht’s.« Lottes Ton war bestimmend, duldete keinen Widerspruch. »So wie´s hell wird, müssen sofort Taucher ans Werk.«
»Und du glaubst, dass es gut geht, dass der Alte das schluckt?«
»Kommt auf einen Versuch an. Was soll ich sonst machen? Hast du einen bessere Idee, Pete? Oder du, Jesse?«
Jesse schluckte. »Wie wär´s denn mit Widrigkeiten eines Tatorts. Der Regen, der rutschige Abhang, der Fluss...«
»Ja, und `nen Gerichtsmediziner, der zu blöd ist, eine Leiche festzuhalten.« Roger Reds Blitzlicht erhellte die Nacht. Das Bild von Jesses verdutztem Gesichtsausdruck war im Kasten. Ganz hinten, hätte mit einer Lupe, die im Wasser treibende Leiche später auf dem Foto erkannt werden können.
»Weißt du wenigstens, wie die Leiche augesehen hat, Jesse?« Lotte hangelte sich wieder den Abhang hoch.
»Ich glaube, mir ist da etwas aufgefallen.« antwortete Jesse kleinlaut, und folgte Lotte den Abhang hinauf.
»Hört, hört, ihm ist etwas aufgefallen.« Auch Pete gab auf und folgte den anderen. Ihm reichte es für heute allgewaltig. Er wollte nur noch eins: Nach Hause, raus aus den nassen Klamotten, eine heiße Dusche nehmen, und über den ganzen Mist gar nicht mehr nachdenken.
Eine Leiche verlieren, das durfte man ja keinem erzählen... Der Verlust eines Leichnams, ein absolutes Unding, so etwas durfte nicht passieren!
Und doch war es passiert. Jesse Dump hatte dafür gesorgt, dass ihre Leiche nun davon trieb, und sie ohne etwas wieder abziehen mussten.
Pete bestieg den Beetle, während Lotte über Funk sofort einen Tauchersuchtrupp für den frühen Morgen anforderte.
4. Miraldi stinksauer
Miraldi schäumte vor Wut. Er griff zum Hörer, wählte Lombards Nummer. Es läutete und läutete.
»Verdammt noch eins, jetzt geht das Weib noch nicht mal ans Telefon!« Wütend knallte er den Hörer auf die Gabel.
Er lief zum Fenster, riss es auf. Nichts, weit und breit nichts von Lombard und Maxwell zu sehen.
Mit einem Blick auf die Uhr, war er sicher, dass es nicht mehr lange dauern und die beiden in ihrem Büro auftauchen würden.
Um seine Finger zu beruhigen, hangelte er nach seinen Zigaretten. Er sah auf die noch geschlossene Schachtel. Eigentlich wollte er aufhören, aber... Ach, was soll´s, das hatte auch noch Zeit bis morgen. Im nächsten Moment steckte eine brennende Zigarette zwischen seinen Lippen. Gedankenverloren schielte er auf die Glut. Scheidung, Leichen, die verschwinden, wie soll man da aufhören können?, fragte er sich, als suchte er einen Entschuldigungsgrund vor sich selbst, vor seiner eigenen Schwäche. Doch war es überhaupt Schwäche? Konnte er in seinem Beruf tatsächlich von Schwäche reden? Nein, er war nicht schwach. Im Gegenteil, er war ein Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand. Nur, das Leben meinte es zurzeit nicht allzu gut mit ihm. Miraldi verzog das Gesicht. »Pah, was macht´s, es kommen auch wieder bessere Tage.«
Sein Kopf fuhr hoch.
Da, jetzt kamen sie!
Er hörte Lombards rauchige Stimme, die sich immer anhörte, als hätte sie die Nacht durchgezecht, und dabei viel getrunken und geraucht.
Na, die konnten was erleben!
Mit schnellen Schritten war er bei der Tür, riss sie auf, gerade als die von Lombards Büro ins Schloss fiel. »Lombard, Maxwell, zu mir!«, brüllte er durch den Flur, während er den Knoten seiner Krawatte löste. Mit einer schnellen Handbewegung warf er sie auf seinen Schreibtisch. »Auch so eine Scheißerfindung. Schneidet dir den Hals zu...« Er hörte Maxwell. Hörte ihre Stimmen.
Hastig setzte er sich hinter seinen Schreibtisch. Mussten ja nicht sehen, wie sehr ihn das alles aufregte.
»Ach, Mist, die Kippe!« Sofort löschte er die Zigarette am Waschbecken unter laufendem Wasser; und sprühte mit Deo das Zimmer aus. Keinen Moment zu früh.
Lotte Lombard öffnete die Tür, streckte ihren Kopf herein. »Morgen, Chef. Sie haben nach uns gerufen.« Lotte setzte ein unschuldiges Lächeln auf, während sie, neben Pete, das Büro ihres Vorgesetzten betrat.
Sie schnüffelte. »Rauch?« Ihre Brauen zogen sich zusammen. »Wollten Sie nicht damit aufhören?«
Miraldi winkte zornig ab. »Versuchen Sie bloß nicht abzulenken.« Er schoss auf seinen Schreibtisch zu, krallte sich mit beiden Händen an ihm fest. Seine Kiefer mahlten. »Denken Sie erst gar nicht daran!«
»Aber, Chef, was hat Sie denn so aufgebracht..., am frühen Morgen?« Lotte hatte einen Verdacht, und der gefiel ihr gar nicht. Kein bisschen. Sie setzte sich auf einen der beiden Stühle vor Miraldis Schreibtisch.
Miraldi blies die Luft aus. »Lombard, stellen Sie sich nicht dümmer als die Polizei erlaubt!«
Seine Augen sahen zu Pete. »Und Sie, Maxwell, lassen das blöde Grinsen!« Er schlug mit der Hand auf den Tisch. Eine Akte rutschte vom Stapel, ging auf, und ein Großteil des Inhalts fiel neben seinem Schreibtisch auf den Boden. »Scheiße!« Das ist nicht mein Tag!, knurrte er in Gedanken. Er streifte die am Boden liegenden Aktenseiten mit einem zornigen Blick.
Lotte stand auf, sammelte die Blätter zusammen und legte sie in die Mappe zurück. Der Aktendeckel glitt langsam zu.
»Danke.« brummte Miraldi, während sich Lotte wieder setzte. Wütend sah er seine beiden Kriminalbeamten an. Schweigend. Er schwieg, sie schwiegen, irgendwo in einem der anderen Büros läutete ein Telefon, gleich darauf eine gedämpfte Stimme, die sich meldete.
Miraldis Finger tippelten auf dem Schreibtisch. Erneut schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Habt ihr mir nichts zu sagen?«