Blutendes Silber. Peter Raupach

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Blutendes Silber - Peter Raupach

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Gesicht geschrien: „Ich bin auch eine Deutsche und ich will leben!“ Er versuchte die Tür vor ihr zu schließen. Was sind drei Minuten hier in meiner Heimat?, dachte Ruth. In der Manteltasche fühlte sie die gedruckte Postkarte. Sie hatte sich in wenigen Stunden in der Nähe des Neustädter Bahnhofes einzufinden. Nun holen sie Dich doch noch war ihr Gedanke…mehr nicht. Das bisher noch flackernde Licht ging aus. Zwei drei Kerzen und ein Feuerzeug flammten auf. Ein Junge in HJ-Uniform irrte weinend durch den Gang. Zwischen seinem lauten Schluchzen hörte Ruth ihn, trotz des Wummerns der Einschläge der Bomben, flüstern: „Mama, Mama, hoffentlich schafft`s unser Führer.“ Als er wieder bei Ruth vorbei kam, griff sie seine Hand und zog ihn zu sich. Im selben Augenblick stürzte die Bunkerdecke ein. Instinktiv stürzte sich Ruth schützend über den Jungen. Sie befanden sich augenblicklich fast im Freien. Es gab keinen Bunker mehr. Das Schreien der anderen war erloschen. Nur Ruth und der Junge lebten noch. Ein glutheißer Wind verbrannte sofort Ruths Gesicht. Ein pfeifendes Heulen war jetzt allgegenwärtig. Es regnete Funken. Der Hitlerjunge schrie auf vor Schmerzen und klammerte sich an Ruth. Trotz der Schmerzen dachte Ruth für einen Bruchteil für Sekunden: Eine alte Jüdin beschützt die Brut Hitlers. Sofort war die Vernunft wieder da. „He, bist Du schon ein Mann oder noch ein Kind?“, Ruth rüttelte den jungen Mann. Der blickte erschrocken hoch und stammelte während er nickte: „Ja, ja natürlich…und danke!“ „Also pass auf! Wir gehen jetzt zum Hauptbahnhof, Züge werden bestimmt keine mehr fahren. Deshalb gehen wir die Schienen entlang. Wir müssen raus aus Dresden. Nur raus hier! Am Tag kommt bestimmt noch ein Angriff.“ Ohne auf ein Einverständnis zu warten ging Ruth los. Sie kroch auf allen Vieren die Schräge nach oben. Der Hitlerjunge folgte ihr. „Hallo, entschuldigen Sie bitte, aber wie heißen Sie eigentlich?“, fragte der Junge nun hinter ihr hörbar schwer atmend. „Ich heiße Ruth Silberbaum, hast Du damit ein Problem?“ Die Antwort war Schweigen. Dann als sie beide fast oben waren, fragte Ruth noch einmal nach hinten: „Hast Du ein Problem damit?“ „Ich heiße Siegfried Schmidtke. Entschuldigen Sie, aber Sie sind Jüdin. Wir werden nicht weit kommen. Am Bahnhof sind die Kameraden von der SS. Die werden mich sicher erschießen, wenn ich Ihnen helfe.“ Nach einer Weile hörte Ruth ihn viel, viel leiser sagen: „Ist das nicht schlimm? Die eigenen Kameraden…“. Sie meinte auch noch etwas zu hören wie, dass dies bestimmt der Führer alles nicht wusste. Der Rest ging im Weinen unter und Ruth konnte nichts weiter verstehen. Für Ruth war dieses Geschwätz alles im Moment nicht mehr wichtig. Oben angekommen, empfing sie ein Sturm aus Feuer. Von den Dächern der stehen gebliebenen Häuser tropfte eine brennende Flüssigkeit. Schreiende Menschen, die wie Fackeln brannten, rannten an Ruth und dem Jungen vorüber. Beide blieben wie angewurzelt stehen. Menschen brachen vor ihnen zusammen. Der Feuersturm nahm zu. Sie hielten sich beide aneinander fest. Sprechen war nicht mehr möglich. Ruth konnte sich kaum noch auf den Füßen halten. Dann gingen sie beide in die Knie und krochen auf allen Vieren die Blumenstraße entlang bis zur Vogelwiese. Um sie herum war das totale Chaos. Irgendwann sah Ruth aus dem Augenwinkel eine Feuerwehruniform. Der Mann schien kurz zu zögern, dann legte er mit einem bittenden Blick Ruth einen Säugling in den Arm. Ruth beugte sich schützend über das Kind und hielt es ganz fest. Immer und immer wieder wurde sie von hinten von Leuten an -und weggestoßen. Sie rannten schreiend, halb nackt Richtung Elbe. Vorsichtig legte sie ihre Wange an das Gesicht des Winzlings. Sie spürte die Kälte. Mechanisch legte sie das tote Kind vorsichtig auf eine Eingangstreppe, die kein Haus mehr hatte. Der Asphalt hatte sich nun auch hier zu verflüssigen begonnen. Sie stand schon zu lange auf derselben Stelle. Beim ersten Schritt wäre fast ein Schuh stecken geblieben. Nur nicht hier ausrutschen, war ihr Gedanke, als sie anfing zu rennen. Alle wollten zur Elbe! Ruth musste zum Hauptbahnhof. Einen Moment zweifelte sie an sich selbst. Was will ich denn beim Hauptbahnhof?, dachte sie. Sie wusste es plötzlich nicht mehr. Aber alle rannten hier irgendwo hin und waren doch Gefangene dieses Wahnsinns. Unterwegs hatte sie den Jungen aus den Augen verloren. Nur zum Hauptbahnhof, war ihr einziger Gedanke. Sie konnte keine Straßen mehr erkennen. Das Wummern hatte schon lange aufgehört. Auch die Erde schien nicht mehr zu beben. Nur ein hässliches Klatschen der Brandbomben verfolgte sie in ihren völlig überreizten Sinnen. Sie kannte nur die Richtung. Laufen, hinfallen, kriechen, aufstehen, laufen…nur weiter. Nicht zur Seite schauen. Nach einer ihr unendlich lang erscheinenden Zeit stieß sie irgendwann auf eine hohe Böschung. Es war ein Bahndamm. Völlig orientierungslos geworden, kroch sie den Hang hoch. Das erste was sie trotz des unsteten Lichtscheins der Brände aus dem Augenwinkel wahrnahm, war ein Zug. Sie konnte die Schienen schon fast berühren, ließ sich aber, vor Schreck starr, instinktiv wieder langsam nach unten gleiten. Was sie noch gesehen hatte, waren etwa acht oder zehn Soldaten. Es konnte nur Waffen-SS sein. Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie den glänzenden Umhang eines Scharführers oder etwas Ähnlichem erkannt. Außer Verwundeten, gab es hier kein Militär mehr. Der Zug kroch näher und die Soldaten rannten vor dem Zug und neben den Gleisen her. Sie versuchten offensichtlich, den Zug aus der brennenden Stadt in Richtung Prag zu bringen. Einige räumten Trümmerteile und Steine von den Schienen. Ruth drückte sich tiefer in den mit kleinen Büschen bewachsenen Schotter. Trotz des eiskalten Bodens lag kein Schnee mehr hier. Die Lok rollte fast lautlos vorbei. Die Soldaten schwiegen. Da rief der Unteroffizier mit dem Umhang: „Werner, zieh den Rest der Plane drüber.“ Ruth schaute kurz hoch. Sie sah einen Güterwagen vorbeifahren, dessen Seitentür offen stand. Es saßen zwei Soldaten in der Öffnung. Hinter ihnen konnte sie einen riesigen Sarg erkennen. Er glänzte unheilvoll im Schein der verbrennenden Stadt.

