Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen. E. K. Busch
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Читать онлайн книгу Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen - E. K. Busch страница 9
«Nein, wirklich.» Er sprach nun mit ungewohnter Ernsthaftigkeit. «Sie und ich: Das ist ein provisorisches Arrangement. Das haben wir ganz explizit miteinander ausgemacht.»
Toni rümpfte die Nase und bog dermaßen abrupt um die Ecke, dass Lorenz sie fast aus den Augen verloren hätte. «Darf ich ganz ehrlich sein?», fragte sie dann nach einem Moment der Stille und schenkte ihm einen misstrauischen Blick von der Seite.
«Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass du dich diesbezüglich zurückgehalten hättest.»
Sie lächelte unwillkürlich auf seinen Kommentar hin. Erstaunt bemerkte sie, dass dabei ihr Kiefer schmerzte, als wäre er für lange Zeit vollkommen erstarrt gewesen.«Also abgesehen davon, dass du mit Frida zusammen bist, - auch wenn ihr dafür vielleicht eine andere Bezeichnung gewählt habt, - und es ohnehin nicht meine Art ist, flüchtige Bekanntschaften mit hinauf zu nehmen: Nach Raphaels und deinem eigenen dämlichen Kommentar vorhin wäre es mir nun geradezu unmöglich. Es ist also reine Verschwendung, mich mit diesbezüglichen Andeutungen zu nerven.»
Er sah sie belustigt an. «Was ist das Problem mit seinem und meinem Kommentar gewesen? Es ist ja doch auch schmeichelhaft, dass er und ich dich als sexuell attraktiv wahrnehmen. Und das wohlgemerkt trotz deiner entgegengesetzten Bemühungen.»
«Da mangelt es mir wohl an Selbstverliebtheit. - Jedenfalls bin ich mir sicher, dass er und du selbiges auch jeder anderen gesagt hättet. Mit mir hat das alles herzlich wenig zu tun. Und soll ich mich jetzt deswegen geschmeichelt fühlen? Weil ihr mich für eure plumpe Selbstdarstellung benutzt wie irgendeine Requisite?»
Eine ganze Weile herrschte Schweigen und während Lorenz Toni von der Seite musterte, blickte diese stur auf ihren dunklen Rock hinab. Sie wollte ihm nicht ins Gesicht sehen. Der Blick seiner wachen Augen machte sie nervös. Er wirkte kein bisschen betrunken, nicht einmal müde. Offensichtlich konnte ihn die Nacht nicht einlullen und betäuben in ihrer dumpfen Dunkelheit.
Sie gingen eine Weile schweigend. Ihn schien das nicht zu stören. Sie wusste nicht, ob er verstanden hatte, was sie zu erklären versucht hatte. Es konnte ihr auch egal sein. Das Schweigen war ihr angenehmer. Sie konnte nicht sagen, dass etwas gegen seine bloße Gegenwart auszusetzen war. Vor allem verunsicherten sie seine Bemerkungen und die uneingeschränkte Aufmerksamkeit, die er ihr zuteil werden ließ, wenn sie miteinander sprachen. Seine Aufmerksamkeit machte sie nervös und ihre Nervosität beschämte sie. Nein, sein Blick beschämte sie. Er war ein gutaussehender Mann. Das war sogar ihr aufgefallen. Vielleicht war es aber auch nur dieser selbstgerechte Habitus, der einen das glauben machte. Der feste Gang und der sichere Blick. Toni ärgerte es, dass sie sich von Derlei in die Irre führen ließ.
Sie deutete Lorenz mit einem Nicken an, dass sie nun am Kornmarkt abzubiegen hätten in Richtung der Bergbahn. Sie besahen sich für einen Moment die Marienstatue, deren Haupt mit goldenen Sternen geschmückt war wie mit einem seltsamen Disco-Lametta. In ihrem Rücken das erleuchtete Schloss auf dem Berg. Der plätschernde Brunnen zu Füßen der steinernen Madonna war über den Winter lahmgelegt und lag nun leblos unter einem Holzkasten verborgen wie in einem Sarg.
Toni wartete bereits ein wenig ungeduldig, so dass sich Lorenz schließlich vom Anblick der Statue losriss und ihr die Straße hinauffolgte. Toni führte ihn um einige Ecken und man fand sich schließlich vor ihrer Haustür wieder.
