Dame in Weiß. Helmut H. Schulz

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Dame in Weiß - Helmut H. Schulz

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ist Kampf, und wer nicht kämpfen will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht.

      Die kleineren Jungen saßen auf den vorderen Reihen der Bänke, der kriegerische Klang von Fanfaren, das dumpfe Schlagen der Trommeln, das Bewusstsein, vor einem Ereignis zu stehen, das uns betraf, die ernsten Gesichter der größeren Jungen in ihren Uniformen, das bunte Tamtam - alles versetzte uns in Spannung. Durch den frei gelassenen Mittelgang dröhnte der Gleichschritt, vierzehnjährige Jungen marschierten herein, betraten ohne Tritt das Podium und nahmen hinter dem Pult und vor dem Führerbild in einer langen Reihe Aufstellung. Jeder stemmte den Schaft seiner Fahne neben sich auf die Dielen, umklammerte die Mitte des Schaftes und ließ das Fahnentuch durch die freie Hand gleiten, Ruhe trat ein. Hinter uns begann ein Harmonium zu spielen, das Stück erkannten wir drei als eine Bach-Fuge. Nach dem Ausklingen des letzten Taktes sprach der Rektor, es war Krieg, es wurde zurückgeschossen, der Rektor war sicher, dass Polen in wenigen Wochen niedergeworfen werde, dass die deutsche Wehrmacht unübertroffen sei und dass uns kleinen deutschen Jungen auch eine Aufgabe zukomme, die der Vaterlandsliebe, der Treue zum Führer.

      Während der Rektor sprach, behielten die großen Jungen mit den Fahnen ihre starren Gesichter, sie zuckten mit keiner Wimper, rührten kein Glied, und ich bewunderte ihre Standhaftigkeit, wusste ich doch, wie schwer es einem fallen konnte, ein paar Minuten lang stillzustehen. So wie diese Jungen sahen auch die Gesichter derer aus, die von den Kinoleinwänden herabstrahlten. Sie alle waren die Verkörperung des Hitlerjungen Quex, der von einer Bande schirmbemützter Strolche, für welche es keine Bezeichnung gab -Kommune, Rot-Mord reichten doch nicht aus, um meinen Kopf mit deutlicheren Bildern zu füllen-, ermordet worden war, ein Film, der uns mit Trauer, Hass auf irgendwas und Stolz auf uns selbst erfüllt hatte.

      Nach der Rede des Rektors traten ein paar Jungen vor und sprachen einen Text: Deutschland! Fallen wir, Haupt bei Haupt ... Dazu präludierte und begleitete untermalend das Harmonium. Eine bedrückende, aber feierlich gehobene Stimmung breitete sich aus. Nach dem chorartigen Sprechgesang sprach unser Lehrer Zissel, er legte dar, dass kein Grund zur Besorgnis vorhanden sei, unsere Väter und Brüder ständen schon tief im Feindesland, unsere Stukas verbreiteten Angst und Schrecken, wenn die Piloten, junge Menschen gleich uns, ihre Maschine in die Feindziele todesverachtend hineinsteuerten, wir kannten das Geheul der Stukas aus den Wochenschauen. Nach dieser Rede sang die Versammlung stehend, mit erhobener Hand das Lied der Hitlerjugend. Zuletzt formierte sich der Trupp zum Abmarsch, und mit Trommeln und Fanfaren verließen sie die Aula. Für uns waren diese Jungen begnadet, heiliggesprochen ...

      Sonst veränderte der Krieg vorerst nichts, jedenfalls spürte ich keine Veränderung bei den Großen. Erst im Verlaufe einiger Wochen stellte ich bei meinen Verwandten unterschiedliche Reaktionen fest. Was uns Jungen betraf, so interessierte uns die technische Seite des Krieges. Wir besaßen Sammlungen von Modellen der Flugzeugtypen, der Panzer und Schiffe und ähnlichen kriegerischen Krimskrams, wie er für ein paar Pfennige im Winterhilfswerk angeboten wurde. Wir schacherten Kriegsandenken, die irgendein Vater oder Bruder geschickt oder mit heimgebracht hatte, Granatsplitter, Waffen, Rangabzeichen, der Tauschmarkt auf, dem Schulhof war die eigentliche Kriegssensation.

      Es gab auch schlimme Bilder in den Wochenschauen, zum ersten Mal wurden wir mit dem Schrecken konfrontiert, ermordete und zu Tode gefolterte Volksdeutsche, aufgenommen von Frontberichterstattern nach der Einnahme - Befreiung - polnischer Städte, unterlegt mit drohender Musik; wir wurden im ersten Kriegsjahr einer emotionellen Erziehung unterworfen, der wir uns nirgends entziehen konnten. Auf Schritt und Tritt standen wir Feinden oder Freunden gegenüber. Mit vereinfachenden Orientierungen sollten wir uns, zurechtfinden. Sollten wir uns zurechtfinden? Politische oder ideologische Erziehung im Kindesalter ist immer gleich mit dem Erwecken von Emotionen, mit Hassgefühlen oder mit Zuneigung gegen oder für etwas, das sich kindlicher Beurteilung entzieht, ein gelegtes Muster, dem man nicht mehr entrinnt. Unser Handeln vollzog sich auf der Basis der Zustimmung zum Krieg, zum Kampf als Lebensform; unser Hass auf den Feind bezog seinen Brennstoff aus der Angst vor einem ähnlichen Schicksal wie das gefolterter Volksdeutscher, und wir suchten immer wieder diese Filmaufnahmen. Die Gier nach dem Schrecken gehörte schon zu uns. Dieser Manipulationsvorgang ist uralt, es bedurfte keiner Wissenschaft, um die·Praxis voranzutreiben. Wer will, kann bei Xenophon, bei. Thukydides nachlesen, wie es gemacht wird: Der Feind ist immer böse. Seine Ziele sind immer verwerflich. Nicht nur, wer auf der Seite des Feindes steht, ist mit rabiaten Mitteln vom kämpfenden Volk auszuschließen, sondern auch der, welcher nach Wahrheit sucht, wo es keine Wahrheit mehr gibt.

