Von Gnomen und Menschen. Gisela Schaefer
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Bombur, Durin und Nidi waren nach der glücklichen Landung zuhause von ihren Familien mit großer Freude und Erleichterung empfangen worden. Natürlich schielte man zugleich verstohlen auf die mitgebrachten prallvollen Säcke, die Zimbel und Trudi transportiert hatten und von denen man annahm, dass sie voller Reiseandenken steckten. Aber obwohl sie schier barsten vor Neugierde, war eine der ersten Fragen, die verriet, dass sie ihre alte Heimat nicht vergessen hatten: „Hast du Nordmänner gesehen?“
„Nein,“ schüttelte Bombur den Kopf, „aber gehört, dass sie erobernd und plündernd durch die ganze Welt ziehen … Angst und Schrecken verbreiten sie.“
„Das wundert mich kein bisschen, denn ich kann mir denken, woher sie das Eisen für ihre Waffen haben,“ unterbrach ihn sein Vetter Nain mit funkelnden Augen.
Alle nickten zustimmend – nur zu gut erinnerten sich die älteren unter ihnen der fremden Gnome, von denen sie einst so brutal vertrieben worden waren.
„Was die Dorfbewohner hier anlangt“, fuhr Bombur fort, „sie jammern immer noch ihrem Großen Kaiser nach, Karl hieß er, obwohl er schon so lange tot ist. Unter ihm soll angeblich alles besser gewesen sein. Der Wald gehörte ihm auch, und heute seinem Nachfolger Heinrich I von Sachsen, der erst letztes Jahr zum König gekrönt wurde. Der kümmert sich aber auch nicht, weil er noch Hunderte andere hat.“
„Erzähl uns, wie ihre Häuser aussehen.“
„Sind alle aus Holz und sehen alle gleich aus … bis auf eines, das ist größer als die anderen. Der Mann, der dort mit seiner Familie lebt, heißt Gernot.“
„Ist er auch ein König oder ein Weiser Mann?“
„Weder noch … aber es würde mich nicht wundern, wenn er es noch weit bringen würde. Er ist ein wenig schlauer als die anderen, hat mehr Ziegen, Schafe, Schweine und Rinder. Er ist besser gekleidet als die anderen Männer in ihren ausgebeulten, geflickten Beinlingen und grobgewebten Hemden. Und seine Frau, die besitzt eine ganze Truhe voller Kleider … ein blaues, ein gelbes, ein grünes und ein rotes … so rot wie Blut, ich schwöre es.“
„Rot? Wie machen sie das?“
„Sie färben mit verschiedenen Erden und Pflanzen. Der rote Farbstoff jedoch ist getrockneter Schneckenschleim, den ein umherziehender Händler eintauscht gegen ein gut gemästetes Schwein, was sich im Ort nur Gernots Frau leisten kann.“
„Igitt! Schneckenschleim … müssen sie dafür die Schnecken töten?“
„Ich fürchte ja. Der Fuchs hatte Recht als er behauptete, dass sie die Tiere ausnutzen … aber das taten die Nordmänner auch.“
„Was meinst du, hat er auch Recht mit seiner Warnung, dass sie … na ja … auch für uns Verwendung hätten?“
Bombur wiegte seinen Kopf hin und her. „Das wäre denkbar,“ sagte er schließlich gedehnt, „ich habe mal eine Frau belauscht während sie Erbsen pielte. Dabei fluchte sie lautstark und wünschte sich für diese langweilige Arbeit ein paar Wichtelmänner. Der Schmied des Dorfes sagte zu seinen Kindern, sie hätten einen kleinen Mann im Ohr. Natürlich habe ich, als sie schliefen, in ihre Ohren geschaut … keine Spur von kleinen Männern. Wie dem auch sei und was immer diese geheimnisvollen kleinen Kerle darin machen, für ihre Ohren könnten sie uns nicht brauchen, weil sie ziemlich klein sind.“
Bombur, der schon längst ihre begehrlichen Blicke Richtung Reisesack bemerkt hatte, zog diesen nun zu sich heran und öffnete ihn lächelnd. „Übrigens,“ sagte er wie nebenbei, „ehe ich’s vergesse, ich hab da ein paar Sachen mitgebracht …“, und zog ein Büschel heller, lockiger Haare hervor. „Schafwolle … und seht nur, was sie daraus stricken … das legen sie sich um den Hals, wenn es kalt ist.“
Ein Schal kam zum Vorschein, so weich und anschmiegsam, dass alle Gnom-Frauen in helle Aufregung gerieten ob dieser unbekannten Technik, Fäden zu verarbeiten. Weben und zusammennähen, das kannten sie, aber stricken? Sofort bedrängten sie Bombur, ihnen jetzt gleich und auf der Stelle vorzuführen, wie man die beiden dünnen, langen Holzstäbchen einsetzen musste, um ein solch kompliziertes Maschenwerk zu zaubern.
