Der Koffer meiner Frau. Klaus Werner Hennig
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„Während der Leipziger Frühjahrs-Messe. Ich war Mitarbeiterin bei Technocommerz, hatte Außenhandelswirtschaft in Karlshorst studiert. Im Astoria gab es einen Empfang mit westdeutschen Röhrenherstellern. Es ging um Gasleitungen während der Ölkrise. Am anderen Morgen nach dem Frühstück baten drei Herren um ein vertrauliches Gespräch. Ganz normale Fragen: Worüber wurde mit wem gesprochen, was wurde gesagt, was wurde gefragt, wie hat sich ihre Chefin verhalten? Das machte mich stutzig. Meine Chefin war eine Persönlichkeit, ganz dick in der Partei, beherzt, bestimmt nicht kleinlich, trotzdem gründlich und gewissenhaft, blieb keine Antwort schuldig. Ich selbst war bloß im DSF, wie die ganze Brigade damals beim Kampf um den Titel. Sonst gabs keine Prämie, wenn Sie wissen, was ich meine. In die Partei bin ich nie!“
Kikeriki. Frau Herz-Züblin hört den Hahn krähen, lächelt verbindlich und fragt: „Wieso? Hatte das einen Grund?“
„Die Beiträge waren sehr hoch. Da ging rein, wer musste oder ganz nach oben wollte und die Hundertfünfzigprozentigen sowieso. Gebeten hatte mich eh keiner. Mein Vater war ja im Westen. Deshalb musste ich mich verpflichten, jedweden Kontakt mit ihm zu meiden. Formaler Quatsch, wie ich heute weiß. Kontakte mit Personen aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet mussten sogleich gemeldet werden. Aber ich hatte in all den Jahren vor der Wende keine meldepflichtigen Beziehungen.“
„Wie ging es weiter?“
„Bereitwillig sagte ich denen, was ich gehört und gesehen hatte. Es war die reine Wahrheit. Geschadet habe ich niemandem. Zum Schluss fragten die Herren, ob ich im Interesse des Außenhandels grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit ihnen bereit wäre. Ich sagte: Warum nicht? Hörte wochenlang nichts. Dachte, das sei es gewesen. Doch dann ein kurzer Anruf, ein Treffen im Café Moskau. Da war ich ziemlich gespannt, wer sich da mit mir träfe, nachmittags zum Tanztee! Dann kam Kurt. Getanzt hat er nicht. Das Gespräch war völlig belanglos. Mode, Musik, Literatur, nichts Politisches. Er hat mich sehr gut unterhalten. Aber das war reine Taktik. Kurt sollte mich testen. Wenn er mich direkt gefragt hätte, ich wäre sofort einverstanden gewesen. Schon um mich mit ihm wieder treffen zu können. Alles war abenteuerlich. Nicht so wie in den Agentenfilmen. Viel romantischer. Die Beziehung zu meinem Mann erkaltete zusehends. Die war mir zu langweilig geworden. Es fehlte an Spannung in unserer Beziehung, nichts knisterte mehr. Wir stritten uns ja nicht einmal. Kinder hatten wir auch keine. Ja, so war das. Wenn Sie wüssten, wie es mich überlief, wenn ich Kurt kommen oder sitzen sah. Fast schäme ich mich, es Ihnen zu gestehen. Dabei war er immer sehr sachlich, nie anzüglich, machte auch keine Komplimente, keine Männerwitzchen über Frauen und so.“
„Worum ging es bei den Treffs?“
„Bei der zweiten Begegnung in einer Wohnung in der Leipziger Straße ging es um Außenhandelsgeschäfte, die wir gerade abwickelten. Das schien Kurt äußerst wichtig. Sie wissen ja, allenthalben fehlten Devisen. Die gegnerischen Geheimdienste versuchten, unsere Wissenschaftler abzuschöpfen oder gleich abzuwerben. Da waren knallharte Profis am Werk. Wir wurden geschult, uns nicht bestechen zu lassen. Dann habe ich meinen ersten Bericht geschrieben, eine Beurteilung meiner Chefin. Daraufhin hätte sie befördert werden müssen, meinte ich. Sie wurde aber versetzt. Vielleicht war es eine Art Beförderung.“
„Sie wissen, dass sie verhaftet worden ist?“
„Aber nicht wegen meines Berichtes! Das weise ich zurück, das konnte die Staatsanwältin nicht beweisen!“
„Und den Leitungsposten, den haben Sie eingenommen?“
„Kommissarisch, ich wollte nicht, aber einer musste ja die Arbeit machen.“
„Waren Sie auf Auslandsreisen?“
