Dame in Weiß. Helmut H. Schulz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dame in Weiß - Helmut H. Schulz страница 19

Dame in Weiß - Helmut H. Schulz

Скачать книгу

Schwester brachte die gefüllte Kanne, wir traten zusammen an das Grab meines Bruders, und ich fühlte ein Stechen in den Schläfen.

      »Ist dir schlecht? Du 'siehst blass aus.«

      Ich gab keine Antwort, wir legten den Kranz auf das Grab, Veronika goss Wasser in die trichterartigen Vasen, und ich steckte meinen und Verenas Strauß hinein.

      »Was hat denn eigentlich dein Kranz gekostet, Roka?«

      Gleichmütig nannte meine Schwester einen hohen Preis, und meine Mutter schnappte nach Luft. »Ich weiß wirklich nicht, ob das nötig gewesen ist. Na, ihr müsst es ja haben.«

      Ich schätzte an Veronika die Ruhe, mit der sie das Gerede ertrug.

      Wir griffen nach Kanne und Hacke, die der Friedhofsverwaltung gehörten, und begaben uns langsam zum Ausgang. Meine Schwester schob ihren Arm unter den unserer Mutter. Wir gingen sehr langsam. Meine Mutter blieb von Zeit zu Zeit stehen, dann blieb auch Veronika stehen. Ich dachte an den Tag, an dem sie geboren wurde ...

      Meine Mutter stand im Morgenrock am Fenster. Sie bewegte sich schwerfällig, manchmal stöhnte sie leise. In der Nacht waren Bomben gefallen, wir hatten den Angriff im Luftschutzkeller unseres Hauses ganz gut überstanden. Im trüben Licht einer Notbeleuchtung schleppte sich meine Mutter nach der Entwarnung, die Hand am Geländer, die Treppen des verdunkelten Hauses hinauf. Ich war ihr mit einem kleinen Koffer gefolgt, geängstigt, nicht durch den. Nachtangriff, sondern bei dem Gedanken, meiner Mutter könnte infolge der Schwangerschaft etwas zustoßen. Mein Vater war nicht da, aber es kam hin und wieder ein junger Mann, Georg, er blieb auch über Nacht. Er sah gut aus, ein Ehrendolch baumelte am Gelenk über dem Waffenrock des Fliegeroffiziers.

      Ich selber stand auf dem Sprung. Mit meinen zwölf Jahren hatte ich eine weite Reise vor, war ich weg, würde sich niemand mehr um meine Mutter kümmern.

      »Hör zu, mein Junge, du musst jetzt ein Mann sein.« Wie mich das damals schon ankotzte, dieser Männlichkeitswahn Verenas, meiner Familie, aber es stimmte, ich hatte tatsächlich die Last, ein Mann zu sein, übernehmen müssen. »Ehe du was anderes machst, gehst du zur Hebamme und sagst ihr, es ist soweit. Dann gibst du dieses Telegramm an Papa auf. Vielleicht geben sie ihm Urlaub.« Sie hob den Hörer des Telefons ab, ich lauschte auf das Freizeichen, es kam keins, und sie legte resignierend den Hörer auf die Gabel. »Also versuch meine Schwester Barbara anzurufen, sie möchte herkommen.« Dann konnte meine Mutter nicht weitersprechen, sie krümmte sich und stieß einen sonderbar hellen, abgebrochenen Schrei aus, der mich traf wie ein Hieb auf den Magen.

      Die Hebamme war damit beschäftigt, Bretter vor die Fenster, zu nageln, auf dem Fußboden lagen Glassplitter. Man bekam sie selten ganz aufgefegt, das Glas löste sich unter dem Druck der Detonationen in Glasstaub auf, er blieb in den Dielenritzen hängen, maserte die Möbel - man gewöhnte sich an das Knirschen unter den Schuhsohlen.

      Die Hebamme, eine dicke Frau mit Brille, hatte sich ein paar Nägel zwischen die Zähne geklemmt, sie legte ein Brett an, ich hielt das andere Ende fest, und sie klopfte den Nagel ungeschickt ein.

      »Wie heißt sie?«

      Ich nannte unseren Namen. »Sie hat Schmerzen.«

      Die Hebamme schob mich beiseite und schlug die andere Seite des Brettes fest, im Zimmer herrschte jetzt Halbdunkel, das Weiß der medizinischen Einrichtungsgegenstände glänzte kalt und fahl und flößte mir Schrecken ein.

