Rache für Dina. Cristina Fabry
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Es war 12.45 Uhr, als sie frisch geduscht und angekleidet ihre Verabredung begrüßte. Sie deuteten eine Umarmung an, und Karin Seliger entschuldigte sich: „Du, ich habe ganz schlecht geschlafen und dann heute morgen wohl den Wecker nicht gehört. Du hast mich mit deinem Klingeln aus einem Alptraum gerettet.“
„Was denn für ein Alptraum?“
„Irgendein Höllenwesen ist über mich hergefallen, ich will da lieber gar nicht mehr dran denken.“
„Kannst du denn jetzt überhaupt Mittag essen oder willst du lieber nicht erst einmal frühstücken?“, erkundigte sich Paul-Gerhard.
„Ach, lass uns doch zu Enzo gehen. Da kannst du Mittag essen und ich bestelle Latte Macchiato und ein Brötchen. Oder hattest du schon was anderes geplant?“
„Nein, aber wir können auch hier bleiben und Pizza bestellen und ich hole dir gerade ein paar Brötchen vom Bäcker um die Ecke.“
„In dieser Siff-Bude willst du bleiben?“, fragte Karin ungläubig.
Paul-Gerhard sah sich um: auf dem Couchtisch stapelte sich benutztes Geschirr, Obstreste auf denen sich Drosophilas tummelten, Plastikmüll und sogar ein fleckiges T-Shirt. Überall auf den Möbeln und dem Fußboden lag schmutzige Wäsche herum, zerlesene Zeitungen, Blisterstreifen und Medikamentenschachteln, Notizzettel und halb volle Mineralwasser-Flaschen. Dabei war das Zimmer klein und wirkte trotz der spärlichen Möblierung voll gestopft. Doch Paul-Gerhard verzog keine Miene und sagte: „Ganz wie du willst. Wenn es dich zu sehr anstrengt, auszugehen, können wir gerne hier bleiben. Wenn du mal wieder raus kommen willst, können wir zu Enzo gehen oder wohin auch immer.“
„Dann zu Enzo“, sagte Karin, schlüpfte in ihre Stiefeletten, zog eine alte Outdoor-Jacke aus besseren Zeiten über, ertastete ihr Portemonnaie und sagte: „Ich wäre dann soweit.“
Paul-Gerhard erhob sich, und sie verließen die Wohnung und fuhren in die Innenstadt zu ihrem Lieblingsrestaurant.
Enzo betrieb ein nettes, kleines, italienisches Restaurant in der Mindener Altstadt. Er war außerdem in die Marktlücke Café-Bar gesprungen und musste nun eine Menge Personal beschäftigen, weil Öffnungszeiten von 8.00 Uhr Morgens bis Mitternacht von einem Familienunternehmen allein nicht aufrecht erhalten werden konnten. Hier trafen sich zwischen Fachwerk, nur teilweise verputztem Mauerwerk und dezenter mediterraner Dekoration diejenigen, die sich für die Mindener Bohème hielten: malende Kunstlehrer, belesene Allgemeinmediziner, Italien-Reisende mit Theater-Abo und Opernkenntnissen, schauspielernde Sozialarbeiter und selbsternannte Weltmusiker. Hin und wieder verliefen sich auch ein paar ganz normale Leute hierher, lobten die gute Küche und kamen wieder. Paul-Gerhard und Karin kamen auch gern hier her, nicht nur wegen der besonders guten Speisekarte und des angenehmen Ambientes, sondern vor allem wegen der Gelegenheit zu ausgedehnten Charakterstudien. Hier ließen sich vortrefflich die absonderlichsten Gestalten beobachten und belauschen, wähnten sie sich doch im geschützten Raum unter Ihresgleichen. Leider gab es auch ein paar unangenehme Theologen-Kollegen, die hier gelegentlich einkehrten, die in der Regel von ihren gleichermaßen kulturbeflissenen wie geltungssüchtigen Frauen eingeführt worden waren. Wenn Paul-Gerhard oder Karin sie schon von draußen sahen, verzichteten sie lieber auf ein Essen bei Enzo – so schlecht sortiert war die Mindener Gastronomie keineswegs.
Heute Mittag hatten sie Glück: Nur ein paar ihre Intellektualität zur Schau stellende Zeitungsleser schlürften ihre Kaffeevariationen, niemand, den sie kannten und niemand, der lästige Reden schwang. Paul-Gerhard bestellte Pasta mit frischen und getrockneten Tomaten und eine große Flasche Wasser, Karin einen Latte Macchiato und ein Tomate-Mozzarella-Brötchen.
„Hast du deine Medikamente wieder genommen?“, fragte Paul-Gerhard.