      Für gehobene Ansprüche lieferte die Presse differenzierteres Anschauungsmaterial. Jendokeit kannte die technischen Daten aller Maschinenwaffen, er hatte sie eher in seinem Kopf gestaut, als er einen der Lehrsätze des Euklid anwenden konnte. Wir begriffen sehr gut, dass die Überlegenheit der Waffen die Grundlage unserer Siege war, der beste Jäger, das beste Unterseeboot - und täglich, stündlich war Krieg für uns. Wenn die Sender ihre Übertragungen unterbrachen und die mit Fanfaren eingeleiteten Sondermeldungen ausstrahlten: Heute früh drangen deutsche U-Boote ... und wir suchten uns die Einzelheiten zusammen, ein U-Boot bezwang die Enge von Scapa Flow und torpedierte die britische Flotte zu Hause, der tollkühne U-Bootfahrer entkam sogar. Jagdflieger bemalten ihre Maschinen mit Symbolen für ihre Abschüsse, es entstand ein sportlicher Wettbewerb unter Soldaten um Tötungsquoten. Ihre Namen standen in den Zeitungen, ihre Bilder wurden gehandelt. Der Krieg ergriff von der Unterhaltungsindustrie Besitz - für ein Achtzig-Millionen-Volk war die erste Phase des Zweiten Weltkrieges zu einem Fußballspiel geworden, und in der Tat, die Prognosen trafen auch immer prompt ein: Polen fiel, der Eintritt Englands und Frankreichs in den Krieg bedeutete keine Änderung der inneren Situation.

      Und schließlich geschah noch das Wunderbare, wir fanden in den Straßen Berlins endlich auch Granatsplitter.

      »Ich hatte den Eindruck, dass ihr noch etwas in der Volksschule lerntet« - Verena am Klavier. Wir versuchten, uns wieder einmal näherzukommen. Ich sah voraus, dass auch dieser neue Versuch scheitern würde. Woran?

      »An deiner Rechthaberei«, sagte meine Mutter. Sie sah merkwürdig aus unter der Bubikopfperücke, deren tiefschwarz nicht zu ihr passte. Auch die Größe der Perücke stand im Widerspruch zu ihrem kleinen Greisinnengesicht, den schmalen Lippen, die sie mit einem grellen Stift nachgezogen hatte. Ihr wuchs ein Altersbart, und ihre zerbrechlichen Finger konnten die Masse der Goldringe kaum halten, sie musste die Ringe abziehen, wenn sie Klavier spielte.

      »Du siehst aus wie eine Mumie, Mama.«

      »Findest du?« Sie zupfte an ihrer Bluse herum, strich den Rock über den Knien glatt und steckte sich die Ringe wieder auf.

      »Ich meine, deine Versuche, jung zu wirken, sind albern.«

      Sie erläuterte: »Du warst mit deinen zehn Jahren ein unausstehlicher Bengel, alles hatte ich von diesem ängstlichen und schüchternen Jungen erwartet, nur das nicht. Natürlich hattet ihr schuld, dass der arme Ludwig ein steifes Bein behielt, du und Hansjoachim, Du vergisst bei deiner Schilderung der damaligen Zustände allzu leicht, dass du alles mit heutigen Augen siehst, aus deiner heutigen Einstellung und deinem Wissen heraus. Damals befandst du dich in Übereinstimmung mit dir und mit dieser Volksschule.«

      »Mama? Warum schickt man Kinder auf höhere Schulen, wenn sie doch nichts nutzen?«

      Sie lachte. »Was hattest du erwartet? Oder richtiger, was hätten wir deiner Meinung nach damals tun sollen? Wir taten das, was auch heute Hunderttausende tun, wir opferten die paar Getreidekörner auf dem Altar des Staatskultes und gingen in andere Tempel, um uns zu amüsieren. Diktaturen sind immer aufdringlich, wie du vielleicht schon festgestellt hast, sie fordern immer nur im Namen eines unbegreiflichen Vehikels, des Staates, des Volkes, der Klasse. Wir beschränkten uns auf den erhobenen Arm, die zwanzig Pfennig für das Winterhilfswerk; wir klebten Plaketten an unsere Wohnungstür, wir flaggten an den geforderten Tagen.«

      Hatte sie nicht doch ein bestimmtes Gefühl des Einverständnisses

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