Die Bärin Roman. Wilhelm Thöring

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Die Bärin  Roman - Wilhelm Thöring

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und dann wird wieder alles so sein, wie es einmal war...“

      „Ach, Gott gebe es...“ seufzt die Mutter. „Hätte ich deine Gewissheit, Kind, und Vaters Stärke! Er ist stark geblieben und immer noch voller Unternehmungsgeist. Bei mir ist das anders geworden. Und das will er oft nicht einsehen. Der Vater meint, es müsste mir alles noch so von der Hand gehen wie vor zehn Jahren... Ich bin siebenundfünfzig, Urschel, aber ich fühle mich, als wäre ich achtzig! Warum bin ich zum Leben verurteilt, warum?“

      Jetzt bekommt auch die Tochter feuchte Augen; mit gesenktem Kopf sitzt sie der Mutter gegenüber und weiß darauf nichts zu sagen.

      Gegen Abend – der Großvater sitzt mit den Enkelsöhnen vor der Tür und erklärt ihnen, warum fremde Menschen Bomben auf das Land geworfen und Frauen und Kinder, Männer und Tiere getötet haben – packt Ursula Andreae alle Dinge, die sie in dieser Höhle zusammengetragen hat, in eine Decke und verknotet sie.

      „Das brauchen wir morgen früh nicht zu tun“, sagt sie zu ihrer Mutter, die bei der Enkeltochter auf dem Lager liegt. „Gleich, wenn die Sperrstunde aufgehoben ist, werden wir umziehen, Mutter. Weg von der Schuttwüste hier. So sind wir noch nie umgezogen: Mein Buckel als Umzugswagen!“ Sie lacht. „Hätten wir mehr Krempel, der Umzug wäre nicht so einfach. Das ist, als würde man von einer Kaffeetafel aufstehen...“

      Die Großmutter schweigt. Sie blickt auf die kleine Marlene und streichelt immerzu deren Haar. Und das Kind liegt still mit geschlossenen Augen, es genießt diese Liebkosungen der Großmutter.

      „Das hast du dir auch gerne gefallen lassen, Urschel“, murmelt die Großmutter. „Dein Haar war wie lauter Gold...“

      „Marlenchens Haar ist verstaubt, Mutter. Früher, wenn ich es mit Kamille gespült habe – dann war auch ihr Haar wie reines Gold!“ Sie stellt das Bündel mit den Sachen neben die Tür. „Wir haben alles verloren, sagen wir, und doch werden wir uns mit diesem Kram einen Ast abschleppen! Was wir in der kurzen Zeit nicht alles zusammengetragen haben!“

      „Vaters Werkzeug ist schwer“, meint die Großmutter.

      „Ja, es ist auch mehr wert als Lebensmittelmarken“, sagt er.

      Für alle ist auf dem Matratzenlager kein Platz, so wird die Großmutter bei den Enkeln schlafen, der Vater und die Tochter wollen am Tisch sitzen bleiben. Das gehe schon für eine Nacht, meinte Urschel. Im Bunker hätten sie sich manche Nacht noch ganz anders behelfen müssen.

      Und als es dunkel geworden ist, sitzen Vater und Tochter einander am wackeligen Tisch gegenüber, den Kopf auf den Armen und warten auf den Schlaf.

      Vier Räume gehören zur Wohnung hinter der ehemaligen Parteizentrale‚ dazu eine Küche und ein schmales Bad. Auch ein Balkon klebt an der Außenwand, von dessen Gitter ein Teil weggeschossen worden ist. Wortlos ging Großmutter Emma, als sie die Wohnung betreten hatte, durch alle Zimmer. Vor einem Fenster ohne Scheiben blieb sie stehen, um über die Trümmer nach jenem Haus zu sehen, das sie aus tiefem Herzen verabscheute. Sie betrachtete die Gegend, als wollte sie sich einprägen, wo sie fortan zu Hause sein würde. Nachdem sie lange genug die Ruinen angestarrt hatte, ist sie noch einmal durch alle Zimmer gegangen, und dabei prüfte sie in der Küche und im Bad die Wasserhähne – ja, die Leitungen sind unbeschädigt geblieben, die Hähne funktionieren und sie hat Wasser in der Wohnung! Als ihr Mann den ersten Stuhl hereintrug, setzte sie sich darauf, zog die Enkeltochter auf den Schoß, wiegte sie und begann leise zu summen. Ihrer verwunderten Tochter rief sie zu: „Doch, doch, hier ist es gut, Urschel! Hier bleibe ich! Ich habe das Gefühl, dass es mit mir wieder bergauf gehen wird!“

