Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt. Susanne Albers
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"Und außerdem hast du gar keine richtigen Eltern, meine sind wenigstens echt, du bist nur ein Adoptivkind."
Ich war völlig entsetzt und rannte zu meiner Mutter. Bis dato wusste ich nicht was das war, vor allem nicht, dass ich es war.
Ich erzählte meiner Mutter also, was derjenige gesagt hatte.
Und sie hat aus heutiger Sicht überaus klug reagiert. Sie erzählte mir in den liebevollsten und schillerndsten Worten wie das war, wie sie mich ausgesucht hatten und schließlich zum Heiligen Abend 1965 auf einem blütenweißen Kissen in ihr Haus trugen, wie toll das war, wie glücklich meine Eltern waren, gerade mich gefunden zu haben und dass ich natürlich ihr richtiges Kind sei. Dann ging sie zum Schrank, zeigte mir (3 jährig) die Geburts- bzw. Adoptionsurkunde und sagte:
"Siehst Du Susanne, wir sind Deine richtigen Eltern und das haben wir sogar schriftlich."
(p. s. soweit ich weiß lebt meine richtige Mutter noch. Einmal wollte ich sie kennenlernen, nahm mit Hilfe eines Psychologen all meinen Mut zusammen und habe bei ihr geklingelt, mich vorgestellt und meinen Wunsch geäußert, sie kennenlernen zu wollen. "Das haben Sie ja jetzt getan" war ihre Antwort. Und dann schloss sie ihre Haustür wieder zu. Das ist alles was ich von ihr weiß.)
Für mich als Dreijährige war alles klar, supertoll und so rannte ich wieder zurück in die Sandkiste, verschränkte meine Arme in den Hüften und stellte mich breitbeinig vor diesen Nachbarsjungen. Dann sagte ich:
"Du hast gelogen, ich bin ihr richtiges Kind, das haben wir sogar schriftlich"
Für den Nachbarsjungen war die Situation damit abgefrühstückt, wir vertrugen uns wieder und spielten weiter. Nur in meinem Kopf regten sich die Gedanken über das was ich gerade erfahren hatte.
Um 16:15 Uhr kam mein Vater von der Arbeit nach Hause. Das war immer der Moment wo ich vom Spielen nach Hause lief, ihn begrüßte, mich an den Tisch zum nachmittäglichen Kaffeetrinken dazu setzte, und mein Glas Saft trank.
Meine Gedankenwelt war mittlerweile dahingehend fortgeschritten, dass ich folgende Frage äußerte:
"Hättet Ihr auch ein anderes Kind nehmen können, als gerade mich?"
Meine Mutter war es, die wie auch zuvor eine perfekte Antwort auf den Lippen hatte:
"Ja Susanne, da waren noch zwei andere Babys und sogar ein Negerbaby, aber wir fanden dich so lieb und süß, dass wir dich genommen haben."
Natürlich war ich mit dieser Antwort überaus zufrieden, spiegelte es doch wieder, warum gerade ich die Auserwählte war und wie süß und lieb ich war. Deshalb war für mich alles ok, ich trank aus und lief los, um mit den Nachbarskindern weiterzuspielen. Und auch dann arbeitete mein Gehirn weiter an dieser neuen Information.
Abends, als meine Mutter mich ins Bett brachte und mir "Gute Nacht" sagte, hatte ich die 3. Frage auf den Lippen. Es gab allerdings ein Problem, welches mich dazu veranlasste, sie niemals zu stellen. Dieses Problem war sehr einfach. Meine Frage konnte nur mit Ja oder mit Nein beantwortet werden. Und weil ich von Anfang an vor den Folgen einer möglichen "Ja" Antwort Angst hatte, wagte ich damals nicht diese Frage zu stellen:
"Bringt Ihr mich wieder zurück, wenn ich nicht artig bin?"
Diese Frage stellte ich also niemals, weil ich Angst vor der Antwort hatte, und es war eigentlich kein Drama, was ich erlebte. Denn was ich wusste war doch:
"Wenn ich mich bemühe, immer artig zu sein und nicht über die Strenge schlage, dann bringen sie mich garantiert nicht zurück."
