FUKUSHIMA - IM SCHATTEN. Juergen Oberbaeumer
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Zwei, dreihundert Maenneken – nicht mehr. Ausser an unseren beiden Kleinwagen, die eine Sonne tragen und „Atomkraft – Sayonara!“ drumherumgeschrieben, habe ich noch kein einziges Auto mit so einem Sticker gesehen. Was sehr Viele angeklebt haben ist der ermunternde Spruch: „Iwaki! Wir schaffen’s!“ Auch nicht schlecht – aber auch nicht gut genug!
Ich habe die Ruinen von Dai-ichi in der Webcamera von TBS/JNN (nicht mehr in der mit dreissig Sekunden Verzoegerung abbildenden Kamera von TEPCO; ein Schelm wer Boeses bei den dreissig Sekunden Puffer denkt…) den ganzen Tag auf dem PC. Auch mit Ton; ausser dem Wind hoert man zum Glueck nichts! Was ist zu sehen? Weisse Gebaeudereste in der Ferne, grosse Kraene die sich selten bewegen. Sonst nichts. Sollte ich froh sein, dass sonst nichts zu sehen ist? Bei Nordwind, wie heute, auf jeden Fall.
Andererseits frage ich mich aber – warum wird da nicht endlich mit einem dem Ernst der Lage angemessenem Einsatz gearbeitet? Glaubt Tepco, ich bin die Grossbuchstaben leid, glauben die Politiker wirklich das Problem erledige sich durch Liegenlassen? In TsTschernobyl schufteten sie, 500.000 Menschen aus dem ganzen Land allein in den ersten sechs Monaten: unter Einsatz ihres Lebens. Heroisch, es kommen einem die Traenen, wenn man Dokumentationen auf „YouTube“ sieht, und es ist gut, dass hier niemand so leiden muss, aber machen es sich die „Liquidatoren“ hier in ihren Bueros nicht doch viel zu einfach? Warum wird nicht endlich die grosse Spundwand gebaut, die das Meer schuetzen soll? Warum versucht man nicht unter die Reaktoren zu kommen, um das Corium, den geschmolzenen 3000 Grad heissen Hoellenbrei, aufzufangen bevor er sich durch die letzten Zentimeter Beton frisst, die laut den neuestenComputersimulationen noch da sind?
Warum nicht? „Es ist zu teuer“ ist die einzig zutreffende Antwort. Die aber niemand offen geben wuerde.
TsTschernobyl wurde sofort untertunnelt – hier schlafen alle! Oder? „Zu teuer“ wie Schutzmassnahmen die nach dem Tsunami vor Sumatra zu Weihnachten 2004 hier empfohlen worden waren, „zu teuer“ wie die Entwicklung besserer Energiequellen.
„Zu teuer“ – bis ploetzlich der Vorhang reisst und man sich die Augen reibt und sich fragt wie blind man eigentlich war.
Ich hoffe also, dass ich keinen dumpfen Knall hoeren werde wie ich hier schreibe: obgleich DAS ja immer noch den Vorzug haette, dass wir sofort ins Auto springen koennten, mit unseren Notfallkoffern, die Katzen, so weit greifbar, in den neuen Transporttaschen fauchend, um ohne nachzudenken in Richtung Westen zu starten. Nur nicht nach Tokyo, nur nicht in die grosse Mausefalle, aus der sich im Falle eines Falles Millionen von Menschen gleichzeitig auf den Weg machen wuerden. Vorsprung brauchten wir, eine Stunde wuerde schon viel ausmachen, und dank der milden Tage jetzt sind die Autobahnen und Strassen ins Landesinnere schneefrei: da haetten wir freie Fahrt ins Glueck… Nach Osaka, 750 Kilometer von hier, ins „Guesthouse Ten“, wo wir im Maerz so freundlich aufgenommen wurden, wuerden wir versuchen zu gelangen; so ist auch unsere Verabredung mit Leon. Aus Tokyo so schnell wie moeglich weg – ins Guesthouse Ten. Das ist unser Fluchtpunkt… Osaka, „Guesthouse Ten“, nicht vergessen!
5 Intermezzo mit Freunden
Die Sonne geht unter, wir warten auf Chie-san, eine gute Freundin, die in Duesseldorf lebt und fuer ein paar Wochen gekommen ist, um ihre Mutter zu besuchen. Neujahrsfeiertage, Zeit fuer Besuche, Zeit fuer Gaeste und ihre Schicksale. Am zweiten Januar oder dem dritten, nicht vorher! Der Erste gehoert der Familie.
