FUKUSHIMA - IM SCHATTEN. Juergen Oberbaeumer

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FUKUSHIMA - IM SCHATTEN - Juergen Oberbaeumer

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so einfach zu vertreiben. Siehe „Yours Truly“!

      Im Konflikt um die richtige Vorgehensweise auf dem Weg in die neue Zeit schlugen sich damals also die Altkonservativen mit den Neukonservativen im Bosen-Krieg ausgerechnet auch in unserer Gegend, die doch sonst nicht sehr geschichtstraechtig ist. Das Ende der zivilisierten Welt war hier schon immer. Auch verlaeuft eine Linie durch unser Gebiet die waermeliebende und noerdliche Vegetation trennt, oder anders gesagt, zusammenbringt: im Gaertchen meines ersten Hauses stand eine Fichte eintraechtig neben einer Palme! Am suedlichen Rand Iwakis liegt der Ortsteil Nakoso mit seiner uralten Zollstation. Einige sehr schoene Kirschbaeume gibt es da, und trotzdem lief es mir irgendwie kalt den Ruecken runter; bildete mir ein, Pferdehufe zu hoeren und Schwerter aufblitzen zu sehen als ich da einmal von rosa Blueten umwoben und umschwebt in der Abenddaemmerung spazierenging. Nicht einmal der wandernde Moench und Dichter Basho fand auf seinem langen, engen Weg in den Norden unsere Kueste besuchenswert! Nur der Daemon der Zerstoerung liess sich nicht beirren.

      Die damaligen Herren von Iwaki, die Familie Ando, waren 1860 verbuendet mit Aizu und wurden mit dem Aizu-Clan gemeinsam niedergemacht. Das Schloss in Aizu brannte, 36 blutjunge „Krieger“ sahen das aus einiger Ferne oder glaubten es zu sehen und toeteten sich daraufhin bis auf den letzten Jungen. Ihre Fotos sind zum Andenken geblieben und man kann ihre Gesichter nicht anschauen ohne tief bewegt zu sein von einem Schicksal, das unseren Sechzehnjaehrigen erspart blieb. Die Schlossburg von Taira brannte allerdings auch, die Reste wurden geschleift und heute ist nur noch der alte Schlossgraben uebrig, wo unsere Freunde Emi und Nobu-san wohnen. Ihr altes Haus direkt am Rand des Wassers hat das Erdbeben nicht ueberstanden: so faellt selbst das Buergerliche, wenn vielleicht auch nicht so lange zurueckleuchtend wie echter Adel. Thank you for the memories aber!

      Wie viele schoene Parties haben die beiden im Zeichen privater Voelkerverstaendigung nicht gegeben! Und die Erinnerungen an all die Musik da, sowohl im Fruehling als auch im Herbst, wurden von den Gaesten inzwischen in alle Welt getragen – wogegen die Erinnerung an den Schlossberg sich ziemlich auf eine einsame Bueste an unzugaenglicher Lage beschraenken duerfte; das Museum dahinter verschweigt man besser ganz. Dagegen Boyko Stoyanov! Ein professsioneller Musiker, studierter Komponist, und was sein Wesen viel besser beschreibt: einer, der jeden zum Musikmachen bringt. Irgendwas kann jeder! Und wenn dann Sato-san mit seiner Mundharmoka anfing wusste ich schon, dass die Zeit fuer mich und „Lili Marleen“ wieder gekommen war. Was fuer ein schoenes Lied doch auch! Die beiden machten sich einen Spass daraus mich singen zu lassen, und zwar im Marschtempo… Ich machte gute Miene dazu und sang!

      Jetzt gibt es keine Parties mehr, Boyko ist schon jahrelang weg. Lebt mit seiner zweiten Frau, einer Brasilianerin, drei kleinen Kindern und seiner herrlichen, bulgarischen Mutter auf der anderen Seite Japans: in den Schneebergen Niigatas. Musik… Boyko gab uns Musik. Und nahm die Musik mit weg in seine weissen Berge. Seine Kinder haben aber Musik in den Knochen: ich sah den dreijaehrigen Michael laessig auf eine Trommel hauen wie er fast noch in Windeln daran vorbeijockelte – das sass! Ganz abgesehen von den beiden grossen Toechtern aus erster Ehe, Julia und Kaya, die ebenfalls Berufsmusikerinnen sind! Ich vermisse Ihn sehr.

      „Taira, Taira, hier ist Taira! Endstation, bitte alles aussteigen!“ singsangte die Stimme am 29. Juni 1984, ich verstand natuerlich ausser dem dreimaligen „Taira“ nichts. Ob das irgendwas mit dem „Taira-Clan“ zu tun hat, dessen Untergang in der Seeschlacht von 1085 in Literatur und Legende bis heute zurueckhallt? Wie der „Nibelungen Not und Klage“ bei uns? Ist unwahrscheinlich. Haette mich auch nicht die Bohne interessiert – ich kam voellig unvorbelastet hierher, unbelastet von Wissen um Japan jedenfalls. Hatte ausser einem Merian-Heft nichts Vorbereitendes gelesen, ausser einem Gespraech ueber Hong-Kong nicht das Geringste aus erster Hand ueber Asien erfahren: ich wollte unvorbelastet reisen. Mein kleiner gelber Sprachfuehrer lag ganz unten im Rucksack; ich war nicht ueber das Verb „arimasu“ hinausgekommen, „sein“, „haben“, und nach fast 28 Jahren bin ich im Grunde auch heute nicht sehr viel weiter. Zu meiner Schande, sicher. „Kanji“ heisst das Problem, „chinesische Schriftzeichen“ auf Deutsch; und es gibt nicht nur fast unendlich viele von ihnen, nein sie sind auch noch alle anders!

