Rache für Dina. Cristina Fabry

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Rache für Dina - Cristina Fabry

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der alten Schule hatte es einmal einen Lebensmittel-Laden und eine Kneipe gegeben. Nichts war davon übrig als eine durch stetigen Pächterwechsel mehr und mehr verbaute, unattraktive Immobilie. Früher hatte es an der Dorfstraße einen zweiten Bäcker und Lebensmittel-Laden gegeben, einen Fleischer, eine Wäscherei, einen Gasthof mit Saal und Fremdenzimmern, eine Postfiliale und eine Sparkasse. Fußläufig erreichbar war da noch ein Lebensmittelgeschäft, noch eine Sparkasse, zwei Auto- und Fahrradwerkstätten inklusive Tankstelle, ein Bekleidungsgeschäft und ein Gardinengeschäft. Es gab zwei weitere Kneipen im Dorf und weiter entfernt noch eine Bäckerei, die tatsächlich noch existierte. Das war alles, was vom Einzelhandel übrig geblieben war, wie in den meisten Dörfern dieser Art.

      Etwa 150 Meter von der Schule entfernt stand auf einem kleinen Hügel, dem ehemaligen Friedhof, die historische Kapelle: klein, weiß und in ihrer bescheidenen Schlichtheit wunderschön. Nun dauerte es nur noch eine Minute und Katharina war zu Hause. Drinnen warteten auf dem Schreibtisch jede Menge unerledigter Arbeitsaufträge: Die Abrechnung der letzten Adonight, die bis heute Abend fertig sein musste, Vorbereitung der Jungschar und des Jugendkreises in Rothenuffeln am Dienstag, etliche Telefonate, E-Mails und sie musste noch ein Protokoll schreiben, das sie schon seit zehn Tagen vor sich her schob.

      Als sie ihr Arbeitszimmer betrat, war ihre Motivation vollends im Keller. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Papiere, die bearbeitet, sortiert oder entsorgt werden mussten. Sie kam einfach nicht hinterher. „Kathi, lerne Prioritäten setzen!“, sagte sie sich und verzog sich mit den Unterlagen für die dringend zu erledigende Abrechnung an den freundlicheren Platz am Küchentisch. Sie kochte sich einen Tee und stellte ein paar Kekse dazu, dann erledigte sie das ungeliebte Verwaltungspensum und steckte das Ergebnis fein säuberlich in die Tasche. Die inhaltliche Arbeit, die ihr Spaß machte und leicht von der Hand ging, sparte sie sich als Bonbon auf; zuerst erledigte sie unangenehme Telefongespräche und bearbeitete ihr E-Mail-Fach.

      Schließlich blieben ihr noch zwei-ein-halb Stunden für die geliebte kreative Seite ihres Jobs, ein Abendessen und etwas Körperpflege, bevor sie zu den Religionspsychotikern aufbrechen musste. Das Leben war ein Hamsterrad: Je mehr man sich anstrengte, umso mehr wurde von einem verlangt. Bei dem, der es nicht schaffte, sein Arbeitspensum auf einem exakt kontinuierlichen Niveau zu halten, schaukelte sich Anspruch und erbrachte Leistung immer mehr auf, bis man schließlich die Reißleine zog oder kollabierte.

      Das Essen erledigte Katharina nebenbei, bei der Körperpflege beschränkte sie sich auf Haare bürsten und Hände waschen, dann brach sie auf ins düstere Hille.

      Das Gemeindehaus war bereits hell erleuchtet, als sie auf den Parkplatz einbog. „Diese superpünktlichen Ordnungsbürger!“, brummelte sie übellaunig vor sich hin. Sie musste sich sehr konzentrieren, um bis zum Betreten des Gemeindehauses ein freundliches Gesicht aufzusetzen. Wenn man ihr ihre Antipathie anmerkte, war das hochgradig unprofessionell. Außerdem war ihre innere Schimpftirade ungerechtfertigt. Hille war eine vielfältige, lebendige Gemeinde und es waren noch andere Gruppen im Haus als der Vorbereitungskreis; natürlich wollte niemand im Dunkeln sitzen. Allerdings saßen schon alle in fröhlicher Runde beisammen, als sie den Mitarbeiterraum betrat. Ulrich Niemann, ein altgedienter Bilderbuch-CVJMer stellte die Thermoskannen mit Früchtetee auf den Tisch. Sein blitzsauberes, kariertes Hemd hatte am Ärmel eine scharfe Bügelfalte und auch sonst sah er immer so aus, als käme er gerade aus der Badewanne, in der er sich gründlich geschrubbt hatte. Er war gut darin, die Logistik einer Veranstaltung zu organisieren und gab außerdem acht, dass die jungen Leute theologisch nicht auf die schiefe Bahn gerieten. Für Katharina war er die ultimative Spaßbremse und auch alle unkonventionellen Vorstöße bremste er aus. Allerdings saßen in der illustren Runde schon ausreichend Nachfolge-Ullis, die darauf brannten, seinen Platz einzunehmen, so dass es keinen Zweck gehabt hätte, ihm das gleiche Schicksal zu bescheren wie dem Superintendenten.

