FUKUSHIMA - IM SCHATTEN. Juergen Oberbaeumer
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Kurz vor zwei los, knapp zwanzig Minuten Fahrt die grosse Strasse, ehemals von Tokyo zur Metropole des Nordens, Sendai, also die Nationalstrasse 6, runter nach Taira. Taira ist der Hauptort der Stadt Iwaki. „Iwaki“ ist eine kuenstliche Schoepfung (wie Salzgitter etwa) aus vierzehn kleineren Orten, die neulich ihr 40-jaehriges Jubilaeum feierte. Erster Oktober 1966 ist das Gruendungsdatum. Kohle-Bergbau in ganz grossem Stil wurde hier betrieben bis in die sechziger Jahre. Dann war’s ploetztlich aus, alles geht hier viel schneller als bei uns wenn es denn so weit ist! Wie es das Sumo als Nationalsport Japans zeigt. Nach scheinbar endlosem Positionieren der Kolosse, nach langem Schieben und doch Nicht-vom-Fleck-Weichen gewinnt eine Seite einen fast nicht wahrnehmbaren Vorteil: und der unglueckliche Gegner taumelt, oder fliegt gleich im hohen Bogen aus dem heiligen Strohring…
Ploetzlich war es also vorbei mit der Kohle. Heute bleiben aus der Bergbau-Zeit neben etwas rauheren Manieren im Strassenverkehr nur ein kleines Museum und eine ueberdurchschnittliche Zahl von Laeden mit Alkohollizenzen uebrig; und ein Filmchen: „Hula-Girl“, das die erstaunliche Wandlung der „Joban Mines“ zum „Spa Resort Hawaiians“ in bewegten Bildern in etwas dick aufgetragenem Dialekt wiedergibt. Irgendein Vizechef, ein Verrueckter, ein Visionaer sagt man ja im Erfolgsfall, hatte die sicher von Bier oder Sake befluegelte Phantasie: HIER muss ein Hawaii auf dem Dorfe hin!
Ganz im Gegensatz zu einer anderen grossen Anlage vor den Toren der deutschen Hauptstadt gelang dies Wahnsinnsprojekt ueber alle Massen und der Film erzaehlt sehr interessant davon.
Marikos Cousine Keiko erscheint kurz darin; traegt als Trauergast bei der Beerdigung des verunglueckten Vaters der Heldin ein Foto des Verstorbenen einen gewundenen Pfad entlang der inzwischen verschwundenen riesigen Abraumhalden. Hula-Taenzerin zu werden – was fuer ein Traum! Fuer einige oertliche Maedchen, die haertesten, begabtesten, unerschrockensten sicherlich, erfuellte er sich. Und fuer die erfreuten Iwakianer war es moeglich, auch ohne die total unerschwingliche Flugreise ein bisschen Ferngefuehl zu empfinden. Man muss wohl an Freddy Quinn auf dem Weg ins Glueck Italiens denken wenn man dies verstehen will! (uebrigens spricht Freddy als Meier II in einer Szene mit falschen Japanern nicht unuebel japanisch!) Wie es die Leute hingekriegt haben, den hiesigen Bergbau in so ein riesiges Spassbad, angehaengt mehrere grosse Hotels und ein Golfplatz fuer das Praktikum unserer Tochter zu verwandeln, begreife ich zwar trotz des „Hula Girls“ nicht ganz: aber das „Hawaiians“ steht und ist ein Riesenerfolg, mehr und mehr dank der Besucher aus Tokyo.
Die Hula Girls tourten nach dem elften Maerz durch ganz Japan – aus der Not eine Tugend zu machen – und tanzen inzwischen wieder zu Haus. Das Bad ist offen!
Kohle wird jetzt importiert aus Port Hedland, Australien. Glitzerschwarze Berge von Kohle liegen im Hafen Iwakis, in Onahama, und werden mit LKWs zum nahgelegenen E-Werk in Ueda gekarrt. Wieviel Kraftwerke wir nicht haben! Kohle in Ueda, Gas aus dem Meer in Hirono: Atom 1, Atom 2 leider nicht mehr, haha.
Flaechenmaessig war Iwaki Top in ganz Japan – war, denn es gibt seit Neuestem andere Kreationen, die groesser sind als wir: haben aber nicht so viel Sonne!
„Sunshine Iwaki“ ist unser Spruch, im Mittel 2035 Sonnenstunden pro Jahr haben wir bei einer geographischen Lage von 37-38 Grad Nord, dem Peloponnes, oder Malaga vergleichbar, ideal fuer Solarpaneele auf jedem Dach. Leider muss man die mit der Lupe suchen – und wuerde immer noch nicht viele finden. Gegen Null.
Als ich vor langen Jahren hier ankam gab es einen kleinen Boom mit heissem Wasser vom Dach – das schlief dann ein und von Photovoltaik hatte hier bis nach dem Beben und seinen Konsequenzen noch nie jemand gehoert. Es wurde zu wenig gefoerdert; bis sich eine private Anlage amortisierte dauerte es mindestens fuenzehn Jahre. Man hatte eben Atomstrom reichlich! Und auch jetzt noch sind die Einspeiseverguetungen furchtbar mickerig.