„Hat mit Zauberei nichts zu tun, ist eine elende Plackerei, ich hoffe, ich hab’s nicht vergessen,“ brummte der und kratzte sich am Kopf – stricken war ganz und gar nicht sein Ding. Aber schließlich brachte er es fertig, mit steifen, ungeschickten Fingern eine erste Reihe Schlingen aufzunehmen und eine zweite Reihe zu stricken ohne eine Masche unterwegs zu verlieren.
„So geht das,“ sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, „jetzt die volle Nadel auf die andere Seite und von vorne. Sie können sogar Muster hineinstricken, aber das tüftelt ihr bitte selber aus.“
Damit drückte er seiner Frau das Kunstwerk in die Hand und wechselte schnell das Thema.
„Manchmal,“ sagte er, „zu besonderen Anlässen, trägt Gernots Frau Schmuck aus Silber und bunten Steinen um den Hals, an den Fingern und an den Ohren.“
„So wie die Gewandspangen, Gürtelschnallen und Bernsteinketten der Nordmänner?“
„So ähnlich, ja, aber zierlicher gearbeitet.“
Bombur fragte sich in diesem Moment, wie wohl die rundlichen Frauen seiner Sippe mit ihren niemals von einem Kamm berührten Wuschelhaaren, mit Knubbelnäschen und Riesenohrmuscheln, barfuß mit reichlich schwarzer Erde unter den Nägeln so herausgeputzt aussehen würden. Bisher war es den Gnomen noch nie in den Sinn gekommen, sich selber mit Gold und Edelsteinen zu schmücken. Aber Bomburs Ehrgeiz war entflammt, seit er diese kunstvollen Arbeiten gesehen hatte.
Nach und nach holte er auch die übrigen Mitbringsel hervor: einen Kamm, einen Spiegel, eine Holzflöte, getrocknete Bohnen und Erbsen, Karottensamen, Weizen- und Haferkörner und vieles mehr, was jedes Mal mit Ausrufen des Staunens begleitet wurde. Tränen lachten sie über die kleinen Streiche ihrer Weisen Männer, die sie aus Übermut oder auch als Strafe verübt hatten. Wie zum Beispiel Durin den Hahn vom alten Bastian verzaubert hatte, weil der kurz davorstand, ihn ordentlich zu zerhacken. Oder wie sie Unruhe in den Ställen gestiftet hatten und schlaflose Nächte durch mancherlei störende Geräusche. Als alles bis ins Kleinste erzählt war, was es nur zu erzählen gab, stellte Bomburs Urenkel und zukünftiger Nachfolger Olof die entscheidende Frage: „Und wie steht‘s damit … können wir ihnen vertrauen oder nicht?“
„Nein, können wir nicht und werden wir nicht,“ antwortete Bombur mit großer Entschiedenheit. „Die meisten von ihnen sind streitlustig, sie belügen und betrügen sich untereinander, selbst ihre Frauen und Kinder können nicht Frieden halten, und irgendwo im Land scheint immer ein Krieg zu toben. Sie besitzen Unmengen an Waffen, und sie haben so große Angst vor ihren Mitmenschen, dass sie um ihr Dorf einen Palisadenzaun errichten wollen. Wie könnten wir ihnen vertrauen, wenn sie sich untereinander nicht trauen? Nein, meine Lieben, so leid es mir tut, nicht während meiner Amtszeit!“
So oder so ähnlich äußerten sich auch Bomburs Reisegefährten Nidi und Durin gegenüber ihren Familien – und damit war die Sache vom Tisch, wie man so schön sagt.
Als hundert Jahre später, im Jahre 1020, Olof, Frido und Grendel von ihrem Ausflug zurückkamen, konnten auch sie nichts anderes sagen als: „Nein, meine Lieben, so leid es uns tut, nicht während unserer Amtszeit!“
Auch ihre Urenkel nicht, und deren und immer so fort.