Blutendes Silber. Peter Raupach
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Unten wurde das Tor von innen geöffnet und der blonde Schopf ihres Jörg kam zum Vorschein. Er hatte es offenbar verstanden, einen Moment eher an der Tür zu sein. Er blinzelte aus dem Halbschatten des Hauses kommend in Richtung des vermeintlichen Besuchers. Dabei hielt er mit der einen Hand die Tür nur einen Spalt weit geöffnet, mit der anderen schirmte er die Augen ab, da die Sonne jetzt voll die Straße in hellgelbes Morgenlicht tauchte. Er versuchte schräg nach oben in das Gesicht des Reiters zu blicken: „Gott zum Gruße, edler Herr, ich bin Jörg, der Pferdeknecht des ehrbaren Tuchhändlers. Was begehrt ihr?“ Bevor der Reiter antworten konnte, wobei er sich gerade leicht nach unten beugte, erschien der Tuchhändler hinter Jörg. Jörg ging höflich beiseite. Fast ein wenig enttäuscht, doch merkwürdig berührt. Denn das was er hörte und sah, war für ihn auf einen Punkt gebracht, die erfüllte Sehnsucht nach der großen Welt. Es war sein großer Traum. Ein eigenes Pferd, eigenes Zaumzeug und einen weichen ledernen Sattel, die erhabene Kleidung und eine wichtige Funktion. Im Auftrag eines großen Mannes unterwegs sein und die Taschen voll Silber. Der Tuchhändler machte nun selbst das Tor weiter auf. Die Sonne ergoss sich sogleich auf den mit roten und dunkelgrünen Steinen gepflasterten Innenhof. Dieser führte geradewegs in einen sich erweiternden Hausflur. Die Magd konnte sich in Gedanken ein genaues Bild machen. Der Hausherr mit zerzaustem Haar und nur mit flüchtig übergeworfenem Hausmantel bekleidet, biegt schimpfend im Hausflur um die Ecke. Ihr Sohn, der gute Jörg, steht aber schon am Tor. Gott sei Dank, dachte die Magd. Es würde keinen Ärger mit dem Hausherren geben. Ihr Jörg war eben doch schon ein gestandener junger Mann mit etwas Grütze im Kopf. Ach, Grütze, das war es! Sie musste den Kessel über die Feuerstelle hängen. Doch das hatte Zeit. Viel wichtiger war es der Magd jetzt hier zu sein. Nichts durfte sie verpassen. Endlich gab es mal etwas Aufregendes, etwas ganz Tolles. So was gab es nicht alle Tage. Die Neugier hatte die Magd nun voll erfasst. Man hätte sie jetzt förmlich vom Fenster wegreißen müssen. Aber es war nicht allein einfache Neugier. Es war die schöne Gier. Die Gier nach Leben. Leben hieß für Gertrude Liebe zu ihrem Sohn, hieß aber nach neunzehn Jahren des Verlustes ihres Geliebten auch Schmerz und unerfüllte Sehnsucht. Das Taubheitsgefühl in den Zehen, auf denen sie immer noch leicht wippend ausharrte, schien wie weggepustet. Ein unbekannter, merkwürdiger Reiter klopft ans Tor. Und der war auch noch interessant, nein, sogar gut aussehend! Das Pferd, eine schöne Apfelstute, mit großen klugen braunen Augen schien eine Einheit mit diesem Reiter zu bilden. Obwohl der Reiter hier an diesem Ort eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte, vergaß er nicht sein treues Tier. Nur Gertrude sah es! Er streichelte mit seiner großen sehnigen Hand liebevoll den Nacken der Stute. Sie dankte es ihm, indem sie sich wie zufällig zu ihm umdrehte. Der Reiter nickte liebevoll und augenblicklich war alle Unruhe aus dem Tier gewichen. Gertrude nahm diesen Anblick aus dem Fenster wie ein kostbares Geheimnis auf. So ein Mensch war es wert. So ein Mensch war es wert, von Gott geliebt zu werden. So ein Mann. Ein lang vergessenes und doch ersehntes Gefühl ergoss sich endlich wieder durch ihren Körper. Dessen musste sie sich, wollte sie sich nicht schämen. Natürlich war er viel zu jung! Wobei…, dachte die Magd. Und noch etwas…solche Männer musste der Teufel fürchten.
„Eine Nachricht vom Konsistorialsekretär aus der Kanzlei meines Kurfürsten an Euren Sohn! Ich soll auf Eure Entscheidung und dessen Antwort warten, Herr Ratsherr!“ Der Hausherr nickte langsam und antwortete: „Steigt ab, seid willkommen und begebt Euch für eine Stärkung in die Küche! Euer Pferd wird versorgt.“ Nach hinten, zum Knecht gerichtet: „Jörg, Wasser und Hafer für diese Stute. Sagt Eurer Mutter, wir haben Besuch!“ Während der Hausherr das Tor nun weit offen ließ, eilte er in den Innenhof. Als er ihn überquert und die überdachte Holztreppe erreicht hatte, rief er laut hinauf zu den oben gelegenen Zimmern: „Heinrich steh auf wir haben wichtigen Besuch! Hört doch! Wo ist denn der Junge schon wieder?“ Gertrude wäre fast vom Schemel gefallen. Gleich sollte der fremde Bote bei ihr in der Küche sein! Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Doch dann zwang sie sich zur Ruhe. Sie hielt sich kurz am Fenstergriff fest, dann stieg sie vom Schemel. Nun ordnete sie ruhig ihr Haar. Dann schaute sie in eine Schüssel mit Wasser, zupfte den Kragen ihrer geschnürten Bluse gerade und murmelte halblaut zu ihrem Spiegelbild im Wasser: „Komm schon, Trudi, du bist doch noch eine begehrenswerte Frau!“
Halle, zwei Jahre zuvor
Der neue Kapellmeister macht sich bisher wirklich gut, dachte Johannes Conrad von Wiese, als die Musik aus Richtung der Ostempore verklungen war. Sorgfältig legte er das kleine Seidenband zwischen die beiden Seiten der Heiligen Schrift. Heute ging es um Hesekiel 9,4-11. Ob ihn überhaupt jemand verstanden hatte? Er schlug das Buch zu, klemmte es sich unter den Arm und blies dann das Leselicht aus. Ein kurzer Blick in die Runde. War alles ordentlich auf der Kanzel? Ach ja, die Predigt-Sanduhr, eine Spezialanfertigung eines Augsburger Goldschmiedes, hing etwas schief. Es war einer dieser neumodischen Zeitmesser für Kirchen, welcher aus vier nebeneinander hängenden Sanduhren bestand. In den Sanduhren lief der Sand unterschiedlich schnell durch. Die Apparatur hing außen an der Brüstung der Kanzel und war von unten, wo die Gläubigen saßen, gut zu sehen. Einige Gläubige starrten ständig auf den rinnenden Sand. Bei Conrad erzeugte dies immer ein Gefühl des Gehetztseins. Conrad kam es dann so vor, als ob sie das baldige Ende seiner Predigten herbeisehnten. Es konnte nicht nur ein Gefühl sein. Conrad