Dame in Weiß. Helmut H. Schulz

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Dame in Weiß - Helmut H. Schulz

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hörte nicht mehr zu, sondern zog meinen Bruder hinaus: Aber ich ließ die Tür offen, für alle Fälle.

      »Felix, wie geht es dir?«

      Ich fühlte, dass eine wichtige Entscheidung über unsere Zukunft bevorstand, dass der alte Friedrich Arzt überhaupt nur deshalb gekommen war, um eine Lösung zu erzwingen, eine Lösung, die er für richtig hielt. Mein Bruder trat zu mir, legte mir beide Arme um den Hals, er schmiegte sich an mich, ich streichelte ihn.

      »Ich will wieder zu euch.«

      »Ich versprech dir, wir kommen alle wieder zusammen, das versprech ich dir, jetzt musst du noch mal mit nach Hammelspring, und ich muss wahrscheinlich nach Gleiwitz oder in ein anderes Kaff. Mutter zieht mit Roka weg, und vielleicht kommt Vater bald.«

      Jetzt, wo ich aufzählte, was uns heimgesucht, war mir klar, dass sich keine günstige Wende anzeigte, dass alles mit dem Krieg zusammenhing, der, für uns keine heroische Seite hatte. Er riss uns auseinander.

      Am anderen Tag brachte ich den Alten und meinen Bruder zur Bahn. Wir standen auf dem Bahnhof, es war ein kühler Tag, Regenschauer und Sonnenschein lösten sich ab. Mein Großvater trug sein graues und schwarzes Zeug, dazu einen Mantel und einen Hut. Mein Bruder Felix lief hin und her, er tat mir leid, ich sah, dass er wie ein eingesperrter Vogel herumflatterte, ohne einen Ausweg zu finden.

      »Man hat mir gesagt, dass du dich ausgezeichnet gehalten hast«, begann mein Großvater, »eines deutschen Jungen würdig.«

      Ich hasste ihn für diesen Zusatz, ich war stolz darauf, ein Deutscher zu sein, das stimmte schon, aber ich wollte nicht werden wie dieser dürre Schulfuchs, den ich mir beim besten Willen nicht als Armin vorstellen konnte, der die römischen Legionen, bezwang. Ich durchschaute die Absichten meines Großvaters, der nie etwas Unvernünftiges tat.

      »Dein Vater möchte seine Tochter natürlich sehen, aber du weißt ja, dass es nicht immer nach unserem Willen geht. Der Führer ...«

      Ich ließ ihn stehen, um Felix zurückzuholen, der sich sorglos in Nähe der Bahnsteigkante aufhielt. Meinem Großvater war ich entronnen, aber nicht meinen Gedanken. Er wusste so gut wie ich, dass Veronika einen anderen Vater als ich hatte. Er wollte auf den Busch klopfen, mich täuschen oder aushorchen; gestern noch hatte er den Sittenrichter gespielt, heute hielt er es für gut und richtig, sich auf die Tatsachen einzustellen.

      »Papa ist nicht Veronikas Vater«, sagte ich, »aber sie ist unsere Schwester.«

      Er sah in die Ferne, konnte sich nicht entschließen, mir zuzustimmen, und sagte: »Du bist sonderbar, eiskalt glaube ich. Da kommt unser Zug.«

      Wir brachten die Sachen ins Abteil, mein Bruder ließ seine Arme aus dem heruntergelassenen Fenster hängen. Es wimmelte von Soldaten: mit Gepäck, ohne Gepäck. Feldgendarmerie ging auf und ab, Rotkreuzhelfer standen herum. Der Zug war nicht stark besetzt, es war ein Personenzug, der bis Templin fuhr. Von dort wurden mein Großvater und Felix mit einem Pferdefuhrwerk abgeholt.

      »Also, mach's gut«, sagte mein Großvater, und nun, beim Abschied, fiel mir auf, dass er sehr gealtert war, auch ihn nahmen die Ereignisse mit.

      Dann rollte der Zug aus dem Bahnsteig. Ich drehte mich um und fuhr zu Goll, um etwas über unseren neuen Aufenthalt zu erfahren, denn Goll, Jendokeit, Schott und wer sonst noch zu uns gehörte, fuhren selbstverständlich mit nach Gleiwitz.

