KLOSTER DER FINSTERNIS. Ralf Feldvoß
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Wenn es schon so ruhig war, würde er sich noch eine Weile auf die Bank vor dem Osttor setzen und auf seine Leute warten, ein wenig die Ruhe genießen, von der man hier in dieser großen Stadt nicht so viel hatte.
Auf dem letzten Rest seines Weges überkam ihn ein ungewohntes Gefühl von Verfolgt werden. Er blickte sich um, konnte aber zwischen den Bäumen und auf den Wegen nichts und niemanden in der immer stärker werdenden Dunkelheit ausmachen. Muss ich mich wohl getäuscht haben, dachte er und ging weiter. Doch das Gefühl wich nicht.
Soll er nur kommen, oder sie. Wird schon sehen, was er/sie davon hat. Etienne bereitete sich innerlich auf einen Überfall, oder Angriff vor. Es passierte aber nichts. Es blieb so ruhig, wie vorher. Nichts war zu hören, abgesehen von gelegentlichem Rascheln im Laub, hervorgerufen von Vögeln, oder anderem Kleingetier auf der Suche nach Nahrung.
Etienne schritt durch das Osttor, bog sogleich rechts um die Ecke und setzte sich auf die Bank zwischen den alten Eichen. Er langte in die Innentasche seines Sakkos, holte die Schachtel Gauloises heraus, nahm sich die Vorletzte und zündete sie sich mit seinem Zippo an. Er genoss den ersten Zug, atmete ihn tief ein, merkte wie der Rauch in seine Lunge drang.
Ein Blick auf seine goldene Rolex zeigte ihm, dass es kurz nach dreiundzwanzig Uhr war. Also hatte er noch fast eine Stunde seine Ruhe. Er lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken, rauchte genüsslich seine Zigarette und ließ die Zeit langsam verstreichen während er verträumt in den schwärzer werdenden Himmel blickte.
Doch dann erschrak er plötzlich, als sich von hinten eine Hand fest um seine Augen und eine um seinen Hals legten. Etienne sprang sofort auf, befreite sich mit einer schwungvollen Bewegung aus der ungewollten Umklammerung, drehte sich dabei um und blickte in zwei ihm sehr vertraute Augen.
„Francine, was machst du denn hier? Hast du eine Ahnung, was für einen Schrecken du mir bereitet hast und was das für Konsequenzen hätte haben können?“ Etienne war freudig überrascht, sein Herz pochte noch ordentlich. Also hatte er sich wohl doch nicht getäuscht, als er das Gefühl hatte verfolgt zu werden.
„Ich dachte ich besuche dich. Schlimm?“ Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf, was sie aufbringen konnte. Ihre hellblauen Augen strahlten ihn an, eine Locke ihres hellblonden Haares fiel ihr keck über das Gesicht. „Freust du dich denn nicht mich zusehen?“, setzte sie noch hinzu.
„Doch, doch, natürlich. Aber es kommt schon sehr überraschend und ungewöhnlich ist es obendrein.“ Sie besuchten sich so gut wie nie in ihren jeweiligen Bezirken. Es war so eine Art ungeschriebenes Gesetz, eine unausgesprochene Abmachung. Auch wenn die beiden ein Paar waren. Aber hin und wieder kam es dazu, doch sonst nach Absprache.
Sie setzten sich zusammen auf die Bank umarmten und küssten sich und sprachen über die Pläne, die sie für den morgigen Sonntag gemacht hatten.
Sie wollten mal etwas völlig Normales machen. In den Parc d´Asterix fahren und danach einen Spaziergang an der Seine machen bevor sie zu Etienne nach Hause fahren würden, um einen entspannten Abend zu verbringen. Einmal einen Sonntag gestalten, wie es die ganz normalen Leute von nebenan auch machten.
„Na gut, mein Teddy. Dann lasse ich dich jetzt mal wieder alleine.“ Francine nahm ihn in den Arm und gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn. „Dann hast du noch eine Weile deine Ruhe bevor deine Leute kommen. Wir sehen uns dann morgen Abend.“
„Pass auf dich auf!“
„Mach ich doch immer.“ Sie löste sich aus seiner Umarmung und zog ihre Fahrradhandschuhe an.
„Ich weiß, wie du Fahrrad fährst.“ Etienne grinste.
Francine war gerne mit dem Fahrrad unterwegs. Mit dem Auto durch die Stadt zu kommen war alles andere, als ein Vergnügen, so voll wie die Straßen immer waren. Mit der Metro fahren kam für sie auch nicht infrage, zu voll, zu dreckig, zu laut.
