Rache für Dina. Cristina Fabry

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Rache für Dina - Cristina Fabry

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vollständiges Adressbuch?“

      Sie nickte und stand schon auf, um es zu holen.

      „Warten Sie einen Augenblick. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mir gern das Arbeitszimmer Ihres Mannes ansehen. Ich muss mir ein Bild von ihm machen.“

      „Kein Problem.“, sagte sie, und führte Keller in Volkmanns Arbeitszimmer.

      Für einen Mann in einer derart mächtigen Position wirkte das Zimmer sehr nüchtern und wenig beeindruckend. Nichts war hier mit Bedacht ausgewählt, nirgends entdeckte man persönliche Akzente. Gegenüber der Tür befand sich ein großes Fenster, an dem der Schreibtisch stand, so platziert, dass das Tageslicht von der Seite auf den Arbeitsplatz fiel. Der Schreibtisch war schlicht, aus heller Eiche, darauf stand eine praktische Lampe, eine Schreibtischunterlage und die üblichen Utensilien. Ein paar Ablagefächer waren auf einer Seite gestapelt, darin lagen Einladungen zu Ausschuss-Sitzungen, Protokolle und so weiter. Er bat Frau Volkmann, die Papiere mitnehmen zu dürfen, sie bekäme sie umgehend zurück.

      An Volkmanns Arbeitsplatz stand ein solider Schreibtischstuhl, ihm gegenüber zwei weiße Leder-Schwingstühle. An den Wänden rechts und links befanden sich einfache Regale aus weiß beschichteten Spanplattenböden, die mit Metallwinkeln an der Wand befestigt waren. Links vorn im Zimmer stand ein mittelgroßer, runder Tisch, bedeckt mit einer hellen, naturfarbenen Tischdecke, passend zum Teppichboden. Um den Tisch herum standen ebenfalls vier von den weißen Schwingstühlen. Die Fensterbank war mit einem üppig belaubten Ficus Benjamini bestückt, an der Innenseite der Tür war ein großflächiger Terminplaner angebracht und links neben der Tür schmückte die Radierung einer Kirche die Wand. Keller betrachtete sie. Frau Volkmann trat neben ihn: „Das war ein Geschenk, das unsere Tochter ihrem Vater zum 50. Geburtstag gemacht hat. Es stellt die Hartumer Kirche dar. Miriam war damals fünfzehn und schon so begabt.“

      Keller verstand nichts von Kunst, aber das Bild sah in jedem Fall sehr professionell aus. Er nickte anerkennend.

      „Tja, Frau Volkmann, das war's fürs Erste. Ich werde sicher noch häufiger auf Sie zukommen. Sie werden vermutlich im Tagesverlauf noch gebeten, in die Gerichtsmedizin zu kommen, um ihren Mann zu identifizieren. Wenn Ihnen aber vorher etwas einfällt, können Sie mich jederzeit anrufen.“ Er reichte ihr seine Karte. „Kann ich irgend etwas für Sie tun?“

      „Können Sie mir sagen, wie mein Mann gestorben ist?“

      „Das darf ich leider noch nicht.“, bedauerte Keller, „aber es ist in jedem Fall sehr schnell gegangen.“

      Ihre Schultern zitterten schon wieder.

      „Soll ich Ihnen jemanden schicken, damit Sie nicht allein sind?“

      „Nein.“, erwiderte Frau Volkmann. Ich muss das jetzt erst einmal verarbeiten, da bin ich lieber allein. Aber vielen Dank für Ihre Anteilnahme.“

      „Nicht der Rede wert.“, brummelte Keller und sagte dann: „Ich finde allein raus. Auf Wiedersehen.“

      „Kerkenbrock, du Drückebergerin!“, zischte er, als er wieder draußen war. Er bahnte sich durch den matschigen Schnee einen Weg zu seinem Fahrzeug und fuhr zum Mittagessen in einen Schnellimbiss.