Chie versorgt uns seit Monaten, seit Maerz eben, mit Informationen zur radioaktiven Belastung in Fukushima, zum Zustand der Reaktoren und anderen verwandten Themen. In Deutschland, wo wir keinen Internetzugang hatten, schickte sie uns alles ausgedruckt per Post, danach per E-mail. Sie hat furchtbare Angst und traut keiner offiziellen Verlautbarung auch nur das kleinste bisschen… Im Gegensatz dazu der Besucher von gestern: Herr Sasaki, ein alter Freund, von Haus aus Zimmermann, in seinem zweiten Leben Automechaniker hoechster Kompetenz (seine Liebe sind Ferrari und Porsche, er fuhr als junger Draufgaenger selbst Rennen) und jetzt, wo die Autofirmen ihm mit ihrer Informationspolitik – sie geben ihre Sourcecodes nur noch an ihre Vertragswerkstaetten weiter – den Hals langsam abdrehen in seinem dritten Leben: Computerfreak. Baut mir seit Jahren PCs, richtet sie auch ein und repariert sie, wenn ich mal wieder zu grossen Mist angerichtet habe.
DER nun denkt ganz anders. Sieht keinen Grund zu grosser Sorge – um es gelinde auszudruecken. Sieht Gefahren eher in hysterischen und technisch unbedarften Leuten wie uns, in aller Freundschaft. Wenn die beiden sich hier traefen – das taet spritzen!
Zu Neujahr selber halfen Mariko und Leon ihrem Bruder mit seinem „Cakeland“: business as usual, keine Frage. Es wurde sehr gut verkauft! Wer wuerde sich nicht gern zum neuen Jahr was Suesses goennen, besonders wenn es im Angebot ist!
Ich blieb bis abends zu Haus und schrieb.
Hatte auch kurz Besuch: direkt nach dem Mittags-Beben der Staerke M. 7.2 in 800 Kilometern Entfernung tief unter dem Pazifik. Stark genug um alles sanft schwanken zu lassen war’s; ich rannte raus und boese Erinnerungen wurden wach. Das Radio gab sofort Entwarnung, und mein Besucher, der alte, gute Doktor Hasegawa, Zahnarzt in Halbpension, hatte es nicht einmal bemerkt wie er so ganz in Gedanken ging. Ein paar Minuten drauf kamen seine Frau und die Tochter Megumi aufgeregt nach, sie hatten ihren Zug fahren lassen um erst mal Naeheres zu hoeren, wir wohnen ja in der Naehe des Bahnhofs. Ihr Haus dagegen, naeher am Wasser, war vom Tsunami zwar ueberschwemmt aber nicht zerstoert worden; freiwillige Helfer aus Nagoya halfen aufraeumen ,so dass jetzt alles wieder ist „wie frueher“. Nur, dass er zehn Jahre gealtert ist, ich sah ihn weggehen wie einen alten Mann. „Das ganze Jahr nicht ins Meer…“ klagte er. Er sei krank geworden, wie auch viele seiner Kollegen von den Tauchern. Seeigel, Meeresohren, Konbu und Wakame – nichts davon ist mehr essbar hier, ganz abgesehen davon, dass es ueberhaupt nicht empfehlenswert war ins Wasser zu gehen. Wir hatten im Fruehsommer stark belastetes Meerwasser: 3000 Bequerel pro Liter mass ich.
Der ehrenwerte Doktor Hassegawa; ein lieber Mann; ein Mann ohne Furcht vor dem Wasser. Nach dem Beben bugsierte er auf Grund der Tsunami-Warnungen seine Frau ins Auto der Schwiegertochter – und stieg daraufhin selbst auf sein klappriges kleines Fahrrad und fuhr zum Strand, um sich die Sache aus der Naehe anzusehen! Als er das Wasser dann aber gewaltig zurueckgehen sah, das muss man sich mal vorstellen! wurde es ihm doch unheimlich und er radelte schnell fort und in Sicherheit. So einer ist das… ein Wahnsinnstyp!
Unser Ueberraschungsgast; zu allen moeglichen Zeiten steht er ploetzlich im Garten hinterm Kuechenfenster: ich bin froh, dass es so einen gibt; nur Adrian ist ausser ihm so frei! Auch mir fehlt das Schwimmen des Sommers sehr: das war immer mein Aufbausport fuer die kalten Wintertage ohne Moeglichkeiten zur Bewegung gewesen: nicht dies Jahr. Wie so vieles – nicht dieses Jahr. Kinderstimmen?
Wie lange hat man keine Kinderstimmen auf der Strasse gehoert! Grundschueler auf dem Schulweg – frech wie die Spatzen – wo waren sie nur? Die Muetter machten Ueberstunden mit Fahrdiensten. Niemand liess Kinder draussen sein. „Vom Haus ins Auto ins Haus“ – eine der Beschwoerungsformeln diesen