Francine stand auf und schwang sich auf ihr Rad, welches sie zwischen den dicken Eichenstämmen versteckt hatte. Sie drehte sich noch einmal um und winkte Etienne zum Abschied. Er winkte zurück, seine letzte Gauloises im Mundwinkel, das Zippo schon in der Hand und wartete darauf, dass es Mitternacht wurde.
Francine genoss das Fahren auf der Straße, die sich zwar stellenweise in einem katastrophalen Zustand befanden, aber immer noch besser waren, als die Radwege. Und zu dieser Stunde waren auch bei Weitem nicht mehr so viele Autos unterwegs, wie tagsüber, wo man sich vor den Blechlawinen kaum in Sicherheit bringen konnte.
Besonders gefiel ihr das nächtliche Radeln, weil sie zu dieser Zeit so richtig schnell fahren, die einundzwanzig Gänge ihres pinken Geländerades voll ausnutzen konnte. Pink war ihre Farbe, da war sie durch und durch Mädchen.
Ihr Weg führte sie über den Arc de Triomphe, dann über die Champs-Elysées, den großen und breiten Boulevard in dem die teuersten Geschäfte der Stadt ansässig waren. Am Obélisque inmitten des Place da la Concorde bog sie quer über den Kreisverkehr fahrend links ab in direkter Richtung zum Hügel Montmartre. Sie hatte noch Zeit, kam gut voran, so dass sie sich entschloss noch bis zur Sacré-Coeur hoch zu fahren.
Im hellen Sonnenlicht strahlte die Basilika stets in grellem weiß von ihrem hoch gelegenen Standort auf die Stadt herab und war fast von überall aus zu sehen. Sie war der helle Punkt auf dem Gipfel des Montmartre.
Hierher verschlug es Francine häufiger zu den Nachtstunden. Sie stand gerne vor der Kirche von wo aus man einen atemberaubenden Blick über ihr Gebiet, aber auch über das gesamte Paris hatte. Sie mochte es hier oben zu stehen, oder zu sitzen, so völlig allein, ganz ohne Touristen.
Heute war sie etwas müde und kaputt von der rasanten Fahrt vom Bois de Boulogne hierher, aber sie wollte noch dort hinauf. Ihre Haare standen ihr wild vom Kopf, sie war stark ins Schwitzen geraten.
Aus Mangel an verbliebener Kraft schob sie ihr Rad den letzten Rest des Weges. Das war zwar auch nicht wirklich leicht, aber immer noch besser, als sich fahrender Weise hier herauf zu quälen.
Sie kam von der Rückseite der Basilika hinauf. Man kann auch über die Vorderseite den Hügel erklimmen, aber dort ging es fast ausschließlich über Treppen. Die Alternative wäre ein weit gebogener Weg gewesen. Francine hatte keine Lust ihr Rad hoch zu schleppen. Also nahm sie den kleinen Umweg in Kauf, denn von der Rückseite her führten kleine Straßen nach oben, auf denen sie mehr, oder weniger bequem ihr Rad schieben konnte.
Oben angekommen umrundete sie die Basilika um die rechte Seite herum. Das ging auch gar nicht anders, da die andere Seite gesperrt war. Doch kaum, dass sie in die Nähe des Mauerwerkes kam beschlich sie ein Gefühl von Angst. Ihr Herz begann schneller zu klopfen und sie bekam eine leichte Gänsehaut, machte sich aber vorerst keine weiteren Gedanken darüber.
Als sie die Sacré-Coeur umrundet hatte lehnte sie ihr Rad an den Zaun und stellte sich vorn an die oberste Stufe der großen Steintreppe und ließ ihren Blick über die Stadt schweifen. Sie wohnte gerne hier, war hier geboren und aufgewachsen. Sie wollte auch gar nicht irgendwo anders wohnen. Das war auch ein Grund, warum sie sich immer noch nicht entschlossen hatte zu Etienne zu ziehen. Ihr würde auf Dauer der Trubel der Großstadt fehlen, den sie hier unbestrittener Maßen im Überfluss hatte.
Eine unerklärliche Kälte beschlich sie plötzlich. War da ein Schatten hinter ihr? Francine drehte sich um. Nein, da war nichts. Wahrscheinlich doch nur ein kleiner Windhauch, der die Blätter in den Bäumen bewegte.
Sie