Der Koffer meiner Frau. Klaus Werner Hennig

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Der Koffer meiner Frau - Klaus Werner Hennig

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du!“ Die Pillen, die neuen Schuhe und was noch alles sich in dem Koffer befände, und wer ich wirklich wäre, benannte sie, mit dem Fuß stampfend, laut und deutlich!

      „Aber es ist dein Koffer, Teddybär!“, verteidigte ich mich.

      Trotzdem, zum Bahnhof trottelte ich. Ein Hubschrauber kreiste merkwürdig niedrig. Es wimmelte derartig von Polizisten, als gelte es, eine Demo gegen neuerliche Fahrpreiserhöhungen zu verhindern. Oder marschierten Rechtsextremisten? Ich schlängelte mich an der Postenkette vorbei, werde gefilmt. Am Bahnsteig B ist kein Hochkommen. Der Treppenaufgang scheint regelrecht verbarrikadiert, womöglich vermint zu sein. Ich stürze zum Bahnsteig A, blicke hinüber. Tatsächlich, auf der Bank der Koffer meiner Frau, umlagert von Gestalten, die vermummt wie Kosmonauten mit gläsernen Hauben im gehörigen Abstand verharren. Ein Spezialist robbt sich zur Bank, lauscht mit einem Gerät an dem Koffer. Ich höre förmlich die Weckuhr meiner Großmutter ticken, ohne die meine Frau nie einschlafen kann. Der Idiot legt einen Sprengsatz.

      „Halt!“, schreie ich so laut ich kann, „das ist der Koffer meiner Frau!“ Aber das hört keine Sau. Sie verständigen sich über Funk. Ich gestikuliere wie wild. Kurz entschlossen haste ich über die Gleise zum Bahnsteig B. Da hechtet sich ein athletischer Typ voll auf mich, will mich zu Boden reißen. Ich ducke mich seitwärts. Da klatscht der Froschmann bäuchlings auf den Bahnsteig und schlittert über die Kante. Alles starrt, die Waffe im Anschlag, zu mir. Ich schnappe den Koffer, da dröhnt das Kommando: „Volle Deckung!“ Die Uniformierten liegen flach vor mir auf dem Boden. Ich flitze zur Treppe, werde umzingelt. Handschellen klicken.

      „Verhaftet!“, schnarrt eiskalt die Stimme. – „Seid ihr verrückt?“, krächze ich wütend. „Oder dreht ihr einen Film?“

      „Ich drehe gleich durch! Objekt sichern!“ – „Das ist der Koffer meiner Frau!“, schreie ich aus Leibeskräften in der Hoffnung, dass mich andere Fahrgäste hören, zu Hilfe eilen, mir beistehen, sich mit mir empören, aber keiner kommt. Der Koffer wird mir entrissen.

      „Haben Sie nie vom elften September gehört?“ – „Heute ist der elfte November!“, stelle ich richtig und schaue zur Uhr. „Elf-Uhr-elf, zufällig“, grinse ich argwillig.

      „Werden Sie nicht frech! Alles geschieht auch zu Ihrer Sicherheit!“

      „Dann nehmen Sie mir die Handschellen ab!“

      Der Einsatzleiter entspannt sich, notiert meine Personendaten, lässt Fingerabdrücke nehmen.

      „Eigentlich brauche ich Ihre Speichelprobe“, fordert er keck.

      „Kein Problem!“ sage ich wütend und spucke ihm vor die Füße in den Dreck.

      „Beherrschen Sie sich gefälligst, ich habe meine Vorschriften! Öffnen Sie den Koffer!“

      Verschämt zeige ich die Wäsche meiner Frau, die Weckuhr meiner Großmutter. Alles wird fotografiert. Scharenweise ziehen die Einsatzkräfte ab. Der Hubschrauber dreht bei.

      „Sie haben die öffentliche Ordnung gestört, unsere Sicherheit gefährdet. Da kommt ein Bußgeld auf Sie zu, das sich gewaschen und gekämmt hat!“

      Im Auto schnauzte meine Frau: „Wo hast du dich wieder rumgetrieben?“. Ich schilderte, am Rande eines Infarktes, alles haar­klein, aber sie fauchte entnervt, das sei die dämlichste Geschichte, die ich je erfunden hätte.

      Das Schreiben des Polizeipräsidenten ließ sie erblassen. Fortan raten wir jedem, mit der Bahn ohne Koffer zu reisen.

      Notfalls klage ich bis vor das Bundesverfassungsgericht, teilte ich dem Polizeipräsidenten in meinem Einspruch mit. Begründung: Schuld war nämlich meine Frau, ich wollte mein Grundstück nicht veräußern!

