Die Bärin Roman. Wilhelm Thöring

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Die Bärin  Roman - Wilhelm Thöring

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dann lassen wir uns mal behandeln.“ Sie schiebt den Ärmel hoch und betrachtet ihren Arm. „Noch habe ich keine Krätze, aber Vorsorge ist besser als heilen. Sagt man nicht so bei den Ärzten?“

      Noch am selben Tag ist Ursula Andreae zur „Kaffeemühle“ gelaufen und hat sich erkundigt, was zu tun sei. Nichts sei zu tun, sie müsse nur kommen. Am Nachmittag sei der Andrang groß, da wäre es besser, wenn sie als Mutter von drei Kindern mit ihrem Nachwuchs am Vormittag käme, sagte man ihr.

      Sie ist am nächsten Vormittag gegangen. Es regnete, ein kalter Ostwind blies. Vor dem Erdbunker drängten sich die Menschen, vorwiegend Mütter mit ihren Kindern. Auch ein paar Männer waren darunter und Alte. Sie standen im Windschatten und warteten darauf, in den Bunker gerufen zu werden. Wer behandelt aus der Tür kam und nach Hause durfte, der lachte nur und winkte ab und floh gleichsam aus der „Kaffeemühle“.

      Nachdem Ursula Andreae sich und die Kinder angemeldet hat, müssen sie warten. Weil es kalt ist, dürfen sie drinnen bleiben. Und es dauert nicht lange, bis sie aufgerufen werden. „Die Frauen und Mädchen nach links! Die Jungen gehen nach rechts!“, kommandiert eine abgemagerte bebrillte Frau, die immer, wenn sie jemanden aufruft, ihre Hände in die Kitteltaschen steckt. Auch der Raum ist kalt und rings an den Wänden stehen Menschen mit gesenkten Köpfen. Alle sind nackt, und viele glänzen vor Nässe und versuchen, ihre Blöße zu bedecken. Sie sind darauf bedacht, in den Bereich eines der wenigen Heizöfchen zu gelangen, um so schnell wie möglich trocken zu werden und nach draußen an die frische Luft zu kommen.

      Mitten im Raum steht eine unförmige Zinkwanne, die fast bis an den Rand mit einer trüben, milchigen Brühe gefüllt ist. Dahinein muss der zu Behandelnde steigen. Der Arzt hinter der Wanne taucht seinen dicken Quast in die Brühe und pinselt die Menschen vom Kopf bis an die Beine mit der Brühe ab, wobei die Magere ihm behilflich ist, indem sie den zu Behandelnden dreht, seine Arme weit in die Höhe zieht, damit seine Achseln bepinselt werden können, oder sie zieht zu diesem Zweck auch einmal die Gesäßbacken eines Dicken auseinander. Aber Dicke sind so gut wie nicht zu sehen.

      „Fertig! Nicht abtrocknen, sondern antrocknen lassen!“ kommandiert sie und winkt den nächsten in die Wanne. Die Jungen ließen diese Prozedur still an sich geschehen, aber das Marlenchen brüllte, dass die Ärztin, die die Frauen behandelte, ungehalten den Quast eintauchte und dem Kind damit einen Schwall Brühe über den Kopf goss. „Was brüllst du?“ giftete sie. „Dir passiert nichts. Schrei, wenn du draußen bist! Unsere Nerven werden hier schon genug strapaziert!“

      Die Magere gibt den Jungen zu verstehen, dass sie sich wieder anziehen dürfen. Draußen fragt Achim, dem vor Kälte die Zähne klappern: „Warum haben die uns angestrichen?“

      „Weil jetzt alles schöner wird in Deutschland“, sagt die Mutter. „Und da müssen auch wir schöner werden!“

      „Du, da stand ein Mann... So groß!“ Achim zeigt mit beiden Händen, wie groß das gewesen ist, was er gesehen und ihn beeindruckt hat. Die Mutter tut so, als hätte sie nichts gehört und auch nicht hingesehen, sie wuschelt nur seinen Kopf, dann drückt sie den Jungen an ihre Hüfte.

      Die Großmutter lauert hinter der kleinen Fensterscheibe auf ihre Tochter und die Kinder. Sie ist gespannt, was es mit der Vorsorge auf sich hat. Oben steht sie an der Treppe und fragt durchs hallende Treppenhaus: „Na, wie war’s? Was machen die mit den Leuten?“

      „Die Füße werden gebadet, und du wirst angestrichen!“ rufen die Jungen zurück, die über das Unangenehme schon hinweg sind. Und als die Tochter ihr später schildert, wie es dort zugeht, ist die alte Frau entsetzt: „Und selbst wenn ich die Krätze hätte – so etwas mache ich nicht mit! Mich vor anderen ausziehen? Niemals! Ja, wo sind wir denn!“, empört sie sich.

