Ich durfte alles und habe oft teuer bezahlt. Susanne Albers
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Und dann kam es: meine Eltern wollten, dass ich die 7. Klasse wiederholte, obwohl ich keine 5 im Zeugnis hatte. Lange Rede kurzer Sinn: ich wiederholte. Es war so grausam, ich heulte heimlich in mich hinein. Ich musste die Klasse von Lehrer Barthel verlassen und kam in einen neuen Klassenverband. Sitzen geblieben hieß es. Und das ohne 5 im Zeugnis. Alles nur, damit ich mich schone und es im Unterricht leichter habe. Diese 7. Klassen waren für mich Schlüsselschuljahre.
9. 35km/h ohne Fahrradhelm
Ich möchte kurz zu den Verboten für Epileptiker kommen. Wenn man heutzutage die Diagnose erhält, hat man den Eindruck, man dürfe überhaupt nichts mehr.
Was in diesem und folgenden Kapiteln stehen wird, darf ich eigentlich nicht schreiben. Dieses Buch ist meine ganz persönliche Geschichte, es ist und darf kein Ratgeber für Epilepsiepatienten sein.
Ich bin kein Vorbild, bei Weitem nicht, sondern schreibe von meiner Verzweiflung und meiner Art „gegen an zu gehen“. Gegen die Epilepsie, jetzt erst recht, ich will mich nicht unterkriegen lassen, ich will all das tun, was die anderen Teenager auch machen. Okay, dann kippe ich eben um, scheiß was drauf, ich will wieder aufstehen, gerader als zu vor, stärker als zuvor. Ich hatte eine Unmenge Gottvertrauen, ich wollte ihn manchmal aber auch herausfordern.
Ich wünschte mir eines Weihnachten von meinen Eltern ein Peugeot Rennrad für 950 DM. Diese Summe war immer so eine Größe. Meine Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke waren so um die 1000 DM wert. Kling viel, wenn ich mich so zurück erinnere. Hmm … also gut: das eine Mal war es eine Western Gitarre, jetzt ein superschickes Rennrad.
Mittlerweile war ich alt genug, den je 10 km Schulweg hin und zurück per Fahrrad zurück zu legen. Seinerzeit trug man noch keinen Fahrradhelm. Wir Teenager verabredeten uns an der B4 an der Ampel mitten im Dorf und fuhren dann als kleinere Gruppe mit dem Rad zusammen zur Schule.
Du meine Güte, aus heutiger Sicht mindestens lebensgefährlich. Landstraßen, viele ohne Bürgersteige, fließender Verkehr, Traktoren, Mähdrescher, Lastwagen und PKWs.
Meine Eltern gaben mir das übliche: „Sei vorsichtig, fahr immer rechts, nicht so schnell usw.“ mit auf den Weg. Ob sie sich still und heimlich Sorgen machten, große Ängste vor Anfällen ausstanden, ich weiß es nicht, sie haben sie diesbezüglich nie geäußert.
Bestimmt hatten sie große Angst um mich. Ganz bestimmt.
Als ich nun das Peugeot Rennrad hatte, bin ich nach kurzer Übungsphase, denn so ein Rennrad fährt sich schon anders, als mein vorheriges Hollandrad, losgebraust, wie ein wildgewordener Affe. Ich war sehr sportlich und gut trainiert, auch vom vielen 1000m Schwimmen. Ich fuhr locker 30 km/h auf freier Strecke, vorm Schiffshebewerk bergab gar 35 km/h oder sogar 50 km/h. Ich machte mir absolut null Gedanken, ob ich in der Sekunde einen Anfall bekomme und stürze, eventuell lebensbedrohlich auf den Kopf. Ich blendete es aus.
Unvernünftig, würde man sagen. Wie konnten die Eltern das zulassen? Wie kannst du nur so mit deinem Leben spielen?
Ich tat es, und ich hatte keine Angst. Im Gegenteil, ich wollte mir selbst beweisen, dass ich etwas wert bin, wenn ich solche Leistungen erbringe.
10. EC-Jugendbund oder Diskothek
In den 1980er Jahren war es in Bardowick unglaublich angesagt, in die Diskothek Cohrs an der Ilmenau zu gehen. Dort traf sich die Dorfjugend im Manta mit Fuchsschwanz am Autoschlüssel. Ich war keine Diskogängerin. Klar, ich war auch mal drin. Dr. Blumenbach hatte mir zwar davon abgeraten, wegen des Flackerlichts der Diskoscheinwerfer, aber ich wollte gegen angehen. Ich hatte Glück, es kam zu keinem Anfall.
Disko war so oder so nicht mein Fall. Tanzen, evtl. Eng Tanz bei unglaublich lauter Musik, Cola-Whiskey, Knutschen im Schummerlicht, Poppen im Manta, all das war mir viel zu blöd. Ich hatte auch noch keinen so richtigen Freund und wäre im Leben damals nicht auf die Idee gekommen, dass ich Homosexuell sein könnte.
Auf Familienfeiern lästerte meine Mutter stets, dass mein etwas älterer Cousin deshalb noch keine Freundin hatte, weil er bestimmt ein kleiner Schwuli sei. Das Thema kam bei jedem Geburtstag den meine große Familie feierte, wenn hinter vor gehaltener Hand getratscht wurde.
Meine eigene Homosexualität entdeckte ich erst im Alter von 32 Jahren, weil ich mich in Berlin in meine Nachbarin verliebt hatte, während ich schon verheiratet war. Erst im Nachhinein konnte ich mir erklären, warum ich die eine oder die andere Schulfreundin so unglaublich toll fand.
In der 5. Klasse Gymnasium überredete mich nun also Helke, doch einmal mit nach Wittorf zur EC-Jungschar zu kommen. Wittorf liegt auch an der Ilmenau und lag nördlich von Bardowick in Fahrradentfernung. Das war eine sehr christlich geprägte Gemeinschaft von Kindern bis zu jungen Erwachsenen, die je nach Alter in 3 Gruppen aufgeteilt war. Erst Jungschar, nach der Konfirmation dann der so genannte Freundeskreis und später dann der Jugendbund.
Das wöchentliche Treffen gliederte sich in 3 Teile. Wir trafen uns im Jungscharraum zum Singen, danach ging es auf die Wiese zum Fußball- oder Völkerballspielen und anschließend zurück in den Gruppenraum zur Bibelarbeit.
Meine Eltern, ja meine gesamte große Familie hatte mit Gott nichts am Hut. Es ging zwar zum Weihnachtsgottesdienst in den Bardowicker Dom mit 1000 zum Teil Nerzmantel- und Goldschmuckbehangenen Bardowicker Bauern, weil das nun einmal dazu gehörte, aber sonst kam Gott nur noch bei Begräbnissen vor.
All meine Warum-Fragen legte ich Gott aufs Silbertablett. Es gefiel mir in der Jungschar. Die Lieder die Spiele und die Bibelarbeiten machten mich neugierig. Ich fühlte mich auch bei den anderen Kindern und Jugendlichen wohl und fand schnell neue Freunde. Meine Epilepsie war kein großes Thema. Endlich wurde ich nicht gemobbt sondern gemocht, einfach weil ich Mensch war.
Meine Eltern verhielten sich mehr oder minder neutral solange ich nicht, angesteckt von Religiosität zu viel von meiner neuen kleinen Beziehung zu Jesus am Mittagstisch verlauten ließ. Sie waren nur froh, dass ich eine Gruppe von vernünftigen Jugendlichen gefunden hatte, die sich nicht mit Drogen und Alkohol abgaben.
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