Und so verhielt ich mich auch. Solange, bis ich fast das 30. Lebensjahr vollendet hatte. Ich wollte immer, dass sie stolz auf mich waren und ich sie glücklich machte. Und als ich erwachsen war, wollte ich, dass andere mit mir zufrieden sind. Natürlich bin ich auch einmal unartig gewesen, aber ich hatte mir den Grenzbereich selbst genau vor Augen gelegt. Das und das kannst Du noch machen... und das und das darfst Du nicht, weil sie dich dann bestimmt zurückbringen würden.
So in etwa deutet sich meine psychische Störung in Sachen Adoption an. Ob ich mich von diesen Gedanken zum Ereignis jemals werde befreien können, ich weiß es nicht.
3. Dr. med. Arnold Blumenbach, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Ich hab das extra so förmlich tituliert, weil er eine absolute Persönlichkeit in Lüneburg war. Meine Mutter hatte angerufen, einen Termin vereinbart und ging mit mir zum ersten Besuch hin.
So, so, Nervenarzt und was? Psychia … klingt nach Klapsmühle … hmm … wenn ich das heute so überdenke, waren meine Eltern superlieb und mutig. Sie haben das Alles mit mir durchgestanden. Ja, wenn nur die Nachbarschaft nicht beobachtet, dass man dort in die Praxis hinein geht. Aber meine Mutter war unendlich tapfer, hatte mich an der Hand und öffnete die Tür.
Ich war aufgeregt und natürlich unendlich neugierig. Über die Dramatik meiner Erkrankung war ich mir zu dem Zeitpunkt noch nicht so ganz im Klaren. Ja, der Hausarzt Dr. Brunswig sprach schon in einigen Sätzen davon, dass Anlass zu Vorsicht geboten sei, ich dieses oder jenes nicht unbedingt tun sollte, aber mehr auch nicht.
Drinnen war es nicht so schön hell, wie Licht durchflutete Räume, alles war so ein bisschen altbacken. Wir warteten nach der Anmeldung kurz im Wartezimmer, dann bat uns die Sprechstundenhilfe ins große Sprechzimmer. Erst zu den folgenden Terminen empfing uns Dr. Blumenbach in einem der drei kleineren Sprechzimmer.
Dann kam er schweren, aber schnellen Schrittes herein, setzte sich und begrüßte erst mich, dann meine Mutter. Er hatte schwarze glatte Haare, einen Seitenscheitel, eine Brille und eine Hasenscharte. Das war mir sofort aufgefallen. Seine Sprache war schnell, laut, und Ehrfurcht einflößend.
Meine Mutter schilderte die vergangenen Anfälle und die häusliche und familiäre Situation. Mein Vater war in Bardowick bei Schulenburg Polstermeister, meine Mutter hatte während der Nazizeit auf Grundschullehramt studiert, zum Kriegsende wurde diese Lehrerinnenbildungsanstalt aber geschlossen. Es fiel ihr nicht leicht, dass sie sich „nur“ als Hausfrau und Mutter angeben konnte. Ich merkte es sehr deutlich, dass sie darüber traurig war.
Und nun, in gerade diesem wichtigen Arztgespräch fühlte sie sich klein, das tat mir leid. Dr. Blumenbach gab das Seinige dazu, er verhielt sich sehr stark, wie der Halbgott in Weiß.
Und das war er auch, Lüneburgs fast einziger, zumindest aber Top-Nervenarzt.
Er erklärte kurz, dass ich alle 3 Monate zur Gehirnstrommessung EEG und zu Blutabnehmen kommen sollte, dass (bevor er das fertige EEG gesehen hatte) meine Anfälle Grand Mal Anfälle von franz. Großes Übel genannt werden und dass ich keine Epilepsie, sondern unbedingt nur ein hirnorganisches Anfallsleiden hätte. Dann brachte mich eine Sprechstundenhilfe in den EEG Raum. Dr. Blumenbach und meine Mutter unterhielten sich weiter. Ich weiß bis heute nicht genau, was er ihr und sie ihm erzählt haben.
Ich erhielt eine Art Gumminetz auf den Kopf, welches unter dem Kinn mit einem Riemen gehalten wurde. Die Sprechstundenhilfe war erklärfreudig und ich sehr neugierig. Die Elektroden wurden im Netz befestigt und mit Wasser auf der Kopfhaut befeuchtet. Dann kamen noch die einzelnen Kabel von der Maschine an die vielen Elektroden und schon ging es los. Das EEG wurde geschrieben. Dr. Blumenbach hatte vorher erklärt, dass man Gehirnstromunregelmäßigkeiten im EEG erkennen könne.
„Augen