      6. Kreiskirchenamt Minden

      Jens Carstensen stand vor der Bürotür der Mitarbeitervertretung und suchte in seinem rasselnden Schlüsselbund nach der passenden Nummer. Das erwies sich immer als äußerst schwierig, weil er allein über sechs Schlüssel für Räumlichkeiten des Kreiskirchenamtes verfügte, die alle identisch aussahen und sich nur durch die Endziffer der Schlüsselnummer unterschieden. Die handelsüblichen Unterscheidungshilfen kamen für ihn nicht infrage, weil sie das voluminöse Metallarrangement noch monströser erscheinen lassen hätten. Schließlich öffnete er die Tür, hängte seine Jacke an die Garderobe und blätterte die Post durch, die auf dem Schreibtisch lag. Er konnte überhaupt nicht einschätzen, welchen Verlauf das für gleich geplante Gespräch nehmen würde. Er hatte mit vielem gerechnet, nur nicht mit dem gewaltsamen Tod des Superintendenten. Er ging in die Teeküche, um Heißgetränke für die Sitzung zu bereiten, stellte Tassen, Löffel, Milch, Zucker und ein paar Plätzchen auf ein Tablett und wartete gedankenverloren auf das Klicken des Kippschalters am Wasserkocher. Er hatte sich immer gewünscht, dass Norbert Volkmann abgesetzt würde, aber jetzt war natürlich die Frage, wer danach kam. Sebastian Reimler hatte aufgrund seines Postens als Assessor nun die einmalige Chance, sich als vorläufiger Superintendent zu beweisen und sich schließlich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wählen zu lassen. Ohne diese Fügung hätte er kaum eine Chance; niemand traute ihm dieses Amt zu. Und so wie Jens Carstensen ihn einschätzte, wäre er kein Segen für den Kirchenkreis, schon gar nicht für die Jugendarbeit.

      „Hallo Jens.“, eine gutaussehende Frau in den Vierzigern betrat die Teeküche. Jens Carstensen drehte sich um. „Ach Hallo, Regina. Du bist aber überpünktlich.“

      Regina Heuer grinste. „Ich musste noch ein paar Spezialanschaffungen fürs Osterbasteln tätigen, damit die lieben Kleinen auch die Herzen ihrer Eltern erfreuen können. Ging schneller, als ich dachte.“

      „Hast du eigentlich schon gehört, was hier heute Morgen passiert ist?“, fragte Jens Carstensen.

      „Nein. Wieso? Gab's Bombenalarm?“

      „Nein. Volkmann ist ermordet worden.“

      „Was?“, rief Regina Heuer. Dann stand sie einfach nur da mit großen Augen und offenem Mund. Als sie sich wieder gesammelt hatte, fragte sie: „Und? Weiß man schon wer's war?“

      „Nein.“, erwiderte Jens Carstensen, „Er ist ganz stickum in seinem Büro erstochen worden, und keiner hat etwas gemerkt.“

      „Wie schrecklich.“, sagte Regina Heuer.

      „Im Prinzip schon.“, bemerkte Jens Carstensen. „Aber es eröffnen sich jetzt natürlich ganz neue Perspektiven.“

      „Bist du sicher?“, gab Regina zu bedenken. „Reimler sitzt doch sicher schon in den Startlöchern. Am Ende wird’s noch schlimmer, als es sowieso schon war.“

      „Das habe ich allerdings auch schon gedacht.“, gab Jens zu und füllte das kochend heiße Wasser in eine Thermoskanne. Regina stellte eine Box mit Teebeuteln aufs Tablett und sagte: „Den Kaffee können wir ja später holen, die Maschine braucht sicher noch ein paar Stunden.“

      Jens trug das Tablett und Regina öffnete ihm die Türen. Im MAV-Zimmer saßen schon drei Kollegen: Der Küster der Mariengemeinde, Siegfried Wischmeier, die Gemeindebüro-Leiterin Ursula Koch aus Dankersen

      und der Kantor Friedrich Ortmann, ebenfalls Mariengemeinde. Regina Heuer leitete den Arche-Noah-Kindergarten in der Mindener Innenstadt, und um die Angelegenheiten zweier ihrer Mitarbeiterinnen ging es heute Nachmittag.

      „Der Kaffee braucht noch ein bisschen.“, sagte Jens Carstensen. „Über den aktuellsten Vorfall seid ihr alle informiert?“

      „Wenn du das tragische Dahinscheiden unseres geliebten Superintendenten meinst, ja, wir wissen alle Bescheid.“, erwiderte Friedrich Ortmann.

      „Die Frage ist, ob wir unter diesen Umständen überhaupt noch etwas zu besprechen haben.“, gab Ursula Koch zu bedenken.

      „Naja, diese widerwärtige Personalpolitik geht sicher nicht allein auf Volkmanns Konto.“, widersprach Regina Heuer.

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