      »Sie soll sofort kommen.«

      Wir gingen in die Küche, die Hebamme nahm eine Kanne vom Herd. Sie goss sich ein Zeug ein, das schwarz aussah, aber nichts mit Kaffee zu tun hatte. Dann brach sie ein Stück Weißbrot ab, schob es in den Mund und trank von dem schwarzen Zeug.

      »Habt ihr eure Fenster heute Nacht behalten?«

      Ich nickte, bei uns waren die Glasfenster drin geblieben. »Ich halte mich an Bretter. Fliegen sie raus, habe ich sie mit ein paar Nägeln wieder dran.«

      Ich saß wie auf Kohlen, aber ich traute mich nicht, sie anzutreiben. Sie redete mit mir, als hätte sie einen Erwachsenen, einen mit allen Fragen einer Geburt Vertrauten vor sich.

      »Keine Sorge, das Kind liegt ganz normal. Es ist ihr Drittes. Ich hab euch beide geholt.« Sie schluckte. »Wo ist dein Vater?«

      »Im Krieg, aber kein Soldat.«

      »Ach ja, dein Vater ist ja was Technisches.« Sie wischte sich den Mund und lehnte sich zurück; dann rauchte sie.

      »Donnerwetter, wollen Sie nun endlich kommen!«

      Sie lachte, rauchte weiter und schüttelte mehrmals den Kopf. Ich sagte nichts mehr, ich stand auf und ging zur Tür.

      »Warte doch«, sagte sie, »du musst mir doch helfen.«

      Wir packten ihre Sachen ein, verschiedene blitzende Instrumente, deren Aussehen nichts über ihren Gebrauch verriet.

      Unterwegs - ich trug ihre Sachen, sie half sich mit einem Stock weiter - sagte ich, dass ich meiner Tante telefonieren müsse, sonst wäre niemand als Hilfe im Hause.

      Die Hebamme schüttelte den Kopf. »Dazu ist es zu spät.«

      Ich schloss die Wohnungstür auf und führte die Hebamme ins Schlafzimmer meiner Eltern. Meine Mutter saß mehr auf dem Bett, als dass sie lag. Das Haar klebte ihr feucht am Kopf. Die Hebamme erschrak. »Los, setz Wasser auf, schnell, viel Wasser.«

      Ich stellte ihre Sachen hin, stand begriffsstutzig da; sie drehte mich bei der Schulter herum und schob mich hinaus. In der Küche stellte ich alle Töpfe und Kessel, die ich fand aufs Gas, suchte nach Schüsseln und Wannen. Sie kam, wusch sich gründlich mit heißem Wasser die Hände, ich suchte in ihrem Gesicht nach Spuren einer Katastrophe - bahnte sich hier ein Drama an? Was, wenn Verena stürbe und das Kind am Leben bliebe?

      »Geht euer Telefon?«

      »Bis vorhin ging es noch nicht.«

      »Der Krieg hat was Gutes«, sagte die Hebamme. »Er hat euch zu richtig brauchbaren kleinen Männern gemacht. - Hoffentlich schlafe ich nicht ein.«

      »Ich kann Ihnen eine Tasse Kaffee kochen«, ich wusste, wo Kaffee für den Notfall aufbewahrt wurde, und ich sah, dass sich die alte Frau nur mühsam auf den Beinen hielt.

      Erfreut nickte sie. »Ich hatte wenig Schlaf.«

      Auch wir hatten kaum geschlafen.

      »Und wenn wir Alarm kriegen, was machen wir dann?«

      »Dann musst du deine Mutter runter schleppen, und sie wird ihr Kind im Keller zur Welt bringen.«

      Wir brühten Kaffee, ich selber trank auch davon.

      »Wie alt bist du?«

      »Zwölf.«

      Sie sah mich aufmerksam an. Anscheinend gefiel es ihr, wie ich mich hielt. Sie nickte befriedigt und gab eine Erklärung ab: »Das Kind ist bei deiner Mutter im Bauch, das weißt du, und es ist viel größer als ...«, sie suchte nach einem Ausdruck, der für mich passte, und überschlug den Satz. »Kurz gesagt, wir werden beide alle Hände voll zu tun haben, aber es wird schon klappen. Du bleibst hier, bis ich rufe, dann bringst du heißes Wasser, wir müssen deinen

Скачать книгу