      Und werden darueber hinaus auf viel zu viele Arten wechselnd ausgesprochen, zum Beispiel wird das Zeichen „Taira“ auch „Heike“ ausgesprochen, und damit sind wir beim Nationalepos der Japaner: der „Geschichte der Heike“. Und mittendrin im Dilemma aller Auslaender hier. Keiner kann richtig lesen! Ausser absoluten Spezialisten wie Donald Keene, der jetzt im Alter von 88 Jahren endgueltig von Amerika nach hier uebersiedelte und Japaner wurde um Solidaritaet zum Ausdruck zu bringen! Toll – aber nichts fuer mich.

      Von den Heike wenigstens hoerte ich spaeter singen: sehe und hoere noch heute den alten Biwa-Spieler gewaltig in die Saiten greifen, obwohl sein Gesang schon lange Jahre verstummt ist.

      Ein Recke wie Volker, der Spielmann: ein alter Mann allein im Wald lebend – mit seinem Instrument, der Laute, und seinem Kummer. Ich verstand kein Wort seines Vortrags. Begriff trotzdem! Wie er in sich gekehrt sang, so als ob er ganz allein unter einer uralten Kiefer saesse. In ihren Zweigen den Wind von tausend Jahren wehen hoerte.

      Eine Fliege krabbelte ueber seine Glatze, er bemerkte sie nicht. Er spielte und sang. Selten hat mich ein Vortrag so beeindruckt wie der!

      „Taira“ wird mit einem einzigen Kanji geschrieben und heisst auch „Frieden“, „Eintracht“, wenn es in Kombination steht, und es ergibt auch das schoene Wort „Heeheebonbon“ das mich zu regelrechten Lachkraempfen brachte als Mariko es aussprach um unseren hippyhaften Lebensstil gegen Ende eines schoenen Sommers zu charakterisieren. Braungebrannt wie frischgebackene Broetchen waren wir, und muede und satt vom Schwimmen in der weiten, weiten See. Sie lag lang ausgestreckt auf dem Packtisch in unserem Spielwarenlager waehrend ich mich auf den Tatamis waelzte und mir schier die Seiten zerspringen wollten… und unsere gute Katze „Happy“ dazu schnurrte: was waeren wir ohne Katzen.

      Inzwischen heisst der Bahnhof lange nicht mehr Taira sondern Iwaki; zufaellig umbenannt waehrend der Amtszeit eines Buergermeisters der „Iwaki“ heisst, inzwischen Abgeordneter im Unterhaus in Tokyo; voellig unbelastet von den Vorwuerfen, er habe mit dem Bau der neuen Radrennbahn auch sich selbst bzw. seine Parteikasse maechtig gestaerkt… 13 Millionen Euro, hoerte ich, Wahlkaempfe kosten eben so furchtbar viel.

      Fuenf Prozent seien frueher der Satz an kickback gewesen, jetzt seien es nur noch drei Prozent. Schlechte Zeiten fuer Politiker auch hier. Die Bauindustrie… „Dogs and Demons“ eben, Alex Kerr, Pflichtlektuere. Jetzt wieder brandaktuell; jetzt wird Geld verdient, Leute, Geld fliesst in Stroemen! Eine kleine Menge davon bleibt in Iwaki haengen, alle Hotels sind ausgebucht, die Kneipen abends voll bis zum Stehkragen; die Maedel in den diversen Clubs haben sicher genug zu tun. Arbeiter und Ingenieure, was weiss ich wer da alles die Strassen abends bevoelkert, ich bin nicht oft in der Stadt. Man sieht aber zu allen Zeiten Busse fahren und erschoepfte Maenner in einer Art Gaensemarsch aussteigen; diszipliniert, von einer Aura der Unnahbarkeit umgeben. Stigmatisiert – wie wir alle in Fukushima, aber die eben richtig. Vor Abfahrt stehen sie dann draussen und warten, jeder steht fuer sich allein, raucht, fummelt was am Handy. Klappe zu. Keine Kameradschaft ist erkennbar, keine Verbindung untereinander und erst recht nicht zu uns Voruebergehenden gibt’s da. Als ob sie sich schaemen muessten: und nicht wir Einkaufenden, Lachenden, Lebenden. Betrogene sind sie, die Gangster haben auch diese Geldquelle sofort angezapft heisst es: schoepfen den Rahm ab. Ob es stimmt? TEPCO zahle tausend Euro pro Mann und Tag – was davon wirklich ankommt beim Malocher seien hundert Euro. Na, dafuer haben die Schlepper natuerlich auch viele Unkosten! In Deutschland waere es wahrscheinlich auch nicht viel anders, siehe Guenter Wallrafs „Ganz unten“, wo er in seiner falschen Identitaet als Ali, der Tuerke, fuer Reinigungsarbeiten im AKW Wuergassen angeheuert werden soll… Ob das viele Geld ausser der Bauindustrie, inklusive Yakuza und Politikern eben, auch sonst noch jemandem helfen wird? Ob es vielleicht sogar etwas Gutes bewirken kann, einen Wandel?! Eine Energiewende? Ich bin sehr skeptisch. Es sieht nichts danach aus, es ist zum Verzweifeln. Nicht einmal in unserem Teil der Insel tut sich was, geschweige

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