      Als alle kalten oder warmen, aber zumindest feuchten Hände geschüttelt waren, legte Katharina ihre Jacke ab und setzte sich, Die dicke Antje las die Tageslosung und dann wurde Katharina gefragt, ob die Abrechnung der letzten Adonight schon fertig sei. Zufrieden mit sich selbst zog Katharina die Ausdrucke aus der Tasche und legte sie den Anwesenden vor. Der Tagesordnungspunkt war schnell erledigt und die inhaltliche Vorbereitung begann. Es hatte bereits drei Treffen gegeben und die Veranstaltung stand am kommenden Samstag an. Normalerweise wurden Externe mit der Predigt beauftragt, aber diesmal war man an Katharina heran getreten. Bisher hatte sie sich mit klugen Argumenten immer erfolgreich davor drücken können, aber jetzt war sie dran. Sie hatte an sich durchaus Lust, sich mit einem Thema und einem dazu passenden biblischen Text intensiv auseinanderzusetzen. Sie konnte ihre Gedanken strukturiert und sprachlich ausgefeilt wiedergeben und besaß auch eine gesunde Portion Eitelkeit, die ihr Lust machte, die Ergebnisse einer breiten Zuhörerschaft zu präsentieren. Aber das Planungsteam der Adonight lebte in einer theologisch äußerst begrenzten Welt. Wenn sie etwas Ehrliches verfasste, würde bei ihnen bei jedem zweiten Satz die Schnappatmung einsetzen. Über duckmäuserische, anbiedernde, sich zu gar nichts bekennenden Allerweltspredigten, die altbekannte Elemente einfach neu zusammensetzen regte sie sich oft genug viel zu sehr auf, als dass sie einen solchen Kompromiss abliefern könnte. Und eine evangelikale Jesus-Lobhudelei zu verfassen, war gegen ihre Natur. Sie musste heute Abend herausfinden, welche von den Gedanken, die dem Vorbereitungsteam wichtig waren, sie problemlos unterschreiben konnte und diese zu den Säulen ihrer Predigt verarbeiten.

      „Unser Bürgerrecht ist im Himmel“ lautete die Überschrift des Gottesdienstes, ein Satz aus dem Brief des Paulus an die Philipper.

      „ich finde ja, in diesem Satz steckt ganz viel.“, lispelte die dicke Antje und sagte dann erst einmal gar nichts mehr. Katharina hätte sie am liebsten geschüttelt, fragte sie aber statt dessen: „Was denn zum Beispiel?“ und es gelang ihr nur unzureichend, den ironischen Ton in ihrer Frage zu unterlassen. Antje stand gedanklich noch im Leerlauf und musste erst einmal den ersten Gang einlegen. Dazu wechselte sie die Sitzhaltung und begann, vorsichtig zu formulieren: „Wir bestehen ja oft auf unserem Recht.“ - Pause - „Ich meine sowohl im Kleinen als auch im Großen.“ Sie legte erneut eine Pause ein und setzte sich noch einmal zurecht.

      „Aha“, dachte Katharina, „zweiter Gang. Sie kommt langsam in Fahrt.“

      Antje begann nun wieder zu sprechen und legte dabei kontinuierlich an Tempo zu: „Natürlich bestehen wir auf unserem Recht auf körperliche – äh – also dass man nicht verletzt wird und auf unser Recht auf Eigentum, also die großen Themen, aber eben auch auf Bedienung, wenn wir an der Kuchentheke als nächste dran sind. Immer fordern wir unser Recht ein, als wenn uns das irgend etwas nützen würde, dabei ist Jesus der Einzige, der uns etwas nützt. Wenn wir ihm folgen, dann haben wir Anspruch auf einen Platz im Himmel und das ist doch am Ende das Einzige, was zählt.“

      Katharina schrie innerlich auf, machte sich aber gewissenhaft Notizen.

      „Also, man muss den Text aber auch in seinem Zusammenhang lesen.“, erklärte Ulrich so souverän wie jedes Mal. „Ich finde, man muss direkt zu Beginn des dritten Kapitels anfangen und dann ganz bis zum Ende lesen, sonst versteht man das ja nicht. Die erste Überschrift lautet ja 'Warnung vor Rückfall in die Gesetzesgerechtigkeit' und da beschreibt Paulus ja, wie er sich als rechtschaffener Bürger immer streng an das Gesetz gehalten hat und sich dabei trotzdem gegen Jesus versündigt hat. Im zweiten Teil unter der Überschrift 'das Ziel' sagt er, dass er das alles hinter sich lassen will. Er sagt, dass alles Irdische unwichtig und verderbt ist, dass man sich darum mit den ausschließlich irdisch Gesinnten nicht einlassen soll und dass am Ende nur das Ziel zählt, ein Leben im Einklang mit Jesus gelebt zu haben.“

      Katharina machte sich weiterhin eifrig Notizen, um sich selbst zu bremsen. Sie hasste diese paulinische Leib- und Lustfeindlichkeit und dieses Sich-Abgrenzen von den nicht so religiösen Leuten. Sie empfand das als menschenverachtend und unchristlich. Doch ein paar gute Gedanken – auf die sie wahrscheinlich auch selbst gekommen wäre – würde sie in ihrer Predigt verwerten können. Sie würde ihnen

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