      Meine Mutter sagte: »Glaubst du das wirklich?« Sie wendete sich an Veronika, »Roka, du musst ihm das ausreden, er leidet in letzter Zeit an solchen Hirngespinsten.«

      Meine Schwester saß am Steuer ihres Wagens, Verena neben sich, ich saß hinten.

      »Können wir fahren?«

      »Bin ich Luft für dich?«, fragte meine Mutter.

      Veronika schaltete den Motor ein, er brummte leise, ich schloss die Augen und erwartete, dass sie anfahren würde, aber sie schaltete den Motor wieder aus und drehte sich halb zu Verena herum. Ich fühlte die Bewegung und öffnete die Augen.

      Ich hatte meine Schwester im Profil gegen die helle Frontsichtscheibe, eine lange Stirnlinie ging in einen geraden Nasenrücken über; Oberlippe, Mund und Kinnlinie, das lockere Haar erinnerte an die Frisur oder Unfrisur Barbaras. Meine Schwester redete mit rauer, heiserer Stimme, die gut zu ihr passte; sie leitete eine Bankfiliale. Sie war das, was man erfolgreich nennt. Ihr Mann war Jurist.

      »Ist das alles jetzt nicht ganz gleichgültig geworden«, sagte meine Schwester.

      »Was weißt du denn?« Verena war sichtlich froh, sie zum Sprechen gebracht zu haben. »Ich meine, es ist nicht gleichgültig, wer dein Vater gewesen ist.«

      Wütend schaltete meine Schwester, sie fuhr sehr schnell die Klement-Gottwald-Allee hinauf, sie erinnerte sich offenbar sehr gut der alten Straßenverläufe.

      »Fahr die Ostseestraße rechts hinein«, sagte ich, »es ist der kürzeste Weg.«

      »Heißt sie noch Ostseestraße? Ihr habt doch die Manie, alle Straßen umzutaufen.«

      »Was ich immer sage ...« Verena legte ihre kleine, zerbrechliche Hand auf den Arm ihrer Tochter, »eine rein idiotische Manie, alle Straßen dauernd umzubenennen. Kein Mensch findet sich noch in Berlin zurecht.«

      Wir fuhren bis zur Hallandstraße, meine Schwester parkte ihr Auto, dann gingen wir nach oben in unsere Wohnung.

      Meine Schwester setzte sich zu mir in das alte Arbeitszimmer unseres Vaters, vielleicht nicht ihres Vaters, sie rauchte und sah mich an.

      »Und wann kommst du uns besuchen«, fragte sie.

      Die Frage enthielt den Kern eines unausgetragenen Zwistes. Sie wusste, dass ich keine Möglichkeit hatte, sie zu besuchen, und ich wusste, dass sie mit den Gegebenheiten vertraut war. Jeden Tag konnten sich die Verhältnisse zum Schlimmeren wenden, wir machten uns nicht klar, dass wir am Rand eines Abgrundes lebten. Ich zog es vor zu schweigen.

      »Bist du immer noch allein«, fragte meine Schwester.

      Es war eine lange Geschichte, die meine Schwester und ich irgendwann einmal erörtern mussten, jetzt dachte ich an Felix, und wenn es etwas gab, das uns band, dann war es unser Bruder Felix.

      Meine Mutter rief zum Tee, wir gingen hinüber in ihr Zimmer, setzten uns an ihren kleinen runden Tisch mit der zierlichen Decke.

      »Ich habe Bilder von Felix gefunden«, sagte Verena, während sie uns Tee eingoss und Gebäck zurechtstellte. Meine Schwester langte nach den Bildern, ich warf einen Blick auf die Fotos, ich kannte diese Bilder.

      Verena seufzte. »Er war ein schönes, zartes Kind, sein Geist war leicht und lebendig, etwas Träumerisches war immer um Felix. Keins meiner Kinder war so wie er«, sie blickte uns nacheinander an, »wenn eins meiner Kinder, eins von euch, nicht dieselben Eltern gehabt haben sollte - ich streite es ja nicht ab, ich weiß es nicht, ihr wisst es nicht, und so wollen wir die positivste Möglichkeit annehmen -, dann war es nicht Roka, sondern Felix.«

      Sie brachte es fertig, über diese Dinge wie über einen Vorgang zu reden, der nichts mit ihr zu tun hatte, der sie nichts anging. Meine Schwester behielt ihr Schweigen bei. Ich wusste, dass wir noch Zeit haben würden zu sprechen.

      »Gehst du mit Hans weg?«, fragte meine Mutter.

      »Ich

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