      Nachdem sie sich beruhigt und eine Nacht darüber geschlafen hat, ist sie mit ihrem Mann am anderen Tag doch zur „Kaffeemühle“ gegangen.

      Pfingsten ist vorüber, und seit etlichen Tagen ist das Wetter schön und überaus warm. Die Leute erzählen sich, dass es vorerst so bleiben werde. Der Großvater ist seit dem Morgen schon auf Tour, und die Großmutter hat einen Stuhl in das Kaninchenzimmer getragen und sich in die Sonne gesetzt. Hier sehe ich so gut wie keine Trümmer, sagte sie zur Tochter. „Und wenn ich die Augen schließe, dann ist es, als wäre ich in Thüringen auf einem Berg. So warm, so still und friedlich war es, als ich meine Großmutter in einem engen Tal in Thüringen besucht habe. Wir saßen am Abhang eines Berges, unter uns der Ort zwischen Feldern und Grünem. Da habe ich zum ersten Mal Frieden und Glück erfahren, denn ich war noch ein sehr junges Ding, was habe ich von der Natur wahrgenommen? Feld und Wiese, das bedeutete mir nur Arbeit...“, erzählt sie und schließt die Augen und lässt den Windhauch über ihre nackten Arme streichen. Im Sommer sind Fenster ohne Scheiben recht praktisch, denkt sie. Da hast du immer frische Luft und fühlst dich, als wärst du in einem herrlichen Garten. Ursula ist gegangen, neben sich hört sie die Kaninchen durch ihren Käfig hoppeln. Manchmal schlägt der junge Bock mit den Hinterbeinen auf den Boden. Anfangs hat sie das erschreckt, jetzt weiß sie, dass sein Poltern nichts zu bedeuten hat. Einmal ist die Tochter an die Tür gekommen, und als sie die Mutter immer noch wie in Betrachtung auf ihrem Stuhl sah, ist sie wieder leise gegangen. Bis zum Mittag sitzt die alte Frau im Kaninchenzimmer, und irgendwann hat sie sich die Kinderkleidung vorgenommen, die der Großvater für die Enkel aufgetrieben hat, um sie auszubessern. Die Ärmel an den Pullovern sind verschlissen, so dass Ursula Andreae sie auflösen und neu stricken wird. Die Bündchen wird sie mit anderer Wolle vervollständigen.

      Ursula hat die vernagelte Balkontür geöffnet. Licht, so viel Licht in dieser Stube! Auch sie sitzt dicht bei der Tür und lässt sich von der Sonne bescheinen. Im Kaninchenzimmer mag sie nicht lange sitzen, da stinkt es. Der Großmutter macht das nichts aus, sie sagt selbst, sie könne nicht mehr gut riechen. Jetzt ist sie müde geworden und droht einzuschlafen. Vorhin wäre sie beinahe vom Stuhl gefallen.

      Im Flur hört sie schwere Schritte. Der Vater ist es nicht, der geht trotz seines Alters leichfüßiger. Jemand klopft leise an die Tür. Für ungebetene Gäste hat der Vater eine Dachlatte hinter die Tür gestellt und geraten: „Keine Hemmungen, schlagt nur zu! Wenn ihr es nicht macht, macht es der Ganove!“

      Lautlos huscht Ursula zur Großmutter ins Kaninchenzimmer. „Da ist jemand an der Tür“, flüstert sie.

      „Wir sind nicht da“, sagt die Mutter und schließt wieder die Augen. Ohne sich zu rühren fragt sie: „Hat er Laut gegeben?“

      „Nein. Es ist ein Fremder. Ein Mann. Mutter, so geht nur ein Mann, der schweres Schuhwerk trägt.“

      Und noch einmal sagt die Mutter: „Lass ihn gehen, wir sind nicht da!“ Aber sie dreht sich doch auf ihrem Stuhl um und beobachtet die Flurtür. Und als heftiger geklopft wird, steht sie auf und bewaffnet sich mit der Dachlatte.

      „Mach auf“, sagt sie. „Aber vorsichtig. Du nimmst den Schürhaken, ich die Latte. Leise, leise.

      Ich stelle mich hinter die Tür und sollte er...“ Sie lässt die Dachlatte durch die Luft sausen. „Dann kriegt er gleich eins über seine Rübe!“

      Auf Zehenspitzen schleichen sie an die Tür, und die Mutter baut sich dahinter mit erhobener Latte auf. „Mach auf!“ flüstert sie.

      Ursula Andreae fragt, den Mund dicht am Türspalt: „Wer ist denn da?“

      „Willst du mich nicht reinlassen?“, fragt der Fremde. „Ursula, mach auf, dann wirst du’s sehen!“

      Noch ein kurzer Blick zur Mutter, die ihr zunickt, dann öffnet Ursula, den Feuerhaken hinterm Rücken, entschlossen die Tür. Vor ihr steht ein verdreckter, ein verwahrloster Soldat. Die Mutter hat ihn

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