Der geheime Pfad von Cholula. Michael Hamberger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der geheime Pfad von Cholula - Michael Hamberger страница 27
„Kannst Du mir dies ausdrucken?“
„Natürlich!“
„Gehe jetzt bitte zum Ende der Linie!“
Daniel machte, wie ihm geheißen wurde, aber auch hier war nichts zu sehen. Es war praktisch eine Steinwüste, ohne irgendwelche erkennbare Form. Sollte dort ein Dorf namens Aguas Verdes, also grünes Wasser sein? Unmöglich! Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als sich dort persönlich umzusehen. Auch wenn es spät wäre, sie würde sofort aufbrechen und sich zumindest dort umsehen. Es blieb noch mindestens zwei Stunden hell. Wenn sie sich beeilte, müsste sie noch vor Einbruch der Dunkelheit dort eintreffen. Vielleicht konnte sie sogar schon Sergio Alcazar interviewen. Wichtigstes Ziel aber war natürlich, Lupi zu finden. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte, noch hatte sie eine Ahnung, wie sie diese dann befreien sollte, wenn sie sie wirklich finden sollte, aber es nicht zu versuchen, war einfach keine Alternative. Was würden diese Monster heute Nacht Lupi antun? Sie würde sich dies niemals verzeihen können. Sie musste los. Und zwar so schnell als möglich.
Aus den Aufzeichnungen von Ocelotl, verstoßener Jaguarkrieger ohne Volk
Weiterer Verlauf der Aufzeichnung: Im Jahre des Herrn 1525, wobei dieses Datum später aus dem Aztekischen Kalender umgerechnet wurde.
Seit ich verstoßen worden war, waren fünf Xihuitl, also Sonnenjahre vergangen, die ich alleine in der Wildnis verbringen müsste. Es waren harte Jahre der Entbehrungen gewesen.
Mittlerweile konnte ich meine zweite Natur gut kontrollieren und sogar zu meinen Gunsten einsetzen. Anfänglich war ich dem ständigen Wechsel hilflos ausgeliefert. Ich verstand nicht, was mit mir passierte. Alle drei bis vier Tage verlor ich die Kontrolle über mich selbst und wachte dann immer blutüberströmt wieder auf, meistens ein totes, schrecklich zerfleischtes Tier neben mir. Zweimal waren es sogar tote Menschen gewesen. Niemals von meinem eigenen Volk, sondern immer von den verräterischen Tlaxcalteken, die, wie ich erfuhr mit den Bleichgesichtern, den Spaniern gemeinsame Sache gemacht hatten, die wiederum leider niemals mehr unter meinen Opfern waren.
Dann aber lernte ich diese zweite Natur zu zügeln. Ich verlor nicht mehr die Kontrolle über mich selbst in diesen Nächten. Nach einiger Zeit konnte ich es sogar bewusst steuern. So sehr ich diese zweite Natur zu Anfang hasste, so sehr liebte ich sie mit der besseren Kontrolle immer mehr. Es war atemberaubend, was diese zweite Natur aus mir machte. Auch wenn ich es mir anfänglich nicht vorstellen konnte, war ich durch sie noch stärker, noch schneller und damit noch tödlicher geworden. Langsam begann ich zu verstehen, dass der winzige Spanier auch über solch eine zweite Natur verfügt haben musste, dass er mich auf diese Weise hatte besiegen können. Diese Erkenntnis brachte mir auch mein Selbstbewusstsein zurück, das mir diese bittere Niederlage geraubt hatte.
Mein Volk schien dagegen meine Gräueltaten vergessen zu haben. Dies war auch kein Wunder, da sie unter den Spaniern sehr zu leiden hatten, deren Gräueltaten fast noch schlimmer waren, als die meinen. Außerdem hatte außer den Gräueltaten auch diese Pocken Krankheit, die die Bleichgesichter mitgebracht hatten, mein Volk fast komplett ausgelöscht.
Dann traf ich einen alten Kriegskameraden, der mir zwei Dinge berichtete. Erstens hatten die Spanier, Cuauhtémoc, den letzten Huey Tlatoani, hinrichten lassen. Es gab das mächtige Volk der Mexica also nicht mehr. Sie waren nur noch die Sklaven der Bleichgesichter. Auf jeden Fall diejenigen, die die Kriege und die Pocken überlebt hatte, was offensichtlich nicht sehr viele waren. Das zweite was ich erfuhr und das brachte mich noch viel mehr in Rage, war die Tatsache, dass der Winzling, der mich besiegt und getötet hatte, meine heiß geliebte Tochter nicht nur entführt hatte, sondern sie auch offensichtlich nach Spanien verschleppt hatte.
Dies war dann der Funke, der mich aus meiner Lethargie riss. Ich beschloss, ich würde ihn finden und meine Tochter zurückholen. Dann würde ich ihn töten. Diesmal würde ich mich nicht von ihm überraschen lassen. Das Leben in der Natur hatte mich eher noch stärker gemacht, nicht zu vergessen der Kraft, die mir meine zweite Natur gab.