Private Initiative ist nicht gefragt, die Grossindustrie hat die Zuegel nach wie vor fest in der Hand: und setzt leider auf andere Pferde. Regierung und Medien sind fest vor den Karren gespannt, Hueh! die Schindmaehren begreifen nicht, dass sie mit dem rasselnden Karren auf dem Weg zum Muellplatz der Geschichte sind.
Auf der geographischen Hoehe von Naxos liegen wir: und zwar exakt, sah ich vor ein paar Tagen! Der Insel, auf der unsere komplette kleine Familie eine Woche im Schlafsack am Strand lag, windgeschuetzt in einer Mulde unter einem Baum, an Marmorklippen, in unserem schoensten Urlaub je. Der andere war in Kroatien. Und Benasque in Spanien? Das war kein Urlaub. Das war ein Besuch bei Freunden! Schneckensammeln am Rio Esera. Am naechsten Morgen waren die Viecher ziemlich gleichmaessig ueber Sitze, Scheiben und Armaturenbrett von Ramiros R5 verteilt: wir hatten die Tuete mit den Schnecken im Auto vergessen… Wie schoen es bei ihm in den Pyrenaeen war!
Wie armselig doch muss ich jetzt denken. Zweieinhalb Familienurlaube in 25 Jahren wenn man die Deutschlandreisen nicht mitrechnet. Pendler waren wir eben. Unsere Kinder mussten auf so vieles verzichten! Leben in zwei Laendern, auf zwei Kontinenten, in zwei Welten: ist nicht leicht. Viele beneiden sie – wenn sie wuessten wie hart es ist.
Iwaki also. Eine neue „Stadt“ mit einem alten Namen. Iwaki bedeutet eigentlich so etwas wie Felsenschloss und wurde zum ersten Mal 708 urkundlich erwaehnt: als Grenzbarriere! Halb so gross wie das Land Luxemburg, etwas dichter besiedelt – wenn auch laengst nicht so wohlhabend. Und leider nicht unabhaengig! Immer nur fuer Tokyo da, erst als Kohlelieferant – bis vor kurzem dann als Stromversorger. Gegenwaertig liefern wir unsere Kinder: die jungen Familien verlassen die Gegend.
Wir liegen am hier unglaublich fischreichen Pazifik, genau vor Iwaki treffen sich zwei grosse Meeresstroemungen und versorgen uns mit Meeresfruechten aller Art, auf sechzig Kilometer Kuestenlinie gab es fast ein Dutzend kleine Haefen, es gab die sieben Straende von Iwaki: die werden sicher irgendwann wieder aufmachen, was bei den Haefen nicht sicher ist. Die Kuestenfischerei war eh schon auf dem absteigenden Ast – jetzt wurde ihr der Todesstoss versetzt.
Das Meer… ohne das Meer, ohne seinen Atem von Freiheit haette ich es niemals so lange in der japanischen Enge ausgehalten! Wenn auch die Straende allesamt durch Beton noch und noch verschandelt sind – man vergisst nicht so schnell wo man verliebt im Sand gelegen hat und etwas spaeter die Kinder gespielt haben: man vergisst das nicht.
Leider ist das Wasser bis Ende Juli sehr kalt – erst dann kippt’s und laesst die suedliche Stroemung warmes Wasser bringen bis in den Oktober. Die Japaner lieben die Berge; das Meer ernaehrt sie aber inspiriert sie nicht. Wenige Leute gehen schwimmen. Sie sind so eine Art Schweizer. Geboren im Zeichen der Jungfrau.
Ab Ende August, wenn „die Quallen kommen“ habe ich sechzig Kilometer Kueste fuer mich allein wie ich meine Runden drehe. Klar, seit fuenfzehn Jahren etwa gibt’s auch Surfer – die zaehle ich jetzt mal nicht. Ich bin der einzige Schwimmer: die Angler kennen mich schon, denken: ach, der verrueckte Auslaender, na, Auslaender eben…
Auch Berge haben wir, etwa wie das Sauerland, und sehr schoen sind die besonders im Herbst, dem einzigartigen japanischen Herbst. Mitten zwischen Bergen und Meer liegt Taira, der Hauptort, gross wie Goettingen, gross wie Paderborn: und wir jetzt am Rande der bewohnten Welt, zwanzig Autominuten entfernt vom Bretterzaun. Wie man sogar am andern Ende der Welt irgendwie haeusliche Verhaeltnisse vorfindet; plus ca change – plus ca reste le meme! Sogar mit dem Ruecken zur Wand lebe ich jetzt wieder – damals unmittelbar an der innerdeutschen „Zonengrenze“ mit ihrem perversen Minenguertel und den tueckischen Selbstschussanlagen, einen Spaziergang durch das Waeldchen weit weg, heute an der „20-Kilometer-Zone“ mit ihren Barrieren!
Iwaki – eine Stadt, die auf der falschen Seite stand als Japan sich 1854 im Anblick der „schwarzen Schiffe“ des Commodore Perry anschickte, eine seiner periodischen Haeutungen zu machen. „Ehrt den Kaiser! Schmeisst die Barbaren raus!“ war das Motto der Verlierer. Die Barbaren kamen