„Noch nicht.“, gab Karin zu. Ich wollte gestern Abend damit anfangen, aber dann bin ich darüber eingeschlafen. Nachts bin ich zwar mehrfach aufgewacht, aber an die Tabletten hab' ich dabei nicht gedacht. Und jetzt bist du ja da.“ Sie lächelte.
„Hattest du schon Gelegenheit, darüber nachzudenken, was du der Polizei erzählen willst, falls sie dich befragen?“, erkundigte sich Paul-Gerhard.
„Nein, bis jetzt noch nicht.“, antwortete Karin. „Was, glaubst du, werden die mich fragen?“
„Wie gut du Norbert Volkmann kanntest, wie sich die Zusammenarbeit mit ihm gestaltete, warum du arbeitslos bist und nicht mehr in Hahlen arbeitest, ob Volkmann dabei seine Finger im Spiel hatte, ob dir jemand einfällt, der Volkmann ans Leder wollte, ob ihr noch Kontakt hattet und so weiter.“, erklärte Paul-Gerhard.
Karin fuhr sich durch die feuchten Haare. „Das ist jetzt aber ein bisschen viel auf einmal. Aber es bringt doch sowieso nichts, der Polizei etwas vorzumachen. Gegen mich lag eine Anzeige vor, Volkmann ist als Zeuge aufgetreten, auch wenn die das aktuell nicht auf dem Schirm haben, das kriegen die doch raus.“
Paul-Gerhard nickte. Dann sagte er: „Ich meine auch gar nicht, dass du der Polizei irgendwelche Lügen auftischen sollst, damit machst du dich erst recht verdächtig. Aber du solltest dich auch nicht zum Plaudern verführen lassen oder irgendeiner scheinbar sensiblen Polizistin dein Herz ausschütten. Du solltest ihnen nicht mehr Fakten liefern, als sie sowieso schon haben: Der kleine Nils hat dir nachgestellt, es gab Gerede, Volkmann ist in blinden Aktionismus verfallen, glaubte, das sei seine Pflicht, hat sich alles als großes Missverständnis heraus gestellt, Volkmann hat sich entschuldigt, aber der Vertrauensbruch von Seiten vieler Kollegen und die Hexenjagd in der Gemeinde machten es dir unmöglich, an deinen alten Arbeitsplatz zurück zu kehren. Das alles hat dich so sehr erschüttert, dass du es bis heute nicht schaffst, wieder zu arbeiten, du befindest dich aber in psychiatrischer Behandlung und du hast eine gute Prognose. Das reicht und das ist alles wahr.“
„Ja alles, bis auf die Entschuldigung von Volkmann und die gute Prognose.“
„Ich würde trotzdem behaupten, dass Volkmann sich in einem Vieraugen-Gespräch bei dir entschuldigt hat. Das nimmt den Dampf aus der Geschichte. Und niemand kann beweisen, dass es nicht stimmt. Volkmann kann es nicht mehr abstreiten.“
„Ich weiß nicht.“, zweifelte Karin. „Ich kann wirklich nicht gut lügen, vor allem im Moment nicht, dafür bin ich einfach nicht tough genug. Es reicht doch, wenn ich möglichst wenig von der Geschichte erzähle und es so darstelle, dass Volkmann aus meiner Sicht nur der Vollstrecker, nicht aber der Täter war. Kein Judas, sondern schlimmstenfalls ein Pilatus.“
„Ja, vielleicht hast du recht.“, räumte Paul-Gerhard ein. „Aber sag mal, wie kommst du eigentlich darauf, dass du keine gute Prognose hast?“
Das Essen und die Getränke wurden gebracht. Karin nahm einen Schluck von ihrem Latte Macchiato und forderte Paul-Gerhard auf: „Jetzt iss, Kollege, bevor dein Essen kalt wird. Ich sehe doch deinen Magen förmlich auf den Knien hängen.“
Er kam ihrer Aufforderung lächelnd nach und sie erklärte: „Am Anfang haben die Psychopharmaka meinen Gesamtzustand scheinbar rasant verbessert. Ich konnte wieder einigermaßen klar denken, musste nicht bei jeder Gelegenheit losheulen und bekam wieder Boden unter den Füßen. Dann hatte ich erst einmal genug damit zu tun, mir eine Wohnung zu suchen, Arbeitslosengeld zu beantragen, den Umzug zu organisieren, das Zeug, das ich nicht mitnehmen konnte, bei meinen Eltern zu bunkern und mich einzurichten in meiner neuen Wohnung und in meiner veränderten Lebenssituation. Ich hatte das Gefühl, dass