„Anfangs kaum, später häufig. Aber nur im sozialistischen Ausland. Vor allem in Budapest. Ich bin gerne nach Budapest gefahren. Am liebsten mit dem Vindobona, Berlin – Wien. Das hatte internationales Flair. Mehr als in den Maschinen der Interflug. Mit der Bahn sollten wir eigentlich nicht reisen, aus Sicherheitsgründen. Aber ich hatte Flugangst und durfte deshalb. Budapest schien mir so leicht und so lebendig. Berlin und Leipzig dagegen: grau, trist und verschlafen. Das können Sie sich nicht vorstellen: Budapest lebte. Vielleicht am ehesten mit Dresden zu vergleichen. München ist wahrscheinlich so ähnlich, aber ich war noch nicht in München. Frankfurt ist mir zu kalt, zu nüchtern. Aber in Italien. Wenn ich das früher geahnt hätte, vor der Mauer. Mein Vater ist immer gereist. Ich weiß gar nicht, wohin überall. Darüber hatte er mit uns nicht gesprochen.“
„Worüber haben Sie mit Ihrem Führungsoffizier gesprochen?“
„Als Reiseleiterin musste ich berichten, schriftlich, sechs Durchschläge, Aufgabenstellung, Ziel der Verhandlung, Ablauf der Verhandlung, Ergebnisse, Schlussfolgerungen, besondere Vorkommnisse mit allem Pipapo. Ich habe aufgeschrieben, was gewesen war, die Wahrheit, nicht mehr und nicht weniger, das müssen Sie mir glauben. Beinahe hätte ich meine Stellung verloren. Werbegeschenke mussten vollzählig aufgelistet und abgegeben werden. Die wurden dann Weihnachten an alle Mitarbeiter verlost. Eine kleine Handtasche, ganz weiches Leder, Ziegenleder, weinrot, silberner Schnappverschluss. Die mochte ich einfach nicht wieder hergeben, verstehen Sie? Da hat mich jemand verpfiffen. Ich hätte etwas gutzumachen, meinte Kurt.“
„Was haben sie gut gemacht?“
IM Susi streichelt sich mit dem Hasen die Wange, nimmt umständlich die Tasse, ihre Hand zittert, trinkt noch einen Schluck Kaffee.
„Ich bin dann zusammengebrochen.“ Sie sammelt die Kuchenkrümel von der Glasplatte.
„Aber warum das?“, fragt Frau Herz-Züblin einfühlsam, sucht Augenkontakt mit IM Susi, die ihr Gesicht förmlich hinter dem Hasen verbirgt.
„Als mein Mann sich dann scheiden ließ, bin ich zusammengebrochen. Was hatte ich in meinem Leben erreicht? Keine Kinder, keine Beziehungen zu meinen Eltern, seine Eltern betrachteten mich immer skeptisch, als hätte ich ihnen den Sohn weggenommen und verdorben, dabei war es eher umgekehrt. Aber was soll ich erzählen? Ich landete in Weißensee in der Klapse. Vierzehn Tage in einer geschlossenen Abteilung bei Chefarzt Doktor Spinner. Langsam habe ich mich wieder hoch gerappelt. Das erste Mal Ausgang in Begleitung einer Alkoholikerin. Sie passte auf mich, ich passte auf sie auf. Wir gingen zum Brunnen der Völkerfreundschaft vorm Warenhaus am Alex. Da traf sich regelmäßig ihre Clique. Alles so abgefahrene Typen mit Rasierklingen am Hals und Sicherheitsnadeln im Ohr. Für die war ich eine Oma, die nicht einmal Jeans anhatte. Trotzdem waren sie auf ihre Art nett. Sagten nicht viel, sprachen abgehackte Sätze, meistens nur einzelne Wörter, rauchten dauernd, hörten solche Musik und fragten, irgendwie herzlich, nach nichts. Das machte mir Mut. In vier Wochen war ich wieder draußen. Mein Mann beanspruchte die Wohnung und die Möbel, das wäre alles von seinen Eltern, das hätte er schon vor unserer Hochzeit besessen. Ich bekam Geld. Konnte mir die Schrankwand und den Fernseher leisten. Behielt meine Arbeit. Verdiente ja nicht schlecht.“
„Die Staatssicherheit?“
„Ließ auf sich warten. Es war alles so leer um mich, ich hätte jeden Auftrag erfüllt, vielleicht sogar Bomben gelegt oder mich im Hotel hingegeben, wenn Kurt es verlangt hätte. Ich war für Sozialismus und wollte, dass es allen Menschen gut geht, vor allem, dass es keinen Krieg gibt. Aber so allein ohne jemand, das wollte ich nicht. Ich bin dankbar, dass Sie gekommen sind. Es ist furchtbar. Im Haus grüßt keiner. Alles neue Mieter, auch von drüben welche. Von den Nachbarn weiß ich nichts. In einem Dorf wäre es vielleicht noch schlimmer. Ich komme vom Lande. Mit den Fingern würden sie auf mich zeigen. Igitt, die IM da, die gewissenlose Person, was die verbrochen hat! Was habe ich denn verbrochen? Niemandem habe ich geschadet. Schreiben Sie das in Ihren Bericht. Ich bin keine Verräterin, vielleicht eine Verführte, ganz sicher aber eine Verliererin.“ Sie beginnt