      Freie Reichsstadt Goslar,1681

      Der Reiter kam noch vor der Terz. Wie von weit her hörte Gertrude, die Magd, ein dumpfes unregelmäßiges Hämmern am großen Tor, Pferdeschnaufen und unterdrückte Rufe. Sie musste wohl nochmal am großen Esstisch des Gesindes eingenickt sein. Ungläubig und aufgeschreckt hastete die Magd zum Fenster der Küche. Der schwere Holzladen war selbstverständlich noch verschlossen. Das Oberhaupt der Tuchmachergilde mochte es nicht, wenn noch vor dem Morgengebet die Läden geöffnet wurden. Nie würde sie den Tag vergessen, als sie mit jungen Jahren einmal leichtfertigerweise eben dieses Küchenfenster zu früher Stunde öffnete und danach leise summend die Glut von der erkalteten Asche unter dem großen Kaminloch wegfegte… Vorsichtig öffnete sie die kleine Holzluke, welche im rechten Flügel des Fensterladens eingelassen war. Sie stellte sich, so gut sie konnte, schweratmend auf die Zehenspitzen und versuchte, von oben direkt auf die unter ihr liegende Straße mit dem großen Tor zu schauen. Sie konnte trotzdem nicht genug sehen. Schnell zog sie sich einen Schemel heran, kletterte darauf und stellte sich wiederum auf ihre Zehenspitzen. Wenn jetzt der Herr in die Küche käme, hätte sie sich erklären müssen. Doch ihre Neugier war jetzt stärker. Sie pustete eine lästige Haarlocke aus ihrem Gesicht und spähte angestrengt nach unten. Was sie sah, kam ihr noch merkwürdiger vor, als sie zunächst gedacht hatte. Nicht nur, dass niemand in dieser Stadt um diese frühe Stunde ehrbare Leute ohne Not stören würde, es war aber auch kein Stadtbote. Ein Reiter, der sich nicht einmal die Zeit genommen hatte abzusteigen, klopfte mit der Faust an das Tor. Dabei sah er sich mehrfach um, als ob er sich seiner Sache nicht sicher sei. Für einen kurzen Augenblick kam es Gertrude vor, als ob er Angst hätte. Aber sie wischte diesen Gedanken gleich wieder fort und schüttelte dabei, ohne es zu merken, den Kopf. Das Pferd zitterte leicht und schien völlig durchnässt und erschöpft. Die nächste Möglichkeit, ein Pferd zu wechseln, lag gute elf kurbraunschweigische Meilen entfernt. Der Bote oder was immer er war, musste die ganze Nacht durchgeritten sein. Doch was war das? Die Decke am Sattel hing plötzlich etwas zur Seite und sie konnte für einen kurzen Moment ein Wappen sehen. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Zwei große zottige Kerle, beide mit einer Keule ausgestattet, hielten ein prächtiges Wappen. Das war kein Kurbraunschweigischer! Jetzt erst bemerkt sie, in dem Moment als das Pferd zur Seite tänzelte, dass dem Reiter eine große Narbe, die sich vom linken Auge bis zum Mundwinkel zog, das Gesicht entstellte. Nein, eigentlich nicht entstellte. Es kleidete ihn! Bei Gott! Bei diesem Gedanken spürte sie, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss. Ihr Johnas war doch nun schon neunzehn Jahre tot, dachte sie sich jetzt fast selbst entschuldigend. Der kleine Jörg war da gerade erst zwei Jahre alt. Im Haus fing es nun doch zu rumoren an. Lautes Räuspern und halblaute Flüche, Türen und Fensterläden klapperten. Unterdrücktes Kinderweinen und die beruhigenden Worte der Amme waren nun zu hören. Es war Christian. Christian, der jüngste Sohn der Familie des Tuchhändlers, war völlig aus der

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