      Als Erstes hat der Großvater die Wohnungstür mit einem Riegel gesichert. Ursula Andreae machte sich über den Schmutz in der Wohnung und im Flur her, und auch die beiden Jungen mussten ihr dabei helfen, wobei der kleinere, der Achim, hinderlich war und nur Spielereien und Unfug im Kopf hatte, so dass sie ihn fortschickte. Notdürftig ist als nächstes eines der vielen Fenster abgedichtet worden, dass kein Wind hereinblasen kann. „In diesem Raum werden wir schlafen“, entschied Ursula Andreae. „Und morgen vernageln wir die anderen Fenster, dass sie alle dicht sind. Hier drinnen wird es nicht so hell sein wie draußen, aber wir haben es trocken und nicht so zugig wie drüben in der Räuberhöhle!“

      Die Großmutter meinte staunend: „Man merkt, dass du lange Zeit ohne Mann bist, Urschel. Nein, wie entschieden du die Dinge angehst!“

      Die Tochter lachte darüber, spuckte in die Hände und wuchtete den Eimer mit dem zusammengekehrten Schutt auf den Balkon und schüttete alles in die Tiefe.

      An diesem ersten Tag in der neuen, in der richtigen Wohnung, wie die Kinder dazu sagen, ist es sehr spät geworden, bis sich auch die Erwachsenen hinlegen konnten. Jetzt hat jeder seine eigene Matratze und es braucht niemand mehr bei den unruhigen Kindern zu schlafen, weil der Vater in einer anderen Wohnung noch gute und feste Matratzen gefunden hat. Auch Decken hat er mitgebracht, dazu Kopfkissen und allerlei Küchengeräte und einen Waschkessel.

      „Was sollen wir damit?“ hat Großmutter Emma gefragt. „Wir haben keinen Herd, um Wasser heiß zu machen.“

      „Nein, heute haben wir noch keinen Herd, Mutter, aber morgen“, gab er zur Antwort. „Es wird alles so kommen, dass du nichts mehr vermisst!“

      Anderntags haben er und Ursula aus einer zerstörten Wohnung in der Nachbarschaft einen Herd samt Ofenrohren, Töpfen und Pfannen geholt und ihn in die Küche gestellt. „Hier kannst du wieder nach Herzenslust kochen“, sagte der Großvater zu seiner Frau und ist, nachdem der Herd angeschlossen war und er ihn geprüft hatte, gegangen, um Bretter und Teerpappe zum Abdichten der Fenster zu besorgen.

      Da noch alle Fensterrahmen vorhanden sind, ist es für Gottfried Straeten nicht schwierig, die zugesägten Bretter vor die Fenster zu nageln. Einen Teil im unteren Bereich lässt er frei, da will er eine Scheibe einsetzen, dass der Raum nicht ganz ohne Tageslicht ist. Und nach einer Woche hat er auch das bewerkstelligt. Zufrieden seine Pfeife rauchend sitzt er in der Stube und freut sich über den Sonnenschein, der durch das kleine Rechteck auf den Fußboden fällt.

      „Woher hast du nur den Tabak“, wundert sich die Tochter. „Ist deine Tabaksdose so etwas wie das Töpfchen im Märchen, aus dem ohne Ende süßer Brei quillt?“

      Der Vater zwinkert ihr listig zu. Dann, nachdem er ein paar tiefe Züge genommen hat, sagt er: „Schachern, Urschel! Tauschen!“

      „Tauschen? Was haben wir denn, um es gegen Tabak einzutauschen?“

      „Schau dich nur einmal in den Trümmern um! Da kannst du noch so manche Herrlichkeit finden! Und dann ab damit auf den Schwarzmarkt!“

      „Vater! Gibt es hier wirklich einen Schwarzmarkt!“ Fast schreit es die Tochter, als hätte der Vater ihr gestanden, dass er Ungeziefer habe. Später fragt sie: „Und was tauschst du da?“ „Von der Christbaumkugel bis zur Kaffeemühle und der verbeulten Kaffeekanne – alles! Auch Bilderrahmen, Lampenschirme und Klamotten aus dem Lumpensack. Noch nehmen sie, was du bringst.“

      „Und Lebensmittel?“

      Nein, Lebensmittel habe er keine gesehen, sagt er. Tabak sei das höchste. Meistens werden andere Dinge getauscht, Werkzeuge, Küchengeräte, halbwegs tragbare Kleidung, auch Schmuck habe er schon gesehen. Er habe gehört, dass es anderswo Schwarzmärkte von ganz anderem Format gebe! Da würde mit Schokolade und Bohnenkaffee gehandelt und sogar mit Nylons!

      „Wenn du einmal etwas Besonderes brauchst, Urschel, ich werde es dir besorgen. Fensterglas ist in der ganzen Stadt nicht zu kriegen, wahrscheinlich gibt es im ganzen Land kein Glas

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