«Das ist es schon», erklärte sie und sah an der düsteren Fassade hinauf.
Er folgte ihrem Blick. «Üblich gammlig», erwiderte er ein wenig belustigt. «Aber immerhin mit Charakter.»
Sie kramte ihren Schlüssel aus der Tasche. «Dann danke ich vielmals für das sichere Geleit.» Sie bemühte sich um ein Lächeln.
«Nicht der Rede wert. Es lag quasi auf dem Weg. Ich hole jetzt nur noch mein Fahrrad vorne bei der Bib ab und fahre dann auch nach Hause.»
«Hast du es noch weit?», fragte sie. Es schien ihr höflich.
Er schüttelte den Kopf. «In Neuenheim.»
Sie hatten sich bereits verabschiedet und er war schon einige Meter die Straße hinabgelaufen, als er plötzlich stehen blieb und sich noch einmal umwandte. «Eine Sache würde mich noch interessieren, Toni.»
Sie stemmte den Fuß in die aufgesperrte Tür und drehte sich erstaunt zu ihm um.
«Es ist allerdings ein wenig persönlich.» Er ließ seine Hände in die Manteltaschen gleiten.
Sie senkte den Schlüssel und sah ihn auffordernd an. Einen Moment schien er mit sich zu hadern.
«Vorhin, als du meintest, ich hätte so eine Art, die Leute zu provozieren, da klang das sehr missbilligend. Und dann hast du mich einfach stehen lassen. Das hat mich zugegebenermaßen etwas irritiert. Ich hatte bis dahin den Eindruck, dass wir beide uns gut unterhalten hätten.»
«Ich weiß nicht, ob man es wirklich als eine gute Unterhaltung bezeichnen sollte. Ich hatte eher das Gefühl, dass wir uns immer hart am Abgrund entlang bewegt haben.» Sie hob vielsagend die Augenbraue.
Er lächelte. «Eben.»
Sie schwieg einen Augenblick, erklärte dann: «Du bist schrecklich arrogant gewesen in diesem Moment. Deshalb bin ich gegangen.»
«Arrogant?», wandte er kopfschüttelnd ein. «Ich habe von uns beiden gesprochen. Dass wir uns nicht so ernst nehmen würden.»
«Nur weil du mich mit einbezogen hast, ist es nicht weniger arrogant. Du hast mich lediglich zu deiner Komplizin gemacht dadurch.»
Als er die Stirn runzelte, setzte sie ein wenig verlegen hinzu: «Außerdem lagst du auch völlig falsch damit, dass ich mich nicht ernst nehmen würde. Ich nehme mich sogar sehr ernst. Wie übrigens alles andere auch.»
«Ich glaube nicht, dass das stimmt. Zumindest scheinst du deine eigene Wahrheit durchaus in Frage zu stellen. Wie überhaupt alles. Das mag ziemlich nervtötend sein, aber immerhin machst du dir nichts vor.»
Toni lachte trocken. «Soll das ein Kompliment sein oder eine Beleidigung?»
«Eine Beobachtung», erwiderte Lorenz, «Abgesehen davon finde ich dein Verhalten noch sehr viel arroganter als meines. Denn ich besitze immerhin die Bescheidenheit, meine Arroganz einzugestehen. Du dagegen hältst dich für dermaßen überlegen, dass du einen nachsichtigen Großmut an den Tag legst. Das ist ja noch viel widerlicher.»
Toni schien etwas einwenden zu wollen, doch da führte er bereits aus: «Du betrachtest uns alle hier doch als alberne Hampelmänner. Du brauchst nicht zu glauben, dass man dir das nicht anmerken würde. Man sieht es mit einem einzigen Blick. Eben deshalb standest du allein herum auf dieser Party. Aus keinem anderen Grund.»
«Ich betrachte überhaupt niemanden als Hampelmann. Überhaupt müsste man sich dann doch Fragen, wer an den Fäden zieht und wozu dieser jemand die Männer eigentlich tanzen lassen sollte.» Sie schüttelte den Kopf und schien ärgerlich, dass sie sich überhaupt auf dieses Gespräch einließ.
«Interessanter ist doch wohl eher die Frage, warum du meinst, von diesem Spiel verschont zu bleiben.»
Sie rümpfte die Nase. «Allerhöchstens betrachte ich mich als einen defekten Hampelmann. Allerhöchstens.»