      Das Präsidium antwortete schlicht: Die Argumentation hat die Behörde überzeugt. Der Einsatz wird als Übung zur Terrorbekämpfung eingestuft.

      Wohlweislich verheimlichte ich den Schrieb vor meiner Frau.

      Dem Polizeipräsidenten sei gedankt, das Geld für das Grundstück blieb auf der Bank.

      Gut verzinst übrigens.

      IM Susi

      „Niemandem habe ich persönlich geschadet! Keinem! Das dürfen Sie mir glauben. Leute anzuschwärzen war nie mein Ding. Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Lieber setzte ich mich selbst in die Nesseln! Das ist die Wahrheit. Sichten Sie die Akte. Sollte einer meiner Berichte falsch ausgelegt worden sein, es täte mir leid.“

      Susanne Leuchtenbrink sitzt auf ihrer Couch voller Kissen und Kuschel­tiere in ihrer Plattenbauwohnung, Straße der Pariser Kommune in Berlin Friedrichshain. Die Beine übereinandergeschlagen, den kurzen Rock immer wieder am Saum zum Knie hinziehend, bleibt sie bemüht, der Gesprächspartnerin aufrichtig in die Augen zu schauen. Ihr Blick ist zu starr, um glaubwürdig zu wirken. Frau Doktor Ingeburg Herz-Züblin vom Sigmund-Freud-Institut der Universität Frankfurt am Main sitzt locker im Sessel, die Aktentasche auf dem Schoß, die Arme lässig auf den Lehnen. Derartige Befragungen ehemaliger inoffizieller Mitarbeiter der Staats­sicher­heit sind Teil psychoanalytischer Untersuchungen über menschliche Deformationen in der Diktatur. Die angestrengte Unschuldsbeteuerung, niemandem geschadet zu haben, ist die einleitend übliche Leier. Frau Herz-Züblin weiß, sie darf keinesfalls widersprechen, sie würde sonst nichts hinterfragen können.

      Susanne wechselt den Beinüberschlag und zieht weiter an ihrem Rock. Warum kleidet sie sich in keinen längeren?, denkt das Weibchen in Frau Herz-Züblin. Will sie mir oder sich selbst weismachen, sie sei im Leben zu kurz gekommen? Doch die Wissenschaftlerin zwingt sich zur Sachlichkeit.

      „Darf ich?“ Sie entnimmt der Aktentasche ein kleines Tonbandgerät, legt es auf die Glasplatte des Couchtisches.

      „Wie telefonisch abgemacht, keine Klarnamen, keine Anschrift, kein Foto, ich muss darum bitten.“ Susanne wirkt verunsichert.

      „Sie können sich auf mich verlassen, Frau Leuchtenbrink. Unsere Forschungsarbeiten sind seriös, diskret, unabhängig und werden von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes unterstützt. Erst durch meine Befragungen bin ich in die ehemalige DDR gelangt. Mein Fach ist die Psychologie. Mein Interesse rein fachlich. Ich danke Ihnen, dass Sie mich in Ihrer Wohnung empfangen. Hübsch haben Sie es hier.“

      Susanne errötet, bleibt aber misstrauisch. Die Wohnung mit Fahrstuhl und Müllschlucker hatte ihr Führungsoffizier vermittelt, nachdem sich ihr Mann hatte scheiden lassen. Sie grübelt, ob sie das nicht erwähnen müsste, unterlässt es aber lieber. Was immer sie getan hat, es geschah aus der inneren Überzeugung beizutragen, die Verhältnisse für alle bessern zu helfen und nicht um kleinlichen Vorteils willen. Daran glaubt sie mit den Jahren immer fester.

      Frau Herz-Züblin überlegt, was IM Susi vortäuschen möchte. Aus der Akte kennt sie deren Begünstigung bei der Wohnungsvergabe durchaus. Sie wird, bemüht um Vertrauen, ihre Vorkenntnis IM Susi nicht spüren lassen. Sie möchte das Tonbandgerät einschalten.

      „Moment, Frau Doktor, ich mache uns fix Kaffee.“

      „Vielen herzlichen Dank.“ Frau Herz-Züblin wägt ab, wie sie sich IM Susi nähern sollte: streng methodisch, wissenschaftlich fundiert, den Psychotest zuvorderst oder von Frau zu Frau, einfühlsam, gewissermaßen als tröstende Freundin? Die Tasse Kaffee kann helfen, den Zugang zu finden. Am besten, die Probandin nicht unterbrechen, vielleicht käme sie so am ehesten

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