Nachdem ich meinen ehemaligen Kriegskameraden getötet hatte, nahm ich seine Stelle ein. Er hatte den Auftrag zu der Stadt der schwimmenden Häuser, die die Spanier Veracruz nannten, zu gehen. Das machte dann ich an seiner Stelle. Der Auftrag, den er zu erledigen hatte, war dann auch sehr schnell erledigt, und so ließ ich mich als Sklave auf eines ihrer schwimmenden Häuser, die sie Schiffe nannten, bringen, das bald in ihre Heimat zurückkehren sollte.
Die lange Reise auf diesem Schiff machte es natürlich für mich sehr schwierig, fast sogar unmöglich, meine zweite Natur zu kontrollieren. Zum Glück waren die Spanier von dem Gold und den Frauen meines Volkes so berauscht, dass es ihnen gar nicht auffiel, dass jede dritte Nacht einer ihrer Sklaven fehlte. An den Spaniern selbst vergriff ich mich niemals. Da war das Risiko einfach zu hoch.
Endlich kamen wir dann in Spanien an. Mein Problem war jedoch, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht sehr viel Spanisch sprach und es mir deshalb unmöglich war, die Verfolgung des Winzlings sofort aufzunehmen. Ich wusste durch Unterhaltungen auf dem Schiff, dass in Spanien entlaufene Sklaven gnadenlos gejagt wurden. Ich beschloss daher zuerst weiter in der Sklaverei zu verbleiben, bis ich dieser Sprache mächtig sein würde. Ich hatte dabei Glück. Durch meine Größe und meine Kraft wurde ich in der Landwirtschaft eingesetzt. Dadurch war ich praktisch immer in der freien Natur, wodurch meine zweite Natur nicht auffiel. Trotzdem beeilte ich mich, die spanische Sprache zu lernen. Mein Fleiß fiel auch dem Plantagenbesitzer auf, der dies als eine Art Anpassung an die überlegene Kultur der Spanier sah und mich aufgrund dessen zum Vorarbeiter ernannte. Dies brachte mir einige für mich sehr wichtige Privilegien ein. So konnte ich mich innerhalb der Plantage fast komplett frei bewegen. Auch in der Nacht. So lief ich nicht in die Gefahr, dass meine zweite Natur entdeckt wurde. Vor meiner Ernennung zum Vorarbeiter war es oft sehr knapp gewesen, sodass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis ich entdeckt geworden wäre. Einmal hatte ich sogar einen Spanischen Aufseher, der mich entdeckt hatte, töten müssen. Zum Glück war seine Leiche niemals gefunden worden.
In weniger als einem Jahr war ich in der Spanischen Sprache fast perfekt, sodass ich mich meinem Ziel wieder zuwenden konnte, meine Tochter aus den Klauen des Winzlings zu befreien.
Ich musste aber erst wieder frei sein und zwar so, dass ich möglichst nicht gejagt werden würde. Da hatte ich eine Idee. Es gab in der Plantage einen weiteren Sklaven, der ähnlich groß war, wie ich. Er war jedoch aus Afrika und durch das war seine Hautfarbe wesentlich dunkler, als die meine. Seine Kleidung bestand nur aus Lumpen, während ich als Vorarbeiter wenigstens ein Hemd und eine Hose, sowie Schuhe besaß. Eines Abends bat ich deshalb diesen Sklaven zu mir. Er hieß Kudda, wobei ich aber nicht weiß, ob dies wirklich sein Name war. Er war des Spanischen überhaupt nicht mächtig und „Kudda“ war das einzige Wort, was man bei ihm verstehen konnte, weshalb wir ihn einfachheitshalber so nannten. Er kam also zu mir und versank vor Ehrfurcht fast in den Boden. Als ich ihm dann auch meine komplette Kleidung schenkte, war er ganz außer sich vor Freude. Er zog sie auch gleich an. Sie passte ihm, wie angegossen. Ich wartete, bis er wieder gegangen war, dann leitete ich die Verwandlung in meine zweite Natur ein. Kaum war ich damit fertig, nahm ich die Verfolgung von Kudda auf, den ich auch kurz später direkt vor mir gehen sah. Ich sprang ihn an und mit einem gezielten Biss trennte ich seinem Kopf von seinem Körper. Ich vergrub den Kopf tief in der Erde, wo man ihn wahrscheinlich nie mehr wieder finden würde. Dann begann ich Kudda in wilder Raserei zu zerfleischen, sodass er am Ende fast nicht mehr als menschliches Wesen zu erkennen war. Dabei achtete ich jedoch darauf, dass trotz aller Raserei meine Kleidung noch erkennbar blieb. Man sollte ihn ja für mich halten. Ich wäre dann tot. Tot und frei und Kudda würde als mein Mörder gejagt und niemals gefunden werden.
*