Die Bärin Roman. Wilhelm Thöring

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Die Bärin  Roman - Wilhelm Thöring

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Großmutter schlägt vor, auch unten an der Haustür einen Riegel anzubringen, dann würde sie sich in diesem Haus sicherer fühlen.

      „Das ist kein Problem“, sagt Großvater Gottfried. „Es gibt aber andere Probleme: Was ist, wenn jemand zu uns will? Besuch wie eben? Oder wenn einer von uns nach draußen gegangen ist, und die Kinder versperren die Tür? Wir haben keine Klingel! Soll er rufen? Steine gegen die vernagelten Fenster schmeißen? Das geht nicht. Und wie ist es, wenn einer von unseren Jungen aus dem Feld heimkommt? Was hilft es, dass wir überall Nachrichten an die Wände geschrieben haben, wo sie nach uns suchen sollen, wenn wir sie aussperren?“

      Die Großmutter hat sich wieder am Herd zu schaffen gemacht. Der große Topf ist mit Wasser gefüllt, und jetzt, da es kocht, rollt sie Mehlklöße zwischen ihren Handflächen und lässt sie ins kochende Wasser gleiten, das sich augenblicklich weiß färbt.

      „Milch haben wir keine“, ruft sie über die Schulter. „Und doch gibt es heute Abend Milchsuppe. Wer kann das schon: Milchsuppe kochen ohne Milch? Das kann nur jemand, der so alt geworden ist wie ich“, sagt sie zu den Kindern. „Und der von klein auf Kriege und Hungerzeiten kennt!“

      „Ja, Mutter, die Kinder sind ohne Schaden durch diesen Krieg gekommen“, sagt Ursula. „Einen neuen darf es nicht geben. Zwei Kriege, am Anfang des Lebens und gegen Ende des Lebens, wie ihr beide es erlebt habt, das ist zu viel! Das muss doch einmal durchbrochen werden! Ich hoffe, dass alle aus dem gelernt haben, worunter wir noch lange werden leiden müssen.“

      Die Großmutter, die in ihrem Topf rührt, spricht gegen die Wand: „Ein zuchtloser König richtet Land und Leute zugrunde; wenn aber die Mächtigen klug sind, so gedeiht die Stadt.“ Und als sie das gesagt hat, hebt sie den Topf vom Herd und stellt ihn mitten auf den Tisch, wo sie eine wackelige, abgeplatzte Kachel liegen hat. Das verkürzte Tischbein ist vom Großvater repariert worden, so dass die Holzplatte, die darunter lag, weggenommen werden konnte. Die Großmutter blickt mit gefalteten Händen zu den Kindern hin, die immer noch nicht wissen, was sie von ihnen erwartet, doch dann falten sie ihre Hände und warten, dass das Tischgebet gesprochen wird.

      Ursula Andreae lehnt am Türrahmen. Die Sonne steht so tief und wirft ihr Licht in die Stube, als stünde sie direkt hinter der kleinen Fensterscheibe. Wie muss es erst sein, wenn die Fenster von oben bis unten Scheiben haben und kein Licht mehr ausgesperrt wird! Drüben im Keller gab es nur Dämmer und Staub, der das wenige, durch die Ritzen einfallende Licht in einen Schleier packte. Heute, als sie an jenem zerschossenen Haus vorbeigekommen ist, hat sie gesehen, dass nach ihr andere Leute in dieses verlassene Loch gezogen sind. Aus den Spalten und Löchern rings um die Tür drang Qualm, und da, wo ihre Kinder spielten, saßen nun andere und klopften Steine. Wahrscheinlich sind es Flüchtlinge, die von einem Ende der Welt zum anderen gezogen sind, um im Keller eines zerbombten Hauses auszuschlafen oder zu sterben.

      Schweigend und gedankenverloren sitzt die Großmutter auf ihrem niedrigen Stuhl neben dem Ofen und spaltet Feuerholz zu dünnen Spänen, mit denen der Großvater seine Pfeife anzündet. Unten auf der Straße, die nur noch ein schmaler Pfad zwischen mannshohen Schutthaufen ist, hört sie die Jungen schreien. Auf ihrem Bett liegt Marlenchen. Sie ist eingeschlafen. Wieder einmal ist sie eingeschlafen, denkt die Großmutter. Ein Kind in ihrem Alter dürfte lebhafter sein. Die Jungen waren lebhafter und verschliefen nicht den halben Tag. Aber Marlenchen... Sie wird das Kind besser im Auge behalten müssen!

      Die Ruhe in der Stube wird durch den Großvater gestört. Keuchend schleppt er eine Kiste herein und stellt sie vorsichtig auf den Boden. Die Großmutter sieht nicht auf. „Na, was schleppst du denn wieder an?“

      „Komm her und sieh.“

      Mühsam erhebt sie sich, und als der Großvater ein Brett anhebt und sie nicht gleich sehen kann, was es ist, sagt er zu ihr: „Ja, dann fass doch einmal hinein.“

      Sie holt eines von den Pfeifenspänchen und leuchtet damit in die Kiste und fährt erschreckt zurück. „Was ist das?“

      „Ein Festtagsbraten, Mutter, ein Kaninchen, das bald Junge haben wird.“

      „Ein Kaninchen!“ Enttäuscht geht die Großmutter wieder an ihren Platz zurück. „Was du uns alles ins Haus bringst! Und wo willst du das Tier lassen?“

      „In der Stube drüben, in der die Fußbodenbretter fehlen. Sie steht leer, niemand benutzt sie. Also machen wir einen Kaninchenstall daraus!“

      „Ja, ja, heute sind’s Kaninchen, morgen ist es ein Schwein“, sagt sie und wippt auf ihrem niedrigen Stuhl vor und zurück. „Wir haben selbst nichts zu beißen. Womit willst du es füttern?“

      „Mit Karnickelsalat!“ lacht der Großvater auf sie herunter. „Der wächst überall. Und Zeit, um welchen zu suchen, Mutter, die habe ich reichlich. Dabei können mir auch einmal die Jungen helfen!“

      „Kommt das auch vom Schwarzmarkt?“, fragt die Tochter.

      Der Vater, der sich auf die Kiste gesetzt hat, blickt eine Weile schweigend zu ihr auf. Dann nickt er unmerklich und sagt: „Natürlich. Woher soll es denn sonst kommen? Glaubst du, es wäre mir nachgelaufen? Oder dass ich bei meinen Touren klauen gehe?“

      „Na, meinetwegen. Du machst sowieso, was du willst. Das Fenster drüben ist noch offen, der Wind bläst herein. Aber es ist ja nur ein Karnickel, das es in dem zugigen Zimmer aushalten soll. Mich fragst du ja nicht!“ Mit abwehrenden Armbewegungen gibt Ursula dem Großvater zu verstehen, dass das Gespräch für sie beendet ist.

      Anderntags stehen in der leeren Stube mehrere Käfige für das Kaninchen und seine fünf Jungen. Und fortan ist der Großvater mit einem Sack zu sehen, in dem er Löwenzahn und Gras sammelt für seine stummen Kostgänger, wie er zu den Kaninchen sagt. In der ersten Zeit saßen Ursulas Kinder stundenlang in diesem kalten und zugigen Zimmer vor den Käfigen, bis sie hinausgejagt wurden, weil sie sich den Schnupfen holten.

      Heute ist wieder Frau Gresshage gekommen. Sie ist mit ihrem Berni bei Doktor Morgenthal gewesen, erzählt sie, und er habe ihr gesagt, es sei für ihn selbstverständlich, dem Kind zu helfen, es wenigstens von seinen Schmerzen zu befreien. Der Doktor habe Bernis Schulter einrenken müssen, erzählt sie weiter, das habe dem Jungen sehr weh getan, und er habe gebrüllt, dass es ihr eiskalt den Rücken heruntergelaufen sei, aber ihm sei geholfen worden.

      „Hat er dafür was haben wollen?“ fragt die Großmutter.

      Frau Gresshage lächelt still vor sich hin, dann sagt sie: „In solchen Zeiten, sagte der Doktor, müssen wir zusammenstehen, weil wir einander brauchen. Und dann sagte der Doktor auch noch, wir sollen alle zum Gesundheitsamt gehen und uns gegen Krätze behandeln lassen. Nein, nicht auf dem Amt in der Stadt, das liegt ja in Trümmern! Wir aus diesem Viertel müssen in die ‚Kaffeemühle’, Sie wissen doch, in den kleinen kreisrunden Erdbunker draußen am Rand des Luisenparks. Alle müssen hin, Männer und Frauen und auch die Kinder. – Sagen Sie, Frau Andreae: Wie kommt der Mensch an Krätze?“ Sie schüttelt sich. „Die hat bestimmt das fremde Volk mitgebracht, das jetzt überall die Straßen verstopft und das in jeden Winkel kriecht.“

      „Wer sich nicht richtig sauber hält, der kriegt Krätze!“ weiß die Großmutter. „Und wir Hiesigen können uns ebenso wenig sauber halten wie die, die mit ihren Handwagen unterwegs sind! Mit Läusen und Flöhen ist es nicht anders!“

      „Hören Sie auf!“ ruft Frau Gresshage und schüttelt sich wieder. Sie legt beide Arme um den Körper, als wäre ihr kalt geworden. „Bei dem Wort Krätze juckt es mich gleich am ganzen Körper. Und dann kommen Sie auch noch mit solchem Zeug: Läuse und